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Anforderungen an das pandemiebedingte Leistungshindernis
Gem. Art.240 §3 Abs.1 EGBGB muss der Verbraucher aufgrund der
durch die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie hervorgerufenen auĂźerge-
wöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle haben, die dazu führen, dass
ihm die Erbringung der geschuldeten Leistung nicht zumutbar ist. Dies
soll „insbesondere“ dann der Fall sein, wenn sein angemessener Lebensun-
terhalt oder der angemessene Lebensunterhalt seiner Unterhaltsberechtig-
ten gefährdet ist. Während die Gefährdung des Lebensunterhalts nach
dem Wortlaut des Gesetzes Regelbeispiel ist, wird sie in der Gesetzesbe-
grĂĽndung als notwendige Voraussetzung dargestellt.103 Jedenfalls sind kei-
ne Fälle ersichtlich, in denen dem Schuldner die Leistung unzumutbar ist,
obwohl sein Lebensunterhalt oder der seiner Angehörigen nicht gefährdet
ist.104
Die Voraussetzungen fĂĽr das pandemiebedingte Leistungshindernis hat
der Gesetzgeber anders formuliert als für allgemeine Dauerschuldverhält-
nisse in Art.240 §1 Abs.1 S.1 EGBGB. Letzterer stellt einerseits auf die
Möglichkeit der Leistung statt auf deren Unzumutbarkeit ab, andererseits
spricht Art.240 §1 Abs.1 S.1 EGBGB von „Umständen“ statt von „außer-
gewöhnlichen Verhältnissen“, die zu Einnahmeausfällen führen. Es ist
aber eher davon auszugehen, dass die unterschiedlichen Formulierungen
der fehlenden Koordination der Normen in der KĂĽrze der Zeit geschuldet
sind, als dass sie zu einer unterschiedlichen Auslegung fĂĽhren sollen.105
Einnahmeausfälle können z.B. aus dem Wegfall von Aufträgen bei Selb-
ständigen, dem Verlust des Arbeitsplatzes oder Kurzarbeit bei Arbeitneh-
mern, dem pandemiebedingten Ausbleiben von Unterhaltszahlungen oder
von Mieteinnahmen resultieren, sofern sie nicht durch Entschädigungen
oder Lohnersatzleistungen kompensiert werden.106 Die Voraussetzung der
Unzumutbarkeit der Leistungserbringung ist eng auszulegen; der Schuld-
ner muss seine liquiden Mittel einsetzen, bevor es zu einer Stundung
kommt.107 Ob man aus dem Abstellen des Gesetzgebers auf „Einnahme-
ausfälle“ generell folgern kann, dass der Schuldner nicht verpflichtet ist,
zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten die Substanz seines Vermö-
II.
103 BT-Drucks. 19/18110, S.38.
104 Vgl. Meier/Kirschhöfer, Darlehensverträge (Fn. 86), S.967.
105 Scholl, Art.240 EGBGB (Fn. 18), S.770.
106 Möllnitz/Schmidt-Kessel (Fn. 13), Art.240 §§1–4 EGBGB Rn.149f.
107 Schmidt-Kessel/Möllnitz, Coronavertragsrecht (Fn. 29), S.1107; Lühmann, Morato-
rium (Fn. 85), S.1322; Scholl, Art.240 EGBGB (Fn. 18), S.770.
Ann-Marie Kaulbach und Bernd Scholl
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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book Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
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