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Bedingung der Zusammenstimmung desselben mit der allgemeinen
praktischen Vernunft, die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als
eines allgemein gesetzgebenden Willens.
Alle Maximen werden nach diesem Prinzip verworfen, die mit der eigenen
allgemeinen Gesetzgebung des Willens nicht zusammen bestehen können.
Der Wille wird also nicht lediglich dem Gesetze unterworfen, sondern so
unterworfen, dass er auch als selbstgesetzgebend und eben um deswillen
allererst dem Gesetze (davon er selbst sich als Urheber betrachten kann)
unterworfen angesehen werden muss.
Die Imperativen nach der vorigen Vorstellungsart, nämlich der allgemein
einer Naturordnung ähnlichen Gesetzmäßigkeit der Handlungen, oder des
allgemeinen Zwecksvorzuges vernünftiger Wesen an sich selbst, schlossen
zwar von ihrem gebietenden Ansehen alle Beimischung irgend eines Interesse
als Triebfeder aus, eben dadurch dass sie als kategorisch vorgestellt wurden;
sie wurden aber nur als kategorisch angenommen, weil man dergleichen
annehmen musste, wenn man den Begriff von Pflicht erklären wollte. Dass es
aber praktische Sätze gäbe, die kategorisch geböten, könnte für sich nicht
bewiesen werden, so wenig wie es überhaupt in diesem Abschnitte auch hier
noch nicht geschehen kann; allein eines hätte doch geschehen können,
nämlich: dass die Lossagung von allem Interesse beim Wollen aus Pflicht, als
das spezifische Unterscheidungszeichen des kategorischen vom
hypothetischen Imperativ, in dem Imperativ selbst durch irgend eine
Bestimmung, die er enthielte, mit angedeutet würde, und dieses geschieht in
gegenwärtiger dritten Formel des Prinzips, nämlich der Idee des Willens eines
jeden vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens.
Denn wenn wir einen solchen denken, so kann, obgleich ein Wille, der
unter Gesetzen steht, noch vermittelst eines Interesse an dieses Gesetz
gebunden sein mag, dennoch ein Wille, der selbst zu oberst gesetzgebend ist,
unmöglich so fern von irgend einem Interesse abhängen; denn ein solcher
abhängender Wille würde selbst noch eines andern Gesetzes bedürfen,
welches das Interesse seiner Selbstliebe auf die Bedingung einer Gültigkeit
zum allgemeinen Gesetz einschränkte.
Also würde das Prinzip eines jeden menschlichen Willens, als eines durch
alle seine Maximen allgemein gesetzgebenden Willens, wenn es sonst mit
ihm nur seine Richtigkeit hätte, sich zum kategorischen Imperativ darin gar
wohl schicken, dass es eben um der Idee der allgemeinen Gesetzgebung
willen sich auf kein Interesse gründet und also unter allen möglichen
Imperativen allein unbedingt sein kann; oder noch besser, indem wir den Satz
umkehren: wenn es einen kategorischen Imperativ gibt (d. i. ein Gesetz für
jeden Willen eines vernünftigen Wesens), so kann er nur gebieten, alles aus
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Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Title
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Author
- Immanuel Kant
- Date
- 1785
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 70
- Keywords
- Philosophie, Vernunft, Aufklärung, Ethik, Kritik
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorrede 4
- Erster Abschnitt 9
- Zweiter Abschnitt 20
- Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten 20
- Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit 48
- Die Heteronomie des Willens als der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit 49
- Einteilung aller möglichen Prinzipien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie 50
- Dritter Abschnitt 54
- Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens 54
- Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden 56
- Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt 57
- Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? 61
- Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie 63
- Schlussanmerkung 70