Page - 173 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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Störung der Geschäftsgrundlage nach §313 BGB
Im Gegensatz zu der Gesetzeslage im Jahre 1917 bedarf es nach der heuti-
gen Rechtsordnung mit Blick auf die coronabedingten Beschränkungen
aber auch keines Rückgriffs auf die §§536ff. und 326, 275 BGB. Denn ge-
rade aus der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Reichsge-
richts wegen der Folgen des ersten Weltkriegs wurde von Paul Oertmann
die Theorie zur Störung der Geschäftsgrundlage entwickelt, welche sich
im Laufe der Zeit zu einem bewährten Rechtsinstitut entwickelte
und 2002 im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung in §313 BGB in
das Gesetz eingefĂĽhrt wurde.113 Insofern scheint diese Bestimmung gerade-
zu prädestiniert für die Lösung des Interessenkonflikts zwischen Mietern
und Vermietern wegen der coronabedingten behördlichen Beschränkun-
gen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Vertragsaufhebung dort
nur als ultima ratio vorgesehen ist und primär eine Vertragsanpassung er-
folgt. So lässt §313 BGB genug Spielraum, damit nicht einer Partei des
Mietverhältnisses die Lasten der Corona-Krise alleine auferlegt werden,
sondern eine faire Lastenverteilung möglich ist.114 Da der Wegfall der Ge-
schäftsgrundlage im Rahmen dieser Tagung bereits Gegenstand eines eige-
nen Vortrags ist, möchte ich mich diesbezüglich nur auf ein paar weitere
Bemerkungen beschränken.
Sofern Lützenkirchen eine Anpassung der Miete nach §313 BGB mit
dem Argument ablehnt, dass das Verwendungsrisiko ausschlieĂźlich in den
Bereich des Mieters falle, ĂĽberzeugt dies nicht. Der Einwand von LĂĽtzenkir-
chen betrifft das sog. normative Element. Eine Vertragsanpassung nach
§313 BGB setzt insofern voraus, dass einem Teil unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetz-
lichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht
zugemutet werden kann. Anders formuliert, kann eine Partei keine Ver-
tragsanpassung verlangen, wenn ihr das jeweilige Risiko, welches sich bei
der Änderung der Umstände verwirklicht hat, vertraglich oder gesetzlich
zugewiesen ist.115 Tatsächlich ist das Risiko, dass die Miet- bzw. Pachtsache
wie geplant verwendet werden kann und dass sich bei gewerblichen Miet-
objekten ein Gewinn erzielen lässt, grds. dem Mieter zugewiesen.116 Diese
IV.
113 S. Martens, in: Beck-online.GROSSKOMMENTAR, MĂĽnchen Stand 01.04.2020,
§313 BGB Rn.14, 16.
114 Ausführlich zur Anwendbarkeit und den Rechtsfolgen des §313 BGB mit Blick
auf die Corona-Pandemie: A. Schall, Corona-Krise (Fn.78), S.389ff.
115 S. Martens (Fn.113), §313 BGB Rn.50.
116 S. Martens (Fn.113), §313 BGB Rn.74. Niemand zahlt mehr Miete!?
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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book Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
- Niemand zahlt mehr Miete!? ‑ Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die Pflicht zur Mietzahlung 147
- Aktuelle Probleme im Reiserecht durch die Corona-Krise 175
- Transportrecht in der Corona-Krise 205
- Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise 223
- Vertragsrecht in der Corona-KriseCOVInsAG: Auswirkungen auf die Insolvenzantragspflicht und die Haftung der Organe 245