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Der Weg ins Freie
Page - 182 -
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kleine, im schmalen Talgrund länglich hingebreitete Ortschaft freilag. Er sah von hier gerade auf das Dach, unter dem Anna wohnte, ließ seine milde Sehnsucht nach der Geliebten, der er so nahe war, mit Willen allmählich lebhafter werden, bis er hinabeilte, die kleine Türe aufschloß und über den Kies mitten durch den Garten zum Haus hinunterschritt. Oft, in schwüleren Nachmittagsstunden, wenn Anna noch schlief, setzte er sich in der gedeckten Holzveranda, die längs der Rückseite des Hauses hinlief, auf einen bequemen, mit geblümtem Kattun überzogenen Lehnstuhl, nahm ein mitgenommenes Buch aus der Tasche und las. Dann, in einfach-sauberm, dunkeln Kleid, trat aus dem dämmrigen Innenraum Frau Golowski und stattete mit leiser, etwas wehmütiger Stimme, einen Zug mütterlicher Güte um den Mund, von Annas Befinden Bericht ab, insbesondere, ob sie mit Appetit gegessen hatte und ob sie fleißig im Garten auf und ab gegangen war. Wenn sie geendet, hatte sie immer in Küche oder Haus etwas Notwendiges zu besorgen und verschwand. Dann, während Georg weiterlas, kam wohl auch eine trächtige Bernhardinerhündin herbei, die Leuten in der Nachbarschaft gehörte, begrüßte Georg mit tränenvoll-ernsten Augen, ließ sich von ihm das kurzhaarige Fell streicheln und streckte sich dankbar zu seinen Füßen hin. Später, wenn ein gewisser, strenger, dem Tiere wohlbekannter Pfiff ertönte, erhob es sich, mit der Schwerfälligkeit seines Zustands, schien sich durch einen schwermütigen Blick zu entschuldigen, daß es nicht länger bleiben durfte, und schlich davon. Im Garten daneben lachten und lärmten Kinder, ein und das andermal hüpfte ein Gummiball herüber, an der niedern Hecke erschien ein blasses Kindermädchen und bat schüchtern, man möge ihn wieder zurückschleudern. Endlich, wenn es kühler wurde, zeigte sich am Fenster, das auf die Veranda ging, Annas Antlitz, ihre stillen, blauen Augen grüßten Georg, und bald, in leichtem, hellen Hauskleid, trat sie selbst heraus. Nun spazierten sie im Garten auf und ab längs der abgeblühten Fliederbüsche und treibender Johannisbeerstauden, meist auf der linken Seite, an die die freie Wiese grenzte, und ruhten sich auf der weißen Bank nah dem obern Gartenende unter dem Birnbaum aus. Erst wenn das Abendessen aufgetragen wurde, erschien Frau Golowski wieder, nahm bescheiden ihren Platz am Tische ein und erzählte auf Befragen allerlei von den Ihrigen; von Therese, die nun in die Redaktion eines sozialistischen Blattes eingetreten war, von Leo, der dienstlich jetzt weniger beschäftigt als früher, mathematischen Studien emsig oblag und von ihrem Gatten, dem sich, während er in einer rauchigen Kaffeehausecke den Schachkämpfen unermüdlicher Spieler mit Hingebung zuschaute, immer neue Hoffnungen regelmäßigen Erwerbs eröffneten und gleich wieder verschlossen. Nur selten kam Frau Rosner zu Besuch und entfernte sich meist bald nach Georgs Erscheinen. Einmal an einem Sonntagnachmittag war auch der Vater hier gewesen und hatte mit Georg eine Unterhaltung über Wetter und Landschaft geführt, als wäre man 182
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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