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Oktober 1839
aus ihrer physischen gegenwart, so doch noch nicht aus ihrem dunstkreise
geschieden bin, erst später, wenn ich ganz erwache, fühle ich, daß ich allein
bin, und da fängt mein bitterer schmerz an, um vieles bitterer als der mo-
ment der trennung selbst, dieser steht mir denn noch bevor, was ich jetzt
tief und schmerzhaft fühle, ist das gefühl der isolirung, des Alleinseins auf
dieser Welt, und daß ich niemand um mich habe, gegen den ich mich mit
liebe und vertrauen ausschütten und von dem ich in den vielen désap-
pointements meines lebens trost und theilnahme erwarten kann, ich muß
alles in mich verschließen, und wenn mein Gemüth zaghaft wird, so finde
ich niemanden, der es aufrichtet, und wem thäte dieß mehr noth als mir
mit meiner stürmischbewegten, zerrissenen, kummervollen seele.
unsere trennung heute war übrigens bei Weitem nicht so schwer, als
ich es gedacht hätte, gestern waren wir eben so heiter und oft kindisch als
gewöhnlich, und nur heute früh, als ich Auguste guten morgen wünschte,
übermannte mich die innere Bewegung. dann wurden wir Beide wieder
lustig, und beim landungsplatze waren zuviel leute versammelt und der
moment der Abfahrt kam zu unerwartet, als das [sic] wir uns Anders als
mit einem shakehands und ein paar Worten hätten Adieu sagen können.
Auguste tröstete sich mit der beinahe gewissen hoffnung, mich bald
und zwar vielleicht in wenig monaten in england wiederzusehen, und ich
nährte und bestärkte diese hoffnung, theils weil ich sie theilte, theils aus
schonung für sie. sie sagte mir heute und schon früher sehr oft, wie sie
mich jetzt leichter verlassen würde als vor 3 Jahren in görz, wo sie, wie
sie mir sagte, beinahe wahnsinnig geworden wäre, weil sie damals immer
geglaubt hatte, sie würde mich nie wieder sehen, jetzt aber hätte sie ge-
sehen, daß man sich oft unerwartet wieder findet, sie habe gesehen, daß
ich sie noch immer so liebe wie ehemals, und so könne sie mit freudigerer
hoffnung in die Zukunft blicken.
diese Zusammenkunft zwischen uns hat das gute gehabt, daß sie unser
gegenseitiges verhältniß für die gegenwart und Zukunft vollkommen ins
klare gesetzt hat, bisher war es nur eine leidenschaft, welche über kurz
oder lang auf einer oder der anderen seite aufhören konnte, von nun aber
ist es ein dauerhaftes festeres Band geworden, welches unsere existenzen
ewig umschlingen wird, sei es nun freundschaft oder liebe. ich fühle mich
unendlich glücklich in diesem gedanken und in der überzeugung, daß ich
mir einen schutzengel erworben habe, der mein ganzes leben hindurch
für mich wachen und beten wird, so lange dieses währt, kann es mir nicht
ganz schlecht ergehen! und auch des drückenden vorwurfes bin ich ledig
und frei geworden, den ich mir bisher machte, ihr ihre existenz verdorben
zu haben, denn ich habe klar in ihrem herzen gelesen, wie rein, wie frei
von aller selbsucht, von allen gewöhnlichen Wünschen und Bewegungen
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien