Seite - 1412 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
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Vertrag von Saint-Germain
ten Hauptmächte oder jeder anderen Macht, welche
Mitglied des Rates des Völkerbundes ist, diese Mei-
nungsverschiedenheit als ein Streitfall anzusehen ist,
dem nach den Bestimmungen des Artikels 14 des Völ-
kerbundvertrages internationaler Charakter zukommt.
Die österreichische Regierung stimmt zu, daß jeder
derartige Streitfall, wenn es der andere Teil verlangt,
dem ständigen internationalen Gerichtshofe unter-
breitet werde. Gegen die Entscheidung des ständigen
Gerichtshofes ist eine Berufung unzulässig und hat die
Entscheidung die gleiche Kraft und denselben Wert
wie eine auf Grund des Artikels 13 des Vertrages ge-
troffene Entscheidung.«
Insgesamt spiegelt der Vertrag von Saint-Germain
den europäischen Trend und das Dilemma zwischen
Festigung der Ideologie der monoethnischen Natio-
nalstaaten und eines interessenbegründeten Minder-
heitenschutzes. Dieser galt in jener Zeit in der Regel
immer nur für die jeweils eigenen Minderheiten im an-
deren Land. Der Minderheitenschutz war so ein Inst-
rument der Machtpolitik, bei dem das Konzept der Na-
tionalstaaten überwog. Aus konstitutiven Völkern oder
Volksgruppen wurden nunmehr auch verfassungsrecht-
lich zweitrangige → Minderheiten (→ Dezemberver-
fassung 1867, → Landessprache). Das wird insbeson-
dere durch die Bestimmung hinsichtlich der Priorität
des Deutschen als Unterrichtssprache in Art. 68 deut-
lich, die der → Germanisierung und → Assimilation
der Slowenen durch das utraquistische → Schulwesen
Tür und Tor öffnete bzw. diese seitens der internationa-
len Gemeinschaft den damaligen realpolitischen Ge-
pflogenheiten entsprechend in Kauf nahm.
Die Vertreter der Kärntner Slowenen (das Slovensko
šolsko društvo [Slow Schulverein] bzw. dessen Vorsit-
zenden Dr. Josip → Ogris und dessen Sekretär Franc
→ Aichholzer) legten erstmals bereits am 10. Jänner
1922 unmittelbar beim Völkerbund Beschwerde wegen
der amtlichen Behinderung der Wiedererrichtung der
slowenischen Privatschulen in St. Ruprecht bei Völker-
markt/Šentrupert pri Velikovcu und in St. Jakob i. R./
Šentjakob v Rožu ein (→ Schulwesen unter jugosla-
wischer Verwaltung in der Zone A). Zuvor hatten sie
bei den österreichischen Behörden unter Berufung auf
die Bestimmungen des Vertrages von Saint-Germain
keinen Erfolg, ebenso halfen die jugoslawischen Inter-
ventionen nicht. In drei Jahren des Schriftverkehrs zwi-
schen Genf, Wien und Klagenfurt/Celovec verlor die
Beschwerde ihre Relevanz. Die jugoslawischen Behör-
den ihrerseits beschränkten sich auf eine rein formelle Unterstützung der Beschwerde und zögerten vor allem
aufgrund der eigenen Verpflichtungen im Minderhei-
tenschulwesen im eigenen Staat.
Die zweite Beschwerde der Kärntner Slowenen beim
Völkerbund bezog sich auf die Diskriminierung bei der
Volkszählung im Frühjahr des Jahres 1934, als nach der
Sprache gefragt wurde, »zu deren Kulturkreis sich der
Befragte zugehörig fühlt« (»Bekenntnisprinzip«), wobei
es zu einem außerordentlichen Rückgang der Zahl der
Angehörigen der Minderheit zwischen 1923 und 1934
gekommen war (→ Sprachenzählung). Am 29. Sep-
tember 1934 brachte der Präsident des → (Katoliško)
Politično in gospodarsko društvo za Slovence na Koroškem
[Politischer und Wirtschaftsverein für die Slowenen
in Kärnten], der Landtagsabgeordnete Franc → Pe-
tek, die Beschwerde ein (→ Abgeordnete). Diese
hatte einen gewissen Widerhall in der internationalen
Gemeinschaft, die österreichische Ständeregierung be-
stätigte im Vorverfahren vor dem Völkerbund einige
Beschwerdepunkte, doch war damit die Angelegenheit
auch abgeschlossen.
Der Minderheitenschutz, den das System der Frie-
densverträge nach dem Ersten Weltkrieg gewähr-
leisten sollte, erwies sich zumindest als halbherzig,
unzureichend und ineffizient. Der → Europäische Nati-
onalitätenkongress (ENK) stellte sich zur Aufgabe, die-
sen Mangel zu mindern und tagte erstmals am 15.–16.
Oktober 1925 in Genf.
Einige der Bestimmungen des Staatsvertrages von
Saint-Germain blieben auch nach 1945 in Kraft und
Teil des österreichischen Verfassungsrechtes.
Archive : Allgemeines Verwaltungsarchiv AVA, Wien ; Fond des Un-
terrichtsministeriums, 18a Kärnten.
Quellen/Web : Staatsgesetzblatt 330/1919 : Der Staatsvertrag von
Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1920, http://www.verfas-
sungen.de/at/index.htm ; Koroška v mirovni pogodbi. In : Mir (Celo-
vec), 38/1919, Nr. 25, S. 109 ; Privremeni zakon o ugovoru o miru u
Sen-Žermenu. In : Službene novine Kraljevstva Srba, Hrvata i Slo-
venaca, 2, 1920, 19. junij (vanredni broj 133-a) ; Senžermenska pogodba
o varstvu manjšin v Avstriji. In : Koroški Slovenec, 6. 4. 1921 ; Docu-
ments on the Carinthian Question. Belgrade 1948, Nr. 6, 10, 11.
Lit.: ES (J. Stergar : Senžermenska mirovna pogodba). – L. Rehák :
Manjine u Jugoslaviji. Beograd 1965 (Diss.), S. 114 ; B. Grafenauer :
Slovenska Koroška v diplomatski igri leta 1919. In : Koroški plebiscit.
Ljubljana 1970, 295–378 ; J. Stergar : Mednarodna manjšinska zaščita.
In : Vestnik koroških partizanov, 9, 1975, Nr. 1–2, 96–104 ; H. Haas, K.
Stuhlpfarrer : Österreich und seine Slowenen. Wien 1977, 36–37, 68, 69,
123, 128 ; A. Malle : Poskusi obnovitve slovenskega šolstva na Koroškem
v dvajsetih letih našega stoletja. In : ZČ 31, 1977, Nr. 2, 169–180 (auch
in : Mladje 25 [1977] 46–82 mit deutscher Zusammenfassung und
Faksimile) ; C. Gütermann : Das Minderheitenschutzverfahren des Völ-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602