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Umgangssprache
Soziolekte darunter subsumiert werden). Im zwei- oder
mehrsprachigen Kontext ist die U. ein Hinweis auf die
soziologisch dominierende Sprache, wenn U. Mutter-
sprache suggeriert (siehe unten Sprachzählungen).
Mitrović, Koruza folgend, weist darauf hin, dass
noch im 17. Jh. im slowenischen Sprachraum die tägli-
che U. in allen gesellschaftlichen Schichten, einschließ-
lich des Adels, Slowenisch gewesen sei, wie es auch
die erhaltene Korrespondenz weiblicher Adliger und
die Gelöbnisformeln in weiblichen Klöstern belegen
(→ Adelssprache ; → Coraduzzi, Ester Maximiliana).
Die Verankerung des Slowenischen als Verkehrs- und
Umgangssprache spiegelt sich in zahlreichen → In-
schriften, insbesondere auf → Chronogrammen und
gemalten →
Kreuzwegen. Sie manifestierte sich lange
auch im wirtschaftlichen Leben, wie es eine kulturhis-
torisch interessante Publikation aus dem Jahr 1876 zu
metrischen Maßen für die Holzverarbeitung und für
die Holzkohlegewinnung dokumentiert, die von der
Waldaufsicht des Hüttenberger Vereines für Erzeugung
von Eisenprodukten in Klagenfurt/Celovec (gozdarsko
nadzorništvo Hüttenberškega društva za pridelovanje
železnih tvarin v Celovcu) erstellt und vom Kärntner
Forstverband (Koroško gozdarsko društvo) auf Slowe-
nisch herausgegeben wurde. Das Slowenische war noch
bis 1938 eine derart starke U. in Kärnten/Koroška, dass
eine breite Schicht der Bevölkerung etwa im → Klagen-
furter Feld/Celovško polje erst in der Schule Deutsch
erlernte und später während des Zweiten Weltkriegs
auch Zwangsarbeiter slawischer, meist polnischer oder
ukrainischer Herkunft trotz Verbots des Slowenischen
nordöstlich von Klagenfurt/Celovec zuerst slowenisch
bzw. den örtlichen Dialekt lernten (Sturm-Schnabl).
Umgangssprache als Rechtsbegriff von Spra-
chenzählungen. Im Kärntner historischen Kontext ist
U. insbesondere eine sprachpolitische und rechtliche
Kategorie bei → Sprachenzählungen zwischen 1880
und 1923, d. h. die »Sprache, der sich die zu zählende
Person im gewöhnlichen Umgang bedient« (Fragestel-
lung 1880). 1923 wird nach der »Denksprache« gefragt,
1934 nach der Sprache des Kulturkreises (1951–2001
wurde wieder nach der Umgangssprache gefragt), wo-
bei nach Reiterer die Fragestellung eine völlig unter-
geordnete Rolle spielte und die betroffenen Menschen
sehr gut wüssten, was gemeint sei : »Sie [die Sprachen-
zählungen] werden als Frage nach der ethnischen Zu-
gehörigkeit und dadurch wieder als Frage nach der So-
lidarität von Minderheiten gegenüber den Mehrheiten
gestellt und verstanden.« Die Fragestellung nach der U. erlaubte es statistisch,
aufgrund soziolinguistischer, wirtschaftlicher und poli-
tischer Faktoren, die wirtschaftlich und politisch nicht
dominierenden Sprachen bzw. deren Sprachgruppen
zu schwächen und die dominanten Sprach-Eliten in
ihrer Dominanz zu stärken (Deutsch weitgehend in
Cisleithanien, Ungarisch in Transleithanien, Italienisch
im Küstenland/Primorje und Dalmatien). Aus einer
zeitgenössischen Quelle aus dem Jahr 1914 wird dies
wie folgt untermauert : »Die Muttersprache könnte
eine Auskunft über Abstammung, aber nicht über die
gegenwärtigen Sprachenverhältnisse bieten … Bei der
Annahme der Umgangssprache als Grundlage für die
Beurteilung der Völkerzahl ist die Wirkung, daß die
Mehrheiten, die herrschenden Völker jedes Ortes, stärker
erscheinen, als die Verteilung nach der Muttersprache
ergeben würde, unvermeidlich« (W. Hecke). Relevant
war dies insbesondere in den sprachlichen Randberei-
chen und urbanen Zentren, aber auch in den geschlos-
sen slowenisch besiedelten Gebieten → Südkärntens/
Južna Koroška. Trotz ihrer realen Präsenz war es so in
einem scheinbaren rechtsstaatlichen Rahmen möglich,
die Slowenen (wie auch andere → »Minderheiten«/
Volksgruppen) im Hinblick auf politische Rechte u. a.
dank der Manipulationen und der Einschüchterung
von deutschnational orientierten Zählkommissaren mit
Mitteln der sog. statistischen → Germanisierung »weg-
zuzählen«. Damit wurden die rechtlichen Grundlagen
kreiert, ihren Sprechern politische Grundrechte nicht
zu gewähren, um die tatsächliche → Germanisierung
zu forcieren und die Dominanz der Eliten zu stärken.
Solchermaßen durchgeführte Sprachenzählungen hat-
ten/haben vornehmlich den Wert von soziologischen
Indikatoren (→ Zweisprachigkeit). Die Manipulation
und ethnopolitische Instrumentalisierung des Begriffs
U. ist im Rahmen der Volkszählung 1910 besonders
gut dokumentiert. Nach Malle führte diese faktisch
der mit den Behörden kooperierende deutschnationale
Volksrat durch und bediente sich dabei der Druckmittel
des Behördenapparates mit dem Ziel, die Zahl der Slo-
wenen statistisch gering erscheinen zu lassen und das
geschlossene slowenische Gebiet Südkärntens zu zer-
splittern. Es wird von systematischen Unregelmäßig-
keiten und willkürlichem Verhalten der Zählkommis-
sare bei der Volkszählung berichtet. So wurde bisweilen
gar nicht nach der Umgangssprache gefragt, sondern
einfach »deutsch« eingetragen, oder es wurde Deutsch
bei jenen eingetragen, die nur einige Worte sprachen. In
slowenischen Gemeinden wurden deutsche Kommis-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602