Page - 40 - in Tonka
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12
Kapitel
Zwischen diesen Unsicherheiten schritt die Schwangerschaft fort und zeigte,
was Wirklichkeit ist.
Es kam der beladene Gang, der Tonka eines stützenden Armes bedürftig
erscheinen ließ, der schwere Leib, der geheimnisvoll warm war, die Art des
sich Niedersetzens, mit offenen Beinen, unbeholfen und rührend häßlich; alle
Wandlungen des wunderbaren Vorgangs kamen, der, ohne zu zögern, den
Mädchenkörper umformte zur Samenkapsel, alle Abmessungen veränderte,
die Hüften breit machte und hinunterrückte, den Knien die scharfe Form
nahm, den Hals kräftiger, die Brüste zum Euter machte, die Haut des Bauches
mit feinen roten und blauen Adern durchzog, so daß man darüber erschrak,
wie nah der Außenwelt das Blut kreiste, als ob das den Tod bedeuten könnte.
Nichts als Unform war durch neue Form ebenso gewaltsam wie duldend
zusammengehalten, und das gestörte menschliche Maß spiegelte sich auch im
Ausdruck der Augen wider; sie blickten etwas blöd, sie hafteten lange auf den
Gegenständen und lösten sich nur schwerfällig von ihnen los. Auch an ihm
hafteten Tonkas Augen oft lange. Sie besorgte wieder seine kleinen
Angelegenheiten und diente ihm mühevoll, als wollte sie ihm noch zuletzt
beweisen, daß sie nur für ihn lebte; nicht ein Funke Scham über ihre
Häßlichkeit und Entstellung war in ihren Augen, nur der Wunsch, mit ihren
plumpen Bewegungen recht viel für ihn zu tun.
Sie waren jetzt beinahe wieder so oft beisammen wie früher. Sie sprachen
nicht viel, aber sie blieben einer in des andern Nähe, denn die
Schwangerschaft rückte vor wie ein Zeiger, und sie waren hilflos davor. Sie
hätten sich aussprechen sollen, aber nur die Zeit ging vorwärts. Der
Schattenmensch, das Unwirkliche in ihm rang manchmal nach Worten, eine
Erkenntnis wollte aufsteigen, daß man alles nach ganz andern Werten messen
müßte; aber sie war, wie alles Erkennen ist, zweideutig, unsicher. Und die
Zeit lief, die Zeit lief davon, die Zeit verlor sich; die Uhr an der Wand war
dem Leben näher als die Gedanken. Es war ein kleinbürgerliches Zimmer, in
dem nichts von Großem geschah, darin sie saßen, die Wanduhr war eine runde
Küchenuhr und zeigte eine Küchenzeit, und seine Mutter beschoß ihn mit
Briefen, darin alles bewiesen stand; sie sandte kein Geld, sondern gab es für
die Meinung von Ärzten aus, die ihm den Kopf zurechtsetzen sollten: er
verstand es recht gut und nahm es nicht mehr übel. Einmal schickte sie sogar
eine neue ärztliche Erklärung, aus der nun wirklich hervorging, daß Tonka
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book Tonka"
Tonka
- Title
- Tonka
- Author
- Robert Musil
- Date
- 1922
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.8 cm
- Pages
- 46
- Categories
- Weiteres Belletristik