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Der Anfang der Wandlung Israels 199
den her, drei Dutzend Meter höher gelegen, starrten kahl und weiß die Steinhäuser der
Jaffastraße76, von der ein paar kurze Häuserreihen, das reiche französische Nonnen-
kloster77, ein kleines arabisches Hotel, ein paar Geschäftshäuser und armselige Hand-
werkerbuden als letzte Ausläufer des »neuen« Jerusalem nach Süden bis zur Mamilla-
Straße78 vorstießen.
»Das Neue Jerusalem«, dachte Eldad verächtlich, als er die paar Häuserblocks mus-
terte, die sich südlich vom Jaffator an die schöne, alte Mauer anschmiegten. »Neues
Jerusalem ! Wenn wir einmal etwas in dieser Stadt zu sagen haben werden, dann werden
wir ein anderes Jerusalem bauen ! Mit großen, breiten Straßen, mit Alleen und Parkan-
lagen, eine würdige Hauptstadt des ältesten Volkes der Welt. Aber das da
– das ist kein
altes und kein neues Jerusalem. Das ist ein schäbiges Provinzstädtchen im schäbigsten
Orient.«
Eldad hatte Unrecht mit seinem harten Urteil über die Erbauer des »Neuen Jerusa-
lem«, der Stadt außerhalb der alten Mauer. Er wusste nicht, wie schwer die Türken und
die Juden jeden Schritt nach vorwärts gemacht hatten, solange das alte Regime Abdul
Hamids in dieser Stadt herrschte. Wie lange war es denn her, dass kein einziger Jude
wagte, außerhalb der Stadtmauer zu wohnen, die das Heilige Jerusalem umgab. Das
Jerusalem mit der Klagemauer, in der alle Tränen und alle Liebe zweier Jahrtausende
eingegossen sind. Das Jerusalem mit seinen Dutzenden kleinen und kleinsten Syna-
gogen und Schulen. Das Jerusalem, wo jeder jeden kannte, jeder jeden überwachte, wo
die Frömmsten der Frommen Israels zusammenwohnten, bis sie starben – nein, um zu
sterben.
Das Judenviertel der Altstadt Jerusalems – ein kleiner Teil der Stadt, die in ihrer
Gänze nicht größer war als ein Viereck, das man bequem in einer Stunde umwandern
kann : das war das Herz des jüdischen Volkes gewesen, der Kern der Judensiedlung in
Palästina, als um die Mitte des 19. Jahrhunderts der reiche und wohltätige englische
Jude, Sir Moses Montefiore, Jerusalem besuchte und versuchte, etwas für die Juden Pa-
lästinas zu tun.79
76 Jaffastraße : eine der längsten und ältesten Hauptstraßen Jerusalems, durchquert die Stadt von Ost
nach West, von der Altstadtmauer bis in die Innenstadt.
77 Kloster französischer Karmelitinnen neben der Paternosterkirche auf dem Ölberg, errichtet 1874
von Prinzessin Aurélie de La Tour d’Auvergne (1809–1889).
78 Mamilla Straße, die 600
m lang vom nordwestlich der Altstadt gelegenen Bezirk zum Jaffator führt.
79 Moses Montefiore (siehe biographische Daten, S. 344) ; vgl. WvW : Theologie des Zionismus und
Antizionismus. In : Emuna, Horizonte zur Diskussion über Israel und das Judentum (Frankfurt/M.)
8 (1973), S.
181 : »Die Bestrebungen eines Montefiore […] zur Gesundung des Jischuw in Jerusalem
stießen auf erbitterten Widerstand der aschkenasischen Rabbiner. Sie protestierten selbst gegen den
Bau eines jüdischen Spitals [Bikur Cholim, gegr. 1843], weil der von Montefiore entsandte Arzt
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355