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Der Anfang der Wandlung Israels 151
der schon gegen die Türken gekämpft hatte, ihm ging es nicht um Beute, um Rinder
und um Geld, wie den einfachen Beduinen. Ihm ging es auch nicht um kriegerischen
Ruhm, wie dem Drusenbeg, der, vor Zorn krebsrot, an seinem Schnurrbart kaute, weil
die Handvoll Juden da drüben seinen Vormarsch hinderte. Für ihn war das Judendorf
Metulla mit den fünfzig, sechzig Steinhäusern an den Jordanquellen nur einer der vielen
Fremdkörper im Leib des heiligen arabischen Mutterlandes.
Die zwei anderen Dörfer weiter südlich – Kfar Giladi und Tel Chai – in denen an-
dere Trupps jüdischer Arbeiter verschanzt waren, das waren weitere Fremdkörper, die
rasch, rasch herausgeschnitten werden mussten, ehe es zur Festsetzung der endgülti-
gen Grenzen des neuen syrischen Reiches kam. Es ging ihm um Land und Volk. Die
Juden hier störten die nationale Einheit seiner geliebten Heimat. Und deshalb redete
Dr.
Schükri Effendi zu den Arabern, ihre Kampflust anzustacheln. Er sprach und sprach
und sprach mit der ganzen Beredsamkeit des Großstädters. In klassischem Arabisch
strömte ein Dichterwort nach dem andern über seine Lippen ; ein Koranvers nach dem
andern feuerte die lauschenden Häuptlinge an, die genießerisch seine gepflegte Sprache
tranken. Nichts schätzt auch der ungebildete Beduine so sehr wie ein schönes Arabisch,
wie einen eleganten Stil.
Aber als Schükri Effendi fertig war, schüttelte der Scheich der El H’san ruhig den
Kopf : »Wenn du willst, Schükri Effendi, so magst du tun, was dein Herr verlangt ! Meine
Männer werden den Juden den Rückzug abschneiden, wenn du stürmst. Aber angreifen
werden wir heute nicht.« – »Wallah ! Bei Gott ! Ich werde allein angreifen ! Ich und Ibra-
him Beg und meine Leute aus Damaskus und Kuneitra !«17, brüllte Schükri und sprang
auf. Mit weitausholender Bewegung schwang er sein Gewehr in der Luft. Sonnenstrah-
len fielen funkelnd durch das Laubdach des Baumes, blitzten auf dem blanken Stahl-
lauf, schimmerten auf dem weißen Kopftuch des Offiziers, das sich hell und scharf vom
dunklen Laub des Karubbaumes abhob. »Wallah ! Ich greife an !«, wiederholte der Arzt.
Da drüben, jenseits des Jordans, hob sich ein heller, kleiner Rauchstreifen aus einem
Fenster des Eckhauses von Metulla. Ein Laut wie ein Peitschenknall brach sich an der
hohen Uferwand des Jordans und noch einer – verwundert hielt Schükri Effendi inne,
griff in die Brust des khakifarbenen Offiziersrocks der Faisal-Armee, den er trug, zog
die Hand rot heraus, drehte sich um und fiel nieder.
»Ich sagte ja, es lohnt nicht. Die Juden sind Narren. Schießen auf eine Entfernung,
wo kein Vernünftiger eine Kugel verschwendet«, brummte der alte Scheich und kniete
neben dem Verwundeten nieder, den er geschickt untersuchte ; dann richtete er sich auf :
»Das Schlüsselbein ist zerschossen. Seine Leute aus Damaskus können ihn nach Hause
schaffen, wenn er es überlebt.«
17 Kuneitra, Quneitra : Stadt auf den Golanhöhen im Südwesten Syriens.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355