Seite - 1555 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
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Zweisprachigkeit
Zweisprachigkeitsideolo-
gie: neue zweisprachige
Aufschriften statt der
historischen slowenischen
in Maria Gail/Marija na Zilji,
Foto Bojan-Ilija Schnabl
ches Phänomen, das einen institutionellen Aspekt hat
und als spezifischer Teil des Phänomens der Mehrspra-
chigkeit betrachtet werden kann.
Unter individueller Z. verstand man ursprünglich
nach de Cillia die gleich gute Beherrschung von zwei
(oder mehr) Sprachen, heute umfasst sie Kenntnis und
Gebrauch von zwei (oder mehr) Sprachen. de Cillia
unterscheidet zwischen frühkindlichem Bilinguismus
bei simultanem Spracherwerb, dem frühen Erwerb
einer Zweitsprache sowie der sog. »Halbsprachigkeit«
oder »doppelten Halbsprachigkeit« bzw. »Semilingu-
alismus«. Dabei handelt es sich nach de Cillia um
»eine stecken gebliebene, unvollständige sprachliche
Sozialisation bei Minderheitenangehörigen, eine Z.,
bei der sich aufgrund eines ungünstigen Verlaufs we-
der die eine noch die andere Sprache, daher auch die
Spracherwerbsfähigkeit nicht voll entwickeln konnte,
weil die schulische Sozialisation ausschließlich oder
überwiegend in einer Fremd- oder Zweitsprache er-
folgt, und die Entwicklung in der Erstsprache mit dem
Schuleintritt abbricht« (→ Mischsprache, → Minder-
heit). Insgesamt ist bei allen Formen der Zwei- oder
Mehrsprachigkeit zu beachten, dass Sprachkompetenz
funktional ist, während hingegen die linear-hierarchi-
sche Betrachtung vom Verhältnis zwischen → Mutter- und Fremdsprache(n) dem Denkmuster von einspra-
chigen Personen entspringt bzw. solchen, die erst spät
eine oder mehrere Fremdsprachen gelernt haben.
Nicht gleichzusetzen mit Z. im engeren Sinn ist
die historische Betrachtung der durchaus weit ver-
breiteten funktionalen Fremdsprachenkenntnisse der
Slowenen in jenen Gebieten in Kärnten/Koroška, die
ein (weitgehend) geschlossenes ethnisches Territorium
darstell(ten). Diese Situation des durchaus verbreiteten
Gebrauchs einer Fremdsprache als → Lingua franca
ermöglicht(e) die transnationale Kommunikation, ver-
gleichbar mit der Verwendung des Deutschen bei den
Ungarn oder phasenweise des Russischen bei den Fin-
nen sowie des Spanischen, Französischen oder Engli-
schen bei Sprechern von weniger verbreiteten Sprachen
bzw. dominierten Sprachgruppen in den jeweiligen
ehemaligen Kolonien. Diesbezüglich erwähnenswert
ist, dass die Slowenen im →
Gailtal/Ziljska dolina und
im → Val Canale/Kanaltal/Kanalska dolina aufgrund
ihrer traditionellen Verbindungen zu → Trieste/Trst/
Triest als weitere Lingua franca auch das Italienische
bzw. das Friulanische nutzen.
Individuelle Z. (im Kontext der jetzigen Konno-
tationen insbesondere in Kärnten/Koroška) kann im
Wesentlichen als ein Phänomen des 20. Jh.s nach 1920,
insbesondere aber ab der zweiten Hälfte des 20. Jh.s
angesehen werden (regional schon früher). Es ist die
politisch geplante Folge der Einführung des utraquisti-
schen Unterrichts in den Elementarschulen (→
Schul-
wesen), dessen gesetzliche Zielbestimmung es war, die
Schüler nur so weit in der slowenischen Sprache zu
unterrichten, bis sie befähigt waren, dem Unterricht
in deutscher Sprache zu folgen. Dies wiederum wider-
sprach unmittelbar Art. XIX des Grundrechtskataloges
der → Dezemberverfassung 1867. Die geplante prak-
tische Folge dieser ideologisch positionierten Schul-
politik war ein realer Abfall der Sprachkompetenz der
Schüler in der slowenischen → Muttersprache und eine
einsetzende, wenn auch durch den Gebrauch des Slo-
wenischen als → Liturgiesprache durchaus abgefederte,
funktionale Z. breiterer slowenischer Bevölkerungs-
schichten in Kärnten/Koroška. Anzunehmen ist, dass
mit der graduellen Verschiebung der → Sprachgrenze
auch eine Verschiebung jener Gebiete einhergeht, wo
die slowenischen Bewohner tatsächlich auch umfas-
send zweisprachig waren (vgl. dazu Anton → Uran).
Diese funktionale Z. stellte die materielle Grundlage
für die subjektive Akzeptanz der sog. → »Windischen-
theorie« bei jenen Slowenen, die sich aufgrund eines
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602