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Eigenschaften des Geschlechtes in seiner seelischen
Ökonomie überwiegen, weil die Fortpflanzung im
primitiven Leben einen größeren Raum einnimmt.
Auf den höheren Stufen der individuellen Differen-
zierung und in demselben Maße, als das Eigenleben
an Gehalt zunimmt, tritt die Herrschaft der Ge-
schlechtsteleologie zurück, da sie als ein Anpassungs-
phänomen mit den geänderten Lebensbedingungen
selbst sich ändert. Freilich gibt es auch geistig sehr
hochstehende Individuen, bei denen die engere Ge-
schlechtssphäre undifferenziert geblieben ist.
Daß in der sozialen Bewertung der Geschlechter
die sogenannten Geschlechtstugenden den ersten Platz
einnehmen, darf nicht dazu verführen, sie als so all-
gemein verbreitet und als so wertvoll anzuschlagen,
wie jene wollen, die in dem atypischen Individuum
schon eine „enorme Anomalie" erblicken. Den Hinter-
gründen dieser sozialen Bewertung nachzugehen, ist
eine Sache für sich; daß sie so häufig ohne weitere
Kritik zur Basis dessen gemacht wird, was als das
„Normale" in Dingen der Geschlechtspsychologie an-
zusprechen ist, zeigt nur, daß auch das wissenschaft-
liche Denken nicht immer vor philiströser Beschränkt-
heit schützt.
Die Beschaffenheit der Individualität muß in je-
dem einzelnen Falle von dem konventionellen Bilde
getrennt werden, das für die gangbare Menschen-
kenntnis den Geschlechtstypus repräsentiert. Selbst
in der Erotik, wo die allgemeinen Bestimmungen der
Aktivität und Passivität als die charakterisierenden
für Mann und Weib die meiste Berechtigung zu haben
scheinen, wird eine sorgfältigere Analyse die indivi-
duellen Unterschiede eben so groß finden als auf den
übrigen psychischen Gebieten. Wer sich nicht durch
die formalen Eigentümlichkeiten im Auftreten der Ge-
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Title
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Author
- Rosa Mayreder
- Publisher
- Eugen Diederichs Verlag
- Location
- Jena
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 10.5 x 16.5 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299