Page - 33 - in Tonka
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9Kapitel
Zuweilen überfiel er sie noch immer aus dem Hinterhalt mit einer geheuchelt
arglosen Frage, auf deren glattem Klang ihre Vorsicht ausgleiten sollte.
Häufiger aber überfiel es ihn. »Es ist ja ganz unsinnig, die Tatsache zu
leugnen, also sag mir nur, damit wieder Aufrichtigkeit zwischen uns ist, wie
konnte es geschehen?« fragte er einflüsternd. Aber sie hatte immer die eine
Antwort: schick michfort, wenn du mir nicht glauben willst; und das war
gewiß ein Mißbrauch ihrer Schutzlosigkeit, aber es war ebenso gewiß auch
die allerwahrste Antwort, denn mit medizinischen und philosophischen
Gründen konnte sie sich nicht verteidigen und vermochte für die Wahrheit
ihrer Worte nur mit der Wahrheit ihrer Person einzustehn.
Dann begleitete er sie bei ihren Ausgängen, weil er sich nicht traute, sie
allein zu lassen; er fürchtete nicht etwas Bestimmtes, aber es beunruhigte ihn,
sie allein in den weiten, fremden Straßen zu wissen. Und wenn er sie abends
irgendwo abholte, und sie gingen, und im Halbdunkel begegnete ihnen ein
Mann, der nicht grüßte, so kam es vor, daß er bekannt erschien, und Tonka
wurde scheinbar rot, und mit einemmal war die Erinnerung da, daß sie sich
früher einmal bei irgendeiner Gelegenheit in seiner Gesellschaft befunden
hatten, und zugleich war auch – mit der gleichen Gewißheit, wie sie Tonkas
unschuldigem Gesicht zukam – die Überzeugung da: dieser war es! Einmal
schien es ein wohlhabender Volontär aus einem Exportgeschäft zu sein, den
sie flüchtig gekannt hatten, und ein andermal ein Tenor aus einem Chantant,
der die Stimme verloren hatte und bei der gleichen Wirtin wohnte wie Tonka.
Stets waren es solche lächerlich ferne Gestalten, die wie ein verschnürtes
schmutziges Paket in die Erinnerung geworfen wurden, das die Wahrheit
enthielt und beim ersten Versuch es aufzuschnüren nichts als den Staubhaufen
quälender Ohnmacht hinterließ.
Diese Gewißheiten über Tonkas Untreue hatten etwas von Träumen. Tonka
ertrug sie mit ihrer rührenden, wortlos zärtlichen Demut: aber was konnte
diese nicht alles bedeuten!? Und wenn man dann alle Erinnerungen
durchging, wie waren alle zweideutig! Die einfache Art zum Beispiel, wie sie
ihm zugelaufen war, konnte Gleichgültigkeit sein oder Sicherheit des
Herzens. Wie sie ihm diente, war Trägheit oder Seligkeit. War sie anhänglich
wie ein Hund, so mochte sie auch jedem Herrn folgen wie ein Hund! Das
hatte er doch gleich in jener ersten Nacht empfunden, und war es auch ihre
erste Nacht? Er hatte nur auf die seelischen Zeichen geachtet und keinesfalls
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book Tonka"
Tonka
- Title
- Tonka
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.8 cm
- Pages
- 46
- Categories
- Weiteres Belletristik