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Žolger, Ivan
Ivan von Žolger
er nach Wien, wo er sich 1900 zum Privatdozenten an
der Juridischen Fakultät habilitierte und bis 1918 Mit-
glied der Staatsprüfungskommission war. Gleichzeitig
war er zunächst im Unterrichts- und Cultusministe-
rium tätig und ab 1902 im k. k. Ministerratspräsidium,
1905 Ministerial-Sekretär, 1911 Sektionsrat, 1915 Sek-
tionschef, Vorstand des Staatsrechtlichen Departements
(Verfassungsdienst) »mit Titel und Charakter eines
Sektionschefs« (Hof- und Staats-Handbuch).
Ž. stand nach Rahten im engen Kontakt mit
Franz-Ferdinand und war vermutlich Autor eines
erhaltenen Entwurfes des kaiserlichen Manifestes An
meine Völker. Zudem beriet Ž. den k. k. Ministerpräsi-
denten Karl Stürgkh im Sinne einer größeren Be-
rücksichtigung der Südslawen, auch wenn seine Vor-
schläge in jener Zeit noch nicht umgesetzt wurden. Er
wurde am 30. August 1917 zum Ritter geadelt.
Nach dem politischen Erfolg der → Maideklara-
tion vom 29. Mai 1917 ernannte der selbst erst am
23. Juni 1917 vom Kaiser Karl I. ernannte Minis-
terpräsident Ernst Seidler von Feuchtenegg sei-
nen Fachkollegen und damals höchsten slowenischen
Beamten in der österreichisch-ungarischen Regierung,
Ivan Žolger, am 30. August 1917 zum Minister ohne
Portefeuille, mit dem Auftrag, eine Verfassungsreform
zur Lösung des Nationalitätenproblems in der cisleit-
hanischen Reichshälfte vorzubereiten. Damit war Ž.
der einzige Slowene und Südslawe in einer derarti-
gen Position in der Habsburgermonarchie. Von die-
ser Position trat er allerdings am 6. Mai 1918 wegen
des großdeutschen Einflusses unter Seidler zurück.
Rybář und Rahten weisen darauf hin, dass neben
dem Jugoslawischen Reichsratsklub unter der Füh-
rung von Anton →
Korošec das Ministerbüro von
Ž. zu einem Zentrum der südslawischen politischen
Bewegung wurde. Auf sein persönliches Engagement
hin wurde eine Untersuchungskommission eingerich-
tet, die die Exzesse der → Militärgerichte gegen die
Slowenen während des Krieges untersuchen sollte. In
einem Schreiben vom 17. Oktober 1917 an den Ka-
binettschef des Kaisers, Arthur Polzer-Hoditz,
weist Ž. darauf hin, dass nun auch die bis zuletzt lo-
yalen Südslawen gegen den Kriegshaushalt stimmen
würden und dass wegen des Unverständnisses und
der Gleichgültigkeit der Regierung gegenüber dem
wichtigsten innen- und außenpolitischen Problem,
der südslawischen Frage, und dass von Tag zu Tag die
Zahl jener Südslawen steige, die bei dieser für jeden
Südslawen neuralgischen Frage von Österreich und seinen bürokratischen Führern nichts mehr erwartete
und ihre Hoffnung bereits auf die Entente und in eine
Friedenskonferenz setzten.
Beim Zusammenbruch der Monarchie wurde er zu-
nächst von der Jugoslovanska demokratska stranka (JDS)
[Jugoslawische demokratische Partei] für das Amt
des Regierungspräsidenten der slowenischen Volks-
regierung (Narodna vlada za Slovenijo) vorgeschlagen,
weil er als Slowene die höchste staatliche Funktion
innehatte und weil er gemäßigt konservativ war, doch
wurde er von der Slovenska ljudska stranka (SLS) [Slo-
wenische Volkspartei] als zu liberal eingeschätzt und
abgelehnt. Im November 1918 kehrte er nach Slowe-
nien bzw. in den SHS-Staat (Država Slovencev, Hr-
vatov in Srbov) zurück und wurde am 10. November
Vorsitzender der Verwaltungskommission im Ressort
für Inneres. In dieser Funktion legte er einen bereits
in Wien mit Kollegen erarbeiteten Entwurf einer Pro-
visorischen Verfassung und Verwaltung für Slowenien
(die sog. Žolger-Verfassung, Žolgerjeva ustava) vor,
der von der Regierung fast ohne Abänderungen am
21. November 1918 kundgemacht wurde (am 11. No-
vember hatte Kaiser Karl I. auf jeden Anteil an den
Staatsgeschäften verzichtet). Vier Tage später wurde er
Leiter des Büros für die besetzten Gebiete. Der stell-
vertretende Ministerpräsident des am 1. Dezember
1918 ausgerufenen Königreiches der Serben, Kroaten
und Slowenen (→ Jugoslawien), Anton → Korošec,
schlug Ž. an seiner statt als slowenischen Vertreter an
der Pariser Friedenskonferenz (Jänner 1919–Juni 1920)
vor. Diese sollte zum → Vertrag von Saint-Germain
und damit, aufgrund des Londoner Vertrags vom 26.
April 1915 mit Italien, schlussendlich zum Verlust von
zwei slowenischen historischen Kerngebieten (Kärnten/
Koroška und das Küstenland/Primorje) führen, was Ž.
bis zuletzt zu verhindern versuchte. Ž. war auch der
erste Vertreter des SHS-Königreiches auf der ersten
Generalversammlung des Völkerbundes in Genf vom
14. November bis zum 22. Dezember 1920), er widmete
sich danach jedoch vornehmlich der Lehre an der neu
gegründeten Universität Ljubljana, und zwar aufgrund
seiner schmerzhaften Erfahrungen insbesondere mit
Fragen des Völkerrechtes. Als Diplomat wurde er auch
Mitglied des Ständigen Internationalen Gerichtshofes
in Den Haag.
Archive : HHStA.
Quellen : Hof- und Staatshandbuch der Österreichisch-ungarischen Mo-
narchie für das Jahr 1905. Wien 1905, 319, 375, 420 ; – für das Jahr
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 3 : PO - Ž
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 3 : PO - Ž
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 566
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Lemmata Band 3 Po–Ž 1049
- Verzeichnis aller AutorInnen/BeiträgerInnen und ihrer jeweiligen Lemmata 1571
- Verzeichnis aller ÜbersetzerInnen und die von ihnen übersetzten Lemmata 1577
- Verzeichnis der BeiträgerInnen von Bildmaterial 1579
- Verzeichnis der Abbildungen 1580
- Synopsis (deutsch/English/slovensko) 1599
- Biographien der Herausgeber 1602