Seite - 1558 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
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Zweisprachigkeitsideologie, Kärntner
psycholinguistischen Kunstgriff wird die Ethnie ihres
Namens beraubt. Und was keinen Namen hat und so-
mit keine »Identität« im eigentlichen Sinn, verliert im
kollektiven Bewusstsein die Individualität und existiert
gleichsam nicht (vgl. → Name und Identität ; → »En-
tethnisierung« ; → Minderheit, dort zur Kärntner Lan-
desverfassung, aktuelle Fassung ; →
Landessprache ;
→ Muttersprache).
Wurzeln. Die Z.-I. hat ihre Wurzeln in der histo-
rischen → Windischentheorie und setzt deren ideolo-
gische Vorgaben um, wobei gezielt psycholinguistische
Phänomene manipulativ eingesetzt werden. Dadurch,
dass alle ursprünglich slowenischen Sprachbereiche
»zweisprachig« definiert bzw. subjektiv als solche auf-
gefasst werden, geht angesichts der gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen die → Relevanz des Sloweni-
schen zurück. In der Folge wirkt sich das auf die Sprach-
kompetenz der Sprecher selbst aus, was langfristig der
Assimilation strukturell Vorschub leistet. Dass es sich
bei der Z.-I. um eine Spielart der Windischentheorie
handelt, ergibt sich aus der mythologisierenden und
suggestiven Darstellung einer vermeintlichen ›tausend-
jährigen‹ → Zweisprachigkeit des Landes Kärnten/
Koroška bzw. »Gemischtsprachigkeit« →
Südkärntens,
wie sie bereits vom Proponenten der Windischentheo-
rie, Martin → Wutte, u. a. vertreten worden war (vgl.
dazu auch → Kranzmayer, Eberhard). Dass es Phä-
nomene der interkulturellen Beziehungen gab, steht
ohnehin außer Streit (→ Akkulturation ; → Inkultu-
ration). Die modernen soziolinguistischen Konzepte
etwa von →
Muttersprache, → Umgangssprache und
→ Lingua franca werden jedoch nicht berücksichtigt.
Psycholinguistische Reduktion. Mit dieser Ideolo-
gie kommt es, aufbauend auf den konzeptuellen Vorga-
ben der Windischentheorie, zunächst zu einer weiteren
Tabuisierung der Begriffe Slowene/slowenisch, die fast
exklusiv mit sog. »Urängsten« in Verbindung gesetzt
werden. In der Folge werden ersatzweise die Begriffe
»zweisprachig« oder »gemischtsprachig« gebraucht, die
im regional allgemein üblichen Sprachgebrauch immer
die Sprachkombination deutsch-slowenisch meinen.
Man spricht von den »Zweisprachigen« statt von »Slo-
wenen«, von »zweisprachigen Kulturvereinen« statt von
slowenischen Kulturvereinen, meint jedoch immer die
Slowenen bzw. die slowenische Sprache.
Der permanente Gebrauch der neuen Begrifflichkeit
»zweisprachig«/»gemischtsprachig« im öffentlichen
Raum führt zu einem – und man kann annehmen po-
litisch durchaus gewünschten – psycholinguistischen Rückkoppelungsprozess bei den Slowenen in Kärn-
ten/Koroška selbst. Einerseits führt die solcherma-
ßen ideologisierte »Zweisprachigkeit« aufgrund einer
gesellschaftlich, wirtschaftlich, rechtlich, sozial und
sprachlich verminderten → Relevanz bzw. erhöhten
Redundanz der slowenischen Sprache zu einer Ver-
änderung des Selbstbildes bzw. der ethnischen und
sprachlichen Identität der slowenischsprachigen Be-
völkerungsteile (siehe → Muttersprache). Andererseits
ist das Resultat dieser Rückkoppelung aufgrund einer
anfangs nicht wahrgenommenen rückläufigen funkti-
onalen Sprachkompetenz im Slowenischen das Auf-
kommen einer innertextuellen zweisprachigen Kommu-
nikation insbesondere bei jüngeren Generationen, d. h.
eines Sprachgemisches bzw. zu einer Makkaronisierung
des Slowenischen in der mündlichen Kommunikation.
Zunächst führt die konzeptuelle Festigung der Zwei-
sprachigkeit zu einem funktionalen Code- und später
zum umfassenden Sprach-Switching, d. h. zu einem
sprachlichen Identitätsverlust. Dies hat zudem eine
transgenerationelle Dimension, zumal Kinder ad perso-
nam lernen, d. h., dass Kinder ein Sprachgemisch spre-
chen, wenn erwachsene Bezugspersonen Sprachen mi-
schen (→ Immersion, → Mischsprache, → Soziolekt).
In wenigen Generationen wird somit der gesellschaftli-
che →
Sprachwechsel aufgrund der zugrundeliegenden
Denkmuster materiell aufgrund fehlender Sprachkom-
petenz herbeigeführt. Das bestätigen die Ergebnisse
der →
Sprachenzählungen.
Identität. Gleichzeitig kommt es als Alternative
zur historischen überregionalen Identität der Slowe-
nen zu einer stark ideologisierten Positionierung der
deutsch dominierten Regionalidentität (einer »Kärnt-
ner-Ideologie«), die die »Zweisprachigen« miterfasst.
Diese regionale territoriale → Identität steht in einem
Gegensatz zu überregionalen Identitäten der Slowenen
und der Österreicher, während die Regionalidentität
»(echter) Kärntner« synonymisch bzw. kryptisiert für
Deutsch steht. Allerdings bietet die, wenn auch ideo-
logisierte Regionalidentität den assimilierten Slowenen
eine geografische Alternatividentität, die eine völlige
Desintegration der Persönlichkeit vermeidet bzw. zu-
mindest ins Erträgliche abschwächt (→ Assimilant,
→ Assimilation, dort PTBS ; → »Windische«).
Akkulturation. Nicht zu verwechseln ist diese sol-
cherart herbeigeführte kollektive → Assimilation durch
psycholinguistische Manipulation mit einer → Akkul-
turation, die als ein individuelles nicht traumatisches
Phänomen betrachtet werden kann.
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602