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Der Anfang der Wandlung Israels 145
noch je eine Lüge sprechen durfte und der sich auch der Frauen enthielt in den Zeiten,
wo dies vorgeschrieben ist. Er rückte an seiner Pistolentasche. Er lockerte den Gürtel.
Er stampfte mit dem Fuß. Kurz, soweit ein Führer von Kriegern Ungeduld verraten darf,
zeigte Ibrahim Beg, dass er mit dem Gang der Dinge nicht zufrieden war. »Die Yahud6
wollen uns nicht nach Metulla hineinlassen ! Der Scheitan7 soll sie braten, dort wo die
Hölle am heißesten ist.«
Der Bote drüben von Metulla verhandelte unterdessen ununterbrochen. Der Feldste-
cher ließ erkennen, wie er mit weit geöffnetem Munde Worte gegen das fremde Haus
schrie, während er dabei unermüdlich sein weißes, fransenverziertes Kopftuch – die
Keffiye – schwenkte, als wäre dies eine gesetzlich anerkannte Parlamentärflagge. End-
lich öffnete sich die Tür. Der Beg sah einen jungen Burschen aus dem Hause treten,
mager, sehnig, eine Spanne höher als der Araber ihm gegenüber, mit langen, schwar-
zen Haaren, die im Westwind um seinen Kopf flogen. Seine Flinte im Anschlag an
der Hüfte, trat der Mann ein paar Schritte weit aus der Deckung der Haustür heraus,
als wisse er nicht, dass vom andern Jordanufer her Gewehre auf ihn gerichtet seien. Er
brüllte : »Jetzt haben wir genug geschwätzt. Noch eine Minute gebe ich dir – bist du
dann nicht über dem Jordan, schieße ich !«
Der Parlamentär zuckte die Achseln. Ohne sich um das bedrohlich nahe Gewehr
des Gegners zu kümmern, wickelte er bedächtig seine Fahne wieder, wie es sich für ein
rechtschaffenes Kopftuch gehört, um den kahlgeschorenen Schädel, befestigte sie mit
der schwarzen Kamelhaarschnur des »Aghal«8 und ging ohne Hast zum Jordanufer. Der
Araber war überzeugt, dass die Drohung mit dem Schießen nicht sehr ernst gemeint
war. Er glitt die hohe Uferbank hinunter, die den Lauf des schmalen Flusses verdeckte.
Von Felsblock zu Felsblock springend, überquerte er das von den ersten Schneeschmel-
zen eisgraue, tosend dahinschießende Wasser, erkletterte den Osthang des Jordans und
stand einige Minuten später vor dem Atrasch.
Der alte Baron sah ihn neugierig an : »Was hat der Jude gesagt ?« »Die Juden wollen
nicht !« Ibrahim Beg zog ungläubig die buschigen Augenbrauen so hoch, dass sie fast
unter der weißen Fez-Binde verschwanden : »Sind die Yahud verrückt ? Du hast ihnen
in meinem Namen freien Abzug mit Gewehren und Patronen zugeschworen ? Du hast
ihnen gesagt, dass wir fast tausend Mann stark sind – und sie lassen uns nicht nach
Metulla hinein ?«
6 Yahud (arab.) : Juden.
7 Scheitan (arab.) : Teufel.
8 Aghal (arab.) : Kordel zur Befestigung der Keffiyeh.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355