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144 C. Wolfgang von Weisl
der Drusen aus dem Libanon und nach der GrĂĽndung ihres Staates im Hauran2 und
im zweiten Jahre nach dem Ende des Weltkrieges, besagter Ibrahim Beg, Baron der
Atrasch-Familie, seit einer guten Viertelstunde nichts anderes tat, als mit der ruhigen,
aber doch leidenschaftlichen Ausdauer vor sich hin zu fluchen, die allein den Meister
vom Dilettanten unterscheidet.
Der edle Beg war weit davon entfernt, seine Klassiker in ihrer ganzen WortfĂĽlle zu
beherrschen. Er war ein schlichter Grundbesitzer und wie jeder Angehörige des kleinen,
ritterlichen Räubervolkes der Drusen verstand er mehr vom Waffenhandwerk als von
Sprachwissenschaft. Aber er durfte sich rĂĽhmen, dass der gelehrteste Gelehrte und der
weiseste der Weisen der El Ashar Moschee in Kairo3 – nie verbleiche ihr Glanz ! – ihn
in der reichen Auswahl seiner Flüche, in ihrer klaren und sorgfältigen Aussprache und
in ihrer richtigen Betonung nicht hätte übertreffen können. Schweigend vor Ehrfurcht
und Lernbegierde hörten ihm drei bis an die Zähne bewaffnete Drusen zu, während
ihr AnfĂĽhrer ein Donnerwetter nach dem anderen unter seinem eisgrauen Schnauzbart
hervorwirbeln lieĂź.
Durch einen Feldstecher – ein nützliches Andenken an einen geglückten Überfall
auf eine deutsche Kolonne beim großen Rückzug 19184 – spähte der Alte nach dem
langgezogenen niederen Hügel am rechten Jordanufer, auf dem die Häuser von Metulla
in zwei parallelen Reihen standen. Die weiĂźgekalkten Mauern und die roten Marseiller
Ziegel ihrer schrägen Dächer leuchteten durch das staubgrüne Laub hoher dickstämmi-
ger Eukalyptusbäume, wie sie die Juden seit vierzig Jahren überall in Palästina anpflanz-
ten. Fremd und störend hoben sich diese europäischen Gebäude von den gelblichen
Hängen der beiden Ausläufer des Libanon und Anti-Libanon ab5, die hier durch den
schmalen Jordanlauf getrennt werden. Fremd und störend empfand sie auch der Druse,
während er durch sein Glas das erste Haus der Dorfstraße beobachtete, vor dessen Tor
seit mehr als einer Viertelstunde ein Araber verhandelteÂ
– der Bote Ibrahim Begs an die
Juden von Metulla.
»Verdammt sei sein Glaube und der seines Vaters und Vatervaters !«, knurrte der Beg
und zerrte ärgerlich an den Enden seines Bartes. Er schob seinen Turban zurecht. Das
weiße Tuch um den roten Fez tat aller Welt kund, dass Ibrahim el Atrasch ein »Akil«,
ein »Eingeweihter« der drusischen Geheimlehre war, der weder rauchte noch trank,
2 Hauran : BasaltwĂĽste im sĂĽdwestlichen Syrien.
3 El Ashar Moschee : erbaut 970 in Kairo, Zentrum der islamischen Gelehrsamkeit, 972 GrĂĽndung
einer Lehranstalt (erste Universität der Welt).
4 Am 19. September 1918 hatten die Alliierten im Ostjordanland die Truppen der Mittelmächte
zurĂĽckgeschlagen.
5 Libanon, Anti-Libanon : ca. 150 bis 160Â km lange Gebirgsketten entlang der MittelmeerkĂĽste in-
nerhalb des libanesischen Staates bzw. an der Grenze zu Syrien.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355