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Wiener Schriftsprachen-Vereinbarung
wenen, Kroaten und die Serben [letztere in Dalmatien,
in der Wojwodina/Vojvodina und in der Militärgrenze/
Vojna Krajina]), war es naheliegend und beabsichtigt,
eine möglichst konvergierende Rechtsterminologie zu
schaffen. Dies deshalb, weil insbesondere Kroatisch
und Serbisch trotz unterschiedlicher und vielfältiger
Staatsrechtstraditionen weitgehend interkommunika-
bel und die unterschiedlichen dialektalen Merkmale
nicht in erster Linie ethnisch bedingt waren, während
die zu erstellende Terminologie für die österreichische
Gesetzgebung bestimmt war. Diese verfügte ihrer-
seits über eine historisch gewachsene, einheitliche und
strukturierte Rechtssprache. Ziel war eine zweckori-
entierte Normierung des Kroatischen und Serbischen
vor allem auf morphologischem und, unter möglichen
Angleichungen der slowenischen Termini, auf rechts-
terminologischem Gebiet. Diese Vorgangsweise wird
im Vorwort (welches in der Folge als Wiener Abkom-
men/Bečki dogovor von 1850 bekannt wurde) des im
Auftrag des Ministeriums (der Regierung) erarbeite-
ten Wörterbuches »Politisch-juridische Terminologie für
die slavischen Sprachen Österreichs. Von der Commission
für slavische juridisch-politische Terminologie. Deutsch-
kroatische, serbische und slovenische Separat-Ausgabe«
(Wien 1850, ²1853, S. V–VIII) dargestellt bzw. inte-
gral im kroatischen Vorwort von Dimitrije Demeter
wiedergegeben und von weiteren vier kroatischen (Ivan
Kukuljević, Ivan Mažuranić, Vinko Pacel und
Stjepan Pejaković), zwei serbischen (Gjura Daničić,
Vuk Stefanović Karadžić) sowie dem sloweni-
schen Gelehrten Franz Miklosich/Miklošič unter-
zeichnet (Slapnicka 1974, Sturm-Schnabl 1991,
Gröschel 2009 : 11 f.). Božidar Petranović unter-
zeichnete das serbische in kyrillischer Schrift gehal-
tene Vorwort, Matej Cigale das slowenische. Dieses
Konzept war auch deshalb möglich, weil Kroatisch und
Serbisch (sowie das Bosnische und das Montenegrini-
sche) ein Dialektkontinuum bilden, dessen Einteilung
einerseits auf dem Gebrauch des Fragewortes für ›was‹
(kaj ?, ča ?, što ?) sowie auf der unterschiedlichen lautli-
chen Realisierung des urslawischen *ě-Lautes (›jat‹) als
i(:), ije (Länge) bzw. je (Kürze) und e(:) beruht. Dabei
wird das dermaßen definierte ›Ijekavische‹ von allen
vier Ethnien gesprochen, andere Varianten nur in geo-
grafischen Teilgebieten von den dort lebenden Men-
schen unterschiedlicher ethnischer Herkunft (etwa den
Roma, den Walachen usw.).
Zur allgemeinen Akzeptanz der gemeinsamen ser-
bokroatischen Schriftsprache verhalf schließlich das von der Südslawischen Akademie der Wissenschaften
und Künste (JAZU) ab dem Jahr 1880 in Zagreb he-
rausgebrachte monumentale »Wörterbuch der kroati-
schen oder serbischen Sprache«, wenn es auch zuvor
und danach abweichende Positionen gab, die sich durch
die Geschichte ziehen sollten (Kronsteiner 2002 ;
Okuka 1998 ; Okuka 2002/2, Gröschel 2009).
Für die damalige Zeit war dies eine pragmatische
und durchaus auf einem gesellschaftlichen Konsens
basierende zukunftsorientierte Lösung. Sie weist eine
Analogie in Bezug auf die Tendenz der terminologi-
schen Konvergenz heute in der EU bzw. in Bezug auf
die EU-Terminologie auf und Ähnliches fand auch in
Bezug auf die Rechtsterminologie der Sozialistischen
Föderativen Republik → Jugoslawien auf »natürliche
Weise« statt.
Etwa 100 Jahre später kam es 1954 zwischen serbi-
schen und kroatischen Linguisten zu einem zweiten
Abkommen, dem Sprachabkommen von Novi Sad (BKS :
Novosadski dogovor) mit unitaristischer Zielsetzung, das
die Einheitlichkeit der Schriftsprache einschließlich
der Zulassung regionaler Besonderheiten regelte, wo-
bei die »Volkssprache der Serben, Kroaten und Mon-
tenegriner« als eine Sprache betrachtet wurde, die sich
um zwei Hauptzentren Belgrad und Zagreb entwickelt
hatte und über »zwei Ausspracheformen, der ijekavi-
schen und der ekavischen« (Gröschel 2009 : 23) ver-
fügt. In diesem Kontext werden das Bosnische oder
weitere regionale Dialekte nicht diskutiert, jedoch in
der Folge durchaus verwendet. Neben den verschiede-
nen amtlichen Bezeichnungen der Sprache (Serbokro-
atisch, Kroatoserbisch, Serbisch beziehungsweise/oder
Kroatisch, Kroatisch beziehungsweise/oder Serbisch
etc.) bürgerte sich der bereits im 19. Jh. in gleicher
Weise verwendete Ausdruck »naš jezik« (unsere Spra-
che) als »quasi-Glottonym« (Gröschel 2009 : 33) ein,
der eine integrative Überwindung der ethnonationalen
Kategorisierung der gemeinsamen Sprache vermittelte
und wohl lange Zeit auch als solcher verstanden wurde
(→
Glottonym). Zu überlegen wäre, ob im Zuge der
ethnonationalen Propaganda, Hysterie und in der Folge
Traumatisierung im Zuge des jugoslawischen Zerfalls-
prozesses dieses naš jezik/naški »auf die Reichweite der
Kirchturmglocken bzw. der Rufs des Muezins vom Mi-
narett« reduziert und als Antithese zu allem Fremden
umgedeutet wurde und diese Xenophobie verstärkte
(Schnabl 2011).
Nach Gröschel 2009 kam es jedoch bereits im
Zeitraum von 1967 bis 1971 zu Zerwürfnissen bezüg-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602