Seite - 1386 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
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Umgangssprache
sare als Kontrolleure beigestellt. In den Städten über-
nahmen vielfach die Arbeitgeber bzw. Hausbesitzer die
Rolle der Zählkommissare, die die Arbeiter oder Mieter
als deutsch eintrugen. Besonders konsequent wurde die
statistische Germanisierung in Klagenfurt/Celovec be-
trieben, wo Personen, die Slowenisch als U. angegeben
hatten, aufs Magistrat gerufen wurden, um die Anga-
ben zu »korrigieren«. So war gerade bei dieser Volks-
zählung »die wirtschaftliche Abhängigkeit eines Groß-
teils der slowenischen Bevölkerung in den Städten und
Märkten von ausschlaggebender Bedeutung« (Malle).
Die aufgrund dieser Unregelmäßigkeiten vom slowe-
nischen → Katoliško politično in gospodarsko društvo
[Katholischer politischer und wirtschaftlicher Verein]
durchgeführte parallele Volkszählung wurde verboten,
und die Behörden versuchten mit allen Mitteln, die Er-
hebungsprotokolle zu beschlagnahmen. Die offizielle
Zählung ergab 82.212 Slowenen (21,2 % der Kärntner
Gesamtbevölkerung), die Zählung der Slowenen ergab
135.415 Personen mit Slowenisch als Muttersprache.
Nach offiziellen Angaben fiel der Anteil der Slowenen
im Vergleich zur Volkszählung von 1900 um 9,1 %.
Bezeichnend für die intrinsische Inkohärenz der Me-
thodik bei Sprachenzählungen sind die Ergebnisse der
Volkszählung von 1910, wie sie im → Ortsverzeich-
nis von 1918 wiedergegeben sind. In jenen Orten, wo
etwa nur eine Person mit slowenisch als U. angeführt
ist, ist dies in deutschsprachigen Migrationszentren
notwendigerweise als Muttersprache zu interpretieren.
Im Ortsverzeichnis 1918 wird zudem eine Reihe von
Orten westlich und nordwestlich von → Hermagor/
Šmohor, im Unteren Gitschtal (Višprijska dolina) und
nordwestlich von Brückl/Mostič in beiden → Landes-
sprachen angeführt, d. h. im historischen geografischen
Randbereich Südkärntens, in denen keine einzige Per-
son mit Slowenisch als U. verzeichnet ist. Da die Er-
läuterungen besagen, dass bei zweisprachigen Ortsan-
gaben diese angegeben sind, »sofern sie als orts- oder
sprachüblich anerkannt sind«, liegt unter Berücksich-
tigung weiterer Indikatoren die Vermutung nahe, dass
dies u. U. auf eine weit fortgeschrittene, jedoch noch
nicht gänzlich abgeschlossene Phase des →
Sprach-
wechsels hindeutet.
Dominante Verkehrssprache. Zu erwägen ist da-
neben auch die Kategorisierung einer kollektiven U. als
dominante Verkehrssprache (→ Lingua franca) eines
Ortes oder einer Stadt, sei es in rechtlicher, sei es in
soziologischer Hinsicht, d. h. als kollektive oder öffent-
lich tradierte/suggerierte Wahrnehmung der sprach- lichen Identität eines Ortes, die nicht notwendiger-
weise mit der Realität übereinstimmen muss. So galt
→ Villach/Beljak immer als stärker »deutschsprachig«
im Vergleich zu → Klagenfurt/Celovec, dem durchaus
eine »slowenischsprachige« Teilidentität zugeschrieben
wurde/wird (→ Kryptoslowenen) (ein Bonmot beim
Villacher Fasching in den 1980er (?) Jahren für Kla-
genfurt/Celovec war Celovcendorf). Die solchermaßen
veröffentlichte Meinung mag einerseits die tatsächliche
gesellschaftliche → Relevanz der Sprache in einem
soziologischen Kontext spiegeln. Andererseits schafft
sie eine Erwartungshaltung, die den öffentlichen Ge-
brauch einer Sprache entweder stärkt oder inhibiert
und damit wesentlich zur Dynamik der Sprachent-
wicklung beiträgt. In diesem Sinne entspricht die
Umgangssprachgrenze nicht notwendigerweise der
tatsächlichen Sprachgrenze. Besondere Relevanz erhält
die Wahrnehmung der sprachlichen Identität eines
Ortes im Sinne von Verkehrssprache bei → Binnenmi-
grationen, wo zu beobachten ist, dass die U. mit dem
Wohnortwechsel aus einer traditionellen Gemeinschaft
in eine neue wechselt, wenn diese nicht eine sichtbare
slowenische sprachliche Identität aufweist. Besonders
frappant ist, dass die Zusiedler in den neuen Siedlungs-
gebieten um die urbanen Zentren, die aus slowenischen
Gebieten stammen, untereinander nicht mehr das Slo-
wenische als U. verwenden. Deshalb sind die öffent-
lichen topografischen Aufschriften von so eminenter
struktureller Bedeutung für die Wahrnehmung der
Volksgruppensprache/des Slowenischen als öffentlich
anerkannter Verkehrssprache, d. h. für die langfristige
Dynamik der Sprachentwicklung (→ Amtssprache,
→ Name und Identität). Das erklärt auch einerseits die
grundrechtsverneinenden Widerstände gegen die Auf-
stellung zweisprachiger topografischer Aufschriften
bzw. andererseits das humanistische und politische En-
gagement für diese (→ Assimilationszwang, → »En-
tethnisierung«).
Quellen : Kazala za določenje telesnine okroglega, obtesanega i rezanega
lesa, potem oglaskih kop v metrični meri. Za upotrebljenje pri lesoterštvu
izdelana v pisarni gozdarskega nadzorništva Hüttenberškega društva za
pridelovanje železnih tvarin v Celovcu. Izdatelj : Koroško gozdarsko
društvo. V Celovcu 1876, tisk koroške tiskarne Bertschinger in Heyn-
a, V samozaložbi društva ; W. Hecke : Volksvermehrung, Binnenwan-
derung u. Umgangssprache in den nördlichen Ländern Österreichs. In :
Statistische Monatsschrift, k. k. Statistische Zentral-Kommission, XIX.
Jg., Brünn 1914, 653–674, Zitat S. 662.
Lit.: ES (J. Toporišič : Pogovorni jezik). – T. Veiter : Die Sprach- und
Volkszugehörigkeit in Österreich nach den Ergebnissen der Volkszäh-
lung von 1939. In : Europa Ethnica 22 (1965) 109–123 ; T. Ferenc,
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602