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der eines angenehmen oder unangenehmen Zustandes für nichts zu halten sei,
keine genugtuende Antwort geben.
Zwar finden wir wohl, dass wir an einer persönlichen Beschaffenheit ein
Interesse nehmen können, die gar kein Interesse des Zustandes bei sich führt,
wenn jene uns nur fähig macht, des letzteren teilhaftig zu werden, im Falle die
Vernunft die Austeilung desselben bewirken sollte, d. i. dass die bloße
Würdigkeit, glücklich zu sein, auch ohne den Bewegungsgrund, dieser
Glückseligkeit teilhaftig zu werden, für sich interessieren könne: aber dieses
Urteil ist in der Tat nur die Wirkung von der schon vorausgesetzten
Wichtigkeit moralischer Gesetze (wenn wir uns durch die Idee der Freiheit
von allem empirischen Interesse trennen); aber dass wir uns von diesem
trennen, d. i. uns als frei im Handeln betrachten und so uns dennoch für
gewissen Gesetzen unterworfen halten sollen, um einen Werth bloß in unserer
Person zu finden, der uns allen Verlust dessen, was unserem Zustande einen
Werth verschafft, vergüten könne, und wie dieses möglich sei, mithin woher
das moralische Gesetz verbindet, können wir auf solche Art noch nicht
einsehen.
Es zeigt sich hier, man muss es frei gestehen, eine Art von Zirkel, aus dem,
wie es scheint, nicht heraus zu kommen ist. Wir nehmen uns in der Ordnung
der wirkenden Ursachen als frei an, um uns in der Ordnung der Zwecke unter
sittlichen Gesetzen zu denken, und wir denken uns nachher als diesen
Gesetzen unterworfen, weil wir uns die Freiheit des Willens beigelegt haben;
denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie,
mithin Wechselbegriffe, davon aber einer eben um deswillen nicht dazu
gebraucht werden kann, um den anderen zu erklären und von ihm Grund
anzugeben, sondern höchstens nur, um in logischer Absicht verschieden
scheinende Vorstellungen von eben demselben Gegenstande auf einen
einzigen Begriff (wie verschiedne Brüche gleiches Inhalts auf die kleinsten
Ausdrücke) zu bringen.
Eine Auskunft bleibt uns aber noch übrig, nämlich zu suchen: ob wir, wenn
wir uns durch Freiheit als a priori wirkende Ursachen denken, nicht einen
anderen Standpunkt einnehmen, als wenn wir uns selbst nach unseren
Handlungen als Wirkungen, die wir vor unseren Augen sehen, uns vorstellen.
Es ist eine Bemerkung, welche anzustellen einen kein subtiles Nachdenken
erfordert wird, sondern von der man annehmen kann, dass sie wohl der
gemeinste Verstand, obzwar nach seiner Art durch eine dunkele
Unterscheidung der Urteilskraft, die er Gefühl nennt, machen mag: dass alle
Vorstellungen, die uns ohne unsere Willkür kommen (wie die der Sinne), uns
die Gegenstände nicht anders zu erkennen geben, als sie uns affizieren, wobei,
was sie an sich sein mögen, uns unbekannt bleibt, mithin dass, was diese Art
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Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Title
- Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
- Author
- Immanuel Kant
- Date
- 1785
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 70
- Keywords
- Philosophie, Vernunft, Aufklärung, Ethik, Kritik
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Vorrede 4
- Erster Abschnitt 9
- Zweiter Abschnitt 20
- Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten 20
- Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit 48
- Die Heteronomie des Willens als der Quell aller unechten Prinzipien der Sittlichkeit 49
- Einteilung aller möglichen Prinzipien der Sittlichkeit aus dem angenommenen Grundbegriffe der Heteronomie 50
- Dritter Abschnitt 54
- Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft. Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens 54
- Freiheit muss als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden 56
- Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt 57
- Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich? 61
- Von der äußersten Grenze aller praktischen Philosophie 63
- Schlussanmerkung 70