Page - 44 - in Tonka
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Kapitel
Da sagte er sich: vielleicht war Tonka gar nicht so gut, wie ich mir eingebildet
habe; aber gerade daran zeigte sich das geheimnisvolle Wesen ihrer Güte, das
vielleicht auch einem Hund hätte zukommen können.
Ein trocken wie ein Sturm fegendes Leid ergriff ihn. Ich darf dir nicht mehr
schreiben, ich darf dich nicht mehr sehn, heulte es um alle Ecken seiner
Festigkeit. Aber ich werde wie der liebe Gott bei dir sein, tröstete er sich,
ohne sich etwas dabei denken zu können. Und oft hätte er gern bloß
geschrien: Hilf mir, hilf du mir! Hier knie ich vor dir! Er sagte sich traurig
vor: Denk dir, ein Mensch geht mit einem Hund ganz allein im
Sternengebirge, im Sternenmeer! – und Tränen quälten ihn, die so groß
wurden wie die Himmelskugel und nicht aus seinen Augen herauskonnten.
Er spann wachend nun Tonkas Träume.
Einmal, träumte er vor sich hin, wenn alle Hoffnung Tonkas geschwunden
ist, wird er plötzlich wieder eintreten und da sein. In seinem weitkarierten
braunen englischen Reisemantel. Und wenn er ihn aufmacht, wird ohne
Kleider darunter seine weiße, schmale Gestalt sein, mit einer dünnen
goldenen Kette und klingelnden Anhängseln daran. Und alles wird wie ein
Tag gewesen sein, sie war dessen ganz sicher. So sehnte er sich nach Tonka,
wie sie sich nach ihm gesehnt hatte. Oh, sie war nie begehrlich! Kein Mann
lockte sie; es ist ihr lieber, wenn ihr einer den Hof macht, ein wenig
ungeschickt weltschmerzlich auf die Gebrechlichkeit solcher Beziehungen
hinweisen zu können. Und wenn sie abends aus dem Geschäft kommt, ist sie
ganz ausgefüllt von seinen lärmenden, lustigen, ärgerlichen Erlebnissen; ihre
Ohren sind voll, ihre Zunge spricht innerlich noch weiter; da ist kein kleinstes
Plätzchen für einen fremden Mann. Aber sie fühlt, wohin das nicht reicht in
ihr, dort ist sie überdies groß, edel und gut; kein Geschäftsmädel ist sie dort,
sondern ebenbürtig und verdient ein großes Schicksal. Darum glaubte sie
auch, trotz allen Unterschieds, ein Recht auf ihn zu haben; von dem, was er
trieb, verstand sie nichts, das ging sie nicht an, sondern weil er im Grunde gut
war, gehörte er ihr; denn auch sie war gut, und irgendwo mußte doch der
Palast der Güte stehen, wo sie vereint leben sollten und sich niemals trennen.
Aber was war diese Güte? Kein Tun. Kein Sein. Ein Schimmer, wenn sich
der Reisemantel öffnet. Und die Zeit ging zu schnell. Er hielt sich noch an der
Erde fest und hatte den Gedanken: ich glaube an dich! noch nicht mit
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book Tonka"
Tonka
- Title
- Tonka
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.8 cm
- Pages
- 46
- Categories
- Weiteres Belletristik