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226 C. Wolfgang von Weisl
die »Sayuni«, die Zionisten, und deren große närrische Pläne. Ihr war, als sollte sie ewig
hier sitzen bleiben, ewig die Welt durch die TĂĽrspalte betrachten, in Gesellschaft des
Wasserkrugs, des KĂĽchentisches, des Primusbrenners und der Petroleumkannen.
Dies war die Zukunft, die ihre Mutter für sie erträumte. Zufriedenheit, vielleicht
sogar Glück. Aber – nicht mehr. Und hier, neben ihr, war ein Mann, der das Leben
war. Das wirkliche, gewaltige Leben. Der ihr nicht erzählen würde von Tuch, das er
billig genug eingekauft, und von Ackermaschinen, die er teuer genug losgeschlagen, wie
Männer ihrer Schwestern es taten, sondern der lebte und der sie in sein Leben hinein-
stellen wĂĽrde.
Leise schloss sich hinter ihnen die TĂĽr des Hauses. Die Nacht umfing sie wie ein
dunkler Mantel. Hanna sah Eldad von der Seite an, während er ebenso schweigsam wie
sie selbst den Hügel bergan stieg, der ölbaumbestanden das Häuserviertel der Spaniolen
vom Karrenweg trennte, der zur Deutschen Kolonie fĂĽhrte.
»Simson«, fiel ihr ein. »Simson gleicht er mit den langen, schönen Haaren, der brei-
ten Brust, dem harten, eigenwilligen Gang. Meine Mutter hat Recht. Der Mann wird
kein Beamter sein und kein guter Familienvater. Auch Simson ist kein guter Ehemann
gewesen.« Hanna versuchte, sich zu erinnern, was eigentlich Simsons Ehe zerstört
hatte. Sie wusste es nicht. Stattdessen sah sie Simson mit Delila111, sah ihn mit anderen
Frauen und begann schattenhaft zu verstehen, dass diese Geschichten der Bibel nicht
ohne Zusammenhang sind mit denen, die von seinen Heldentaten erzählen. Sie sah
ihn im Kampfe, sah ihn sterben, den unfassbaren Schlachtruf des gewaltigsten Hassers
brüllend : »Tamut nafschi im haphilischtim ! Mag selbst meine Seele sterben und nicht
nur mein KörperÂ
– aber sterbend möge sie den Tod der Feinde schauen !«112
Ihr war, als sei GlĂĽck vielleicht gar nicht so wichtig, wie ihre Mutter meinte. Als sei
es wichtiger und sogar schöner, ins Unglück, ins Elend zu gehen mit einem Mann wie
Eldad, der anders dachte und anders sprach und anders handelte als alle Männer ihrer
Welt. Als sei entscheidend, bei ihm zu sein und mit ihm Schicksalsschweres, Unerhörtes
erleben zu können.
* * *
an der Seite der Mittelmächte (Deutschland und Österreich-Ungarn) in den Weltkrieg führte und
durch die Niederlage dessen Untergang beschleunigte ; infolge ihrer extremen TĂĽrkisierungspolitik
hauptverantwortlich für den Völkermord an den Armeniern (1915), ab 1920 führende Rolle beim
Aufbau der türkischen Republik unter Mustafa Kemal Atatürk (1881–1938), der ebenfalls aus der
jungtĂĽrkischen Bewegung hervorgegangen war.
111 Delila : philistinische Frau Simsons, die ihn an ihr Volk verriet.
112 Simson (Anm. 31).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355