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Sprachverfall
ten aber fortbestand. Im 16. Jh., beim Entstehen der
Schriftsprache, waren die slowenischen Dialekte nahe
am Umkippen zugunsten des Bairischen.
Das sprachliche Mischmasch der → Minnesänger,
dort, wo sie ihre Windisch-Kenntnisse zeigen, wie Os-
wald von Wolkenstein, ist eher artifizielle Spielerei,
wiewohl sie alle mehrsprachig waren und → windisch,
d. h. Slowenisch konnten. Die Sprache der Texte der
→
Klagenfurter Handschrift und die → Trubars und
→
Dalmatins (beide lebten übrigens in Deutschland)
zeigen deutlich die slowenisch-»deutsche« Bilingualität
des 14., 15. und 16. Jh.s und den literarischen Einfluss
des prestigehaften Vorbilds der Luther-Bibel : gnada/
die Gnade, večni leben/das ewige Leben, žegen/der Se-
gen, jogri/die Jünger, martra/die Marter, brumna žena/
die fromme Frau. Charakteristisch für jene Zeit sind
farmošter/Pfarrer, pridiger/Prediger, šulmajster/Lehrer,
gmajna/Gemeinde, škof/Bischof, grof/Graf, wobei nicht
immer das Wort genau in der bairischen Form oder
Aussprache übernommen, sondern irgendwie verändert
wird, wie heute der Bezirkshauptmann als gospod becirk
bezeichnet wird (→ Entlehnungen).
Gravierender ist die Aneignung strukturell gramma-
tikalischer Elemente wie der Gebrauch des bestimm-
ten und unbestimmten Artikels (ta žena »die Frau«, ta
mož »der Mann«, an pild »ein Bild«, anu kratku podučene
»eine kurze Unterweisung«, an duh tiga lebna »ein
Hauch des Lebens«, taku je ta človik postal ana živa duša
»so ist der Mensch geworden eine lebende Seele«). Oder
das Passiv (posvečena bodi tuje ime »geheiligt werde dein
Name«, ta bode verdamnan »der werde verdammt«), oder
syntaktische Parallelen wie sturimo človeka an pild de bo
nam glih »machen wir den Menschen ein Bild, dass
er werde uns gleich« und idiomatische Wendungen
wie grehe štrajfati na sebe »Sünden auf sich nehmen«,
seslužon lon »der verdiente Lohn« bis zu en zauber fant
»ein fescher Kerl« im Volkslied. Ebenso die Zählweise
»zweiundzwanzig« dvaindvajset. Auch die Aneignung
kleiner Partikel wie le im Zusammenhang mit dem be-
rühmten kärntnerbairischen lei lei.
Vieles davon ist im 19. Jh. in der Schriftsprache nor-
mativ beseitigt oder durch »erfundenes oder anderes
Slawisch« ersetzt worden. Umgekehrt ist infolge von S.
auch im steirischen Bairisch vieles dem Slowenischen
nachgemacht worden. Besonders reizvolle, wenig beach-
tete Spuren des Slowenischen finden sich im Bairisch
der Almerinnen und in Liedern, wo der alte Dialekt an
einzelnen Wörtern noch erkennbar ist. Das berühmte
Juchhe und juchatzn »Juchhe schreien« kommt vom (von der Almhütte auf die Alm hinaus geschrieenen) juha je
»die Suppe (das Essen) ist fertig« oder das Dulieh von
dole je »er ist unten (im Tal ; ich wär allein)«. In einem
der schönsten alpinen Liebeslieder heißt es : »Und i seh
di ned wischpln und hör di ned schrein, da Bua wird
schon längst iwa Granitzn sein…«. Wischpln ist slowe-
nisch vipašljati/vipasti »das Vieh (aus-)weiden«.
Das soziale Prestige der anderen Sprache im Mit-
telalter ist auch an den → Personennamen erkennbar.
Statt Kinder mit slowenischen Namen zu benennen,
gibt man ihnen einen modischeren germanisch-bairi-
schen. Eine Zeit lang erwähnt man noch die sprach-
liche Zugehörigkeit. In der Steiermark Sifridus sclavus,
Gertrudis cognomine Ljuba, Ians mit czunam Maligoj.
Solang es nur Dialekte und keine darauf aufbauende
Schriftsprache gibt, bleibt S. unbeachtet (→ Spracher-
halt). Erst mit der Schrift- bzw. → Standardsprache
beginnt die programmierte Nicht-Sprachmischung : die
Beseitigung und Ächtung des Fremden durch Purismus
im Glauben an eine wieder zu erreichende, verloren ge-
gangene Sprachreinheit. Die ironische Ambivalenz der
Selbsteinschätzung der sprachlichen Zugehörigkeit bei
Zweisprachigen gipfelt in Aussagen wie : mutteršpraha
je daič, a doma govorimo slovensko (unsere Mutterspra-
che ist Deutsch, aber daheim reden wir slowenisch).
Der Schutz vor S. zugunsten des → Spracherhalts ist
die konsequente Zweisprachigkeit ab dem Kindergar-
ten und eine möglichst deutliche Repräsentanz in der
Öffentlichkeit. S. hat nach keiner Seite hin eine Grenze.
Lit.: H. Schuchardt : Slawo-Deutsches und Slawo-Italienisches. Graz
1884 ; O. Kronsteiner : Mehrnamigkeit in Österreich. In : Österreichische
Namenforschung 2 (1975) 5–17 ; L. Spitzer (Hg.) : Hugo Schuchardt-
Brevier. Ein Vademecum der allgemeinen Sprachwissenschaft.
Darmstadt 1976 (1. Auflage 1921) ; O. Kronsteiner : Die Slowenen
– das zweisprachig(st)e Volk Europas. In : Die Slawischen Sprachen 27
(1991) 165–198 ; W. Mayerthaler : Substratsedimente oder Sprachkon-
takt. Der bairische Fall. In : Die Slawischen Sprachen 4 (1983) 31–35 ;
W. und E. Mayerthaler : Aspects of Bavarian Syntax or Every Language
has at least two parents. In : Die Slawischen Sprachen 35 (1994) 53–111 ;
B.-I. Schnabl : Inkulturacija, fenomen kulturnih procesov na Koroškem.
In : SMS XV (2012) 231–246.
Otto Kronsteiner
Sprachname, → Glottonym.
Sprachnorm, slowenische, vgl. → Dialekt, → Stan-
dardsprache.
Sprachverfall, → Assimilation ; →
Germanisierung ;
→ Mischsprache.
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602