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Frauen den Männern auftischen, diejenige der sexu-
ellen Erweckung durch die Liebe als die gewöhn-
lichste. Die Veranlassung zu dieser Lüge liegt wohl
in gewissen Vorstellungen, die der Weiblichkeit eben
diese Erweckung als sittliche Forderung vorschrei-
ben. Beim Manne darf das geschlechtliche Moment
unverblümt auftreten, als nackter Trieb, der sich
für seine vorübergehende Befriedigung mit dem Gat-
tungsmäßigen an einem Individuum des anderen Ge-
schlechtes begnügt — im weiblichen Bewußtsein
soll er nur unter der Gestalt der Liebe erscheinen,
das heißt, erst durch eine bestimmte Person geweckt
werden. Über die wahre Bewandtnis täuschen die
Frauen gewöhnlich nicht bloß die Männer, sondern
auch sich selbst. Die Macht sittlicher Vorurteile und
die Vergewaltigung der Natur durch sie ist nach
dieser Richtung so groß, daß kaum jemand, selbst
unter den Ärzten, in dieser dunkelsten Tiefe der
weiblichen Psyche wirklich Bescheid weiß. Und
wenn Bourget von Frauen spricht, die in allem, was
die Liebe angeht, die Natur des Mannes haben, von
Frauen nämlich, bei denen das Geschlecht „ein
untergeordnetes, gleichsam getrenntes Leben neben
dem Kopfe, außerhalb des Herzens" führt, so berührt
er damit eine Erscheinung, die weniger wegen ihrer
Seltenheit, sondern mehr, weil sie von der bürger-
lichen Norm abweicht, als „Ausnahme" gilt. Schon
allein in diesem Punkte unterscheiden sich die ein-
zelnen weiblichen Individuen so beträchtlich von-
einander, daß von Wesensgleichheit kraft des Ge-
schlechtes keine Rede mehr sein kann.
Aber man braucht nicht bis zu den Ausnahmen
der weiblichen Natur zu gehen, und man wird auf
Wesensgegensätze stoßen, die gerade dort entsprin-
gen, wo das Allgemeinweibliche scheinbar auf der zu-
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Zur Kritik der Weiblichkeit
- Title
- Zur Kritik der Weiblichkeit
- Author
- Rosa Mayreder
- Publisher
- Eugen Diederichs Verlag
- Location
- Jena
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 10.5 x 16.5 cm
- Pages
- 316
- Keywords
- Feminismus, Soziologie, Machtverhältnisse, Geschlechterkampf, Frauen
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorwort 1
- Grundzüge 7
- Mutterschaft und Kultur 48
- Die Tyrannei der Norm 85
- Von der Männlichkeit 102
- Das Weib als Dame 139
- Frauen und Frauentypen 157
- Familienliteratur 187
- Der Kanon der schönen Weiblichkeit 199
- Einiges über die starke Faust 210
- Das subjektive Geschlechtsidol 244
- Perspektiven der Individualität 261
- Nachwort 299