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scharfen Umrissen, wie sie ihm erschienen, da er als Knabe mit dem Prinzen
von Makedonien in die abendliche Stadt zurückgeritten war; die dämmrige
Kirche tat sich auf, wo er seine erste Geliebte als Braut zum Altar hatte
schreiten sehen; unter einem dunkeln Himmel zog ein Nachen mit seltsam
schwefelgelben Segeln an der Küste hin… Er begann zu reden, sprach von
den vielen Städten und Landschaften des Südens, die er als Knabe, als
Jüngling gesehen, erzählte von der Sehnsucht nach diesen Orten, die ihn oft
wie ein wahres Heimweh ergriff, von seiner Freude all das Ersehnte,
Bewahrtes und Vergessenes, und vieles Neue, mit gereiftem Blick umfassen
zu dürfen, und diesmal in Gesellschaft eines Wesens, das fähig, alles mit ihm
zu verstehen und zu genießen, und das ihm teuer war. Doktor Stauber, der
eben daran war, ein Buch in die Reihe zurückzustellen, wandte sich plötzlich
nach Georg um, sah ihn mild an und sagte: »Das laß ich mir gefallen.« Da
Georg seinen Blick ein wenig befremdet erwiderte, setzte er hinzu: »Es war
nämlich das erste warme Wort über Ihre Beziehung zu Annerl, das ich im
Laufe dieser Stunde von Ihnen vernommen habe. Ich weiß, ich weiß, es liegt
nicht in Ihrer Art, sich einem beinahe fremden Menschen gegenüber
aufzuschließen, aber gerade weil ichs eigentlich nicht erwarten durfte, hats
mir wohlgetan. Es ist Ihnen wirklich aus dem Herzen gekommen, man hats
gemerkt. Und es hätte mir leid getan um das Annerl – entschuldigen Sie, ich
heiß sie halt noch immer so – wenn ich mir hätte denken müssen, Sie haben
sie nicht so gern, wie sie es verdient.«
»Ich weiß eigentlich nicht«, erwiderte Georg kühl, »was Sie veranlaßt,
daran zu zweifeln, Herr Doktor.«
»Hab’ ich etwas von Zweifeln gesagt?« erwiderte Stauber gutmütig. »Aber
schließlich, es soll schon dagewesen sein, daß ein junger Mann, der allerlei
erlebt hat, so ein Opfer nicht genügend würdigt. Es bleibt ja doch ein Opfer,
lieber Baron. Wir können noch so erhaben sein über alle Vorurteile – eine
Kleinigkeit ist es heutzutage noch immer nicht, wenn sich ein junges Mädel
aus guter Familie zu so was entschließt. Und ich wills Ihnen nicht verhehlen –
Annerl hab ichs natürlich nicht merken lassen – es hat mir doch einen leisen
Ruck gegeben, wie sie neulich bei mir gewesen ist und mir die Sache erzählt
hat.«
»Entschuldigen Sie, Herr Doktor«, erwiderte Georg geärgert aber höflich,
»wenn es Ihnen einen Ruck gegeben hat, so beweist das doch einiges gegen
Ihr Erhabensein über Vorurteile… «
»Da haben Sie recht«, sagte Stauber lächelnd. »Aber vielleicht sehen Sie
mir diese Rückständigkeit nach, wenn Sie bedenken, daß ich etwas älter bin
als Sie und aus einer andern Zeit herkomme. Und dem Einfluß seiner Epoche
kann sich selbst ein ziemlich selbständig denkender Mensch… was zu sein
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik