Page - 21 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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Auffassung muss (und darf) der Verkäufer daher seine Lieferpflicht erfül-
len, wenn der aktuelle Vorrat für die Erfüllung des gerade geltend gemach-
ten Anspruchs ausreicht; konkurrierende schuldrechtliche Ansprüche an-
derer Käufer bleiben insoweit außer Betracht. Erst wenn der Vorrat er-
schöpft ist, schuldet der Verkäufer auch keine weiteren Anstrengungen
mehr, kann sich aber i.d.R. für die Nichtleistung exkulpieren, wenn und
weil eine rechtfertigende Pflichtenkollision vorlag.23 Ebenso darf er selbst
– wenn er zugleich Produzent ist – entscheiden, wie er seinen Betrieb orga-
nisiert, welche Bestellungen über welche Waren er bevorzugt behandelt,
und welche er den beschränkten Kapazitäten opfert; auch hier wird man
nicht verlangen können, dass er – gerichtlich überprüfbar! – seinen Betrieb
so organisiert, dass alle Käufer verschiedenartiger Waren proportional be-
friedigt werden können.
Grenzen der geschuldeten Anstrengungen
Die vom Verkäufer geschuldeten Anstrengungen sind allerdings nicht un-
begrenzt: Zunächst können die Parteien vertraglich von vornherein Be-
schränkungen der Leistungspflicht vorsehen. So kann etwa ein Händler als
Verkäufer die geschuldete Gattung auf Waren aus dem eigenen Lager bzw.
Vorrat beschränken und so die Verpflichtung zur Beschaffung weiterer
Waren am freien Markt ausschließen. Gleiches gilt für die bereits erwähnte
Beschränkung der geschuldeten Gattung auf die eigene Produktion beim
Kauf vom Hersteller. Auch Begrenzungen des geschuldeten Beschaffungs-
aufwands bis hin zu einem freien Lösungsrecht des Verkäufers im Falle der
Nichtbelieferung (Selbstbelieferungsvorbehalt) sind vertraglich vereinbar,
sofern der Verkäufer einen kongruenten Deckungskauf abgeschlossen hat-
te, der dann scheiterte.24
a) Die wichtigste gesetzliche Grenze der geschuldeten Leistungsanstren-
gungen bildet zunächst §275 Abs.2 BGB. Diese Norm gewährt dem Ver-
käufer ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn sein Aufwand im Verhält-
nis zum Leistungsinteresse des Gläubigers unverhältnismäßig groß ist. Die
Einrede aus §275 Abs.2 BGB besteht auch dann, wenn die Leistungser-
2.
23 Vgl. T. Riehm, Pflichtverletzung und Vertretenmüssen, in: A. Heldrich/J. Prölss/I.
Koller (Hrsg.), Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, 2007,
Bd. 1, S.1079 (1101) sowie Riehm (Fn.20), §280 Rn.175.
24 BGH NJW 1995, 1959; Riehm (Fn.20), 275 Rn.60; D. Joost, in: C. T. Ebenroth/K.
Boujong/D. Joost/L. Strohn (Hrsg.), Handelsgesetzbuch, 3.Aufl. 2015, §346
Rn.119. Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
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