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Der Anfang der Wandlung Israels 321
und hielten in den Nächten zusammen mit den Arbeitern Schießübungen ab. Ein ehe-
maliger Reserveoffizier der deutschen Armee schulte sie in Infanterie, und Eldad zeigte
ihnen, wie es in der russischen Armee üblich war, Handgranaten zu werfen.
Der April neigte sich dem Ende zu. Die arabischen Arbeiter, die täglich aus ihren
Dörfern in die jüdische Siedlung kamen, lästerten über die schwere Arbeit und den
niedrigen Lohn, über die neuen Sayuni, die neuen Zionisten, die selbst als Taglöhner
arbeiteten und ihnen die Arbeit wegnahmen. Neugierig fragten sie Eldad, ob es wahr
sei, »dass die Sayuni uns unser Land wegnehmen wollen, unsere Häuser und unsere
Frauen« : »Sag uns doch die Wahrheit, wir glauben dir, wir wissen, dass du ein ehrlicher
Mann bist, obwohl die andern Juden nicht gut und ehrlich sind. Sag uns doch, Herr, ist
es wahr, dass die Zionisten uns, die Araber in die Wüste verjagen wollen, damit wir dort
elend verdursten ? Ist es wahr, dass am ersten Mai ein großes jüdisches Fest stattfinden
soll, an dem die russischen Juden alle Muslime zu Ehren ihres Heiligen namens Trotzky
abschlachten werden ?«202
Die alteingesessenen jüdischen Siedler erinnerten sich noch an das zaristische Russ-
land. Sie erinnerten sich, welche Gerüchte sich dort vor einem Pogrom verbreiteten. Sie
erschienen jetzt oft bei Eldad, setzten sich zu ihm auf die Gartenbank und hörten ihm
zu, was man tun könne, um sich bei einem Angriff zu verteidigen. Sie wurden von Tag
zu Tag ernster und aufgeregter. Schwere Wolken legten sich über die sattgrün belaubten
Orangen- und die gelbblühenden Akazienbäume.
Nur einer von ihnen, der sonst immer schwermütig und still war, wurde aber immer
lebendiger, je mehr sich die Gerüchte aus den arabischen Dörfern verbreiteten und be-
unruhigender wurden. Er hieß Beilinson, 1878 einer der Gründer von Petah-Tikwa. Er
lachte alle aus, die besorgt und ängstlich waren. Als er einmal Eldad begegnete, glättete
der grobknochige, alte Mann seinen schneeweißen Bart und rief ihm lachend zu : »He,
Offizier, komm mal her ! Du fürchtest dich vor den Arabern ? Sollen sie doch kommen,
dann springe ich zusammen mit dir auf ein Pferd, und mit uns kommen ein Dutzend
Burschen, und wir greifen die Horde an ! Du und deine neuen Waffen seid überflüssig !
Wir können uns ihnen auch so entgegenstellen !« Er schlug Eldad so heftig auf die
Schulter, dass dieser zusammenzuckte und gequält lächelte.
Am Eingang des Dorfes errichtete Eldad eine Dornenhecke, er verwendete Rei-
sig von Akazienbäumen, Kakteen und etwas Stacheldraht. Auch die mit Farughis ge-
spendetem Geld erworbenen Maschinengewehre wurden am Dorfrand gut versteckt
aufgestellt. Eldad hielt diese Maßnahmen für erforderlich, weil er nicht daran glaubte,
202 Leo Trotzki (1879–1940) : russischer Marxist jüdischer Abstammung, führender Organisator der
Oktoberrevolution, Gründer der Roten Armee, 1929 von Stalin ins Exil gezwungen, in dessen
Auftrag 1940 in Mexiko ermordet.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- Abkürzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- Einbürgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355