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54 Tagebücher
Amberg, der eben auf urlaub hier ist und ein junger, noch etwas unge-
schlachter grasteufel zu sein scheint.
sie alle nahmen mich wie einen uralten Bekannten auf, hatten eine
unendliche freude, mich zu sehen etc. ich mußte heute zu ihnen ziehen
und muß den ganzen tag mit oder bei ihnen zubringen. sie gefallen mir
Alle sehr gut, obwol es eine ziemlich bürgerliche haushaltung ist, welche
mir, an eine größere Welt gewöhnt, Anfangs etwas sonderbar kam, an die
ich mich aber bald gewöhnte, da sie mit so viel gutmüthigkeit und äch-
tem wahren, guten tone verbunden ist, sie zerbrechen sich alle den kopf,
um mich zu amusiren, und heute nachmittags mußte ich während eines
schneegestöbers (denn es schneite zu meinem großen verdrusse) mit emil
in die eremitage fahren, dort kamen bald einige andere herren hin, näm-
lich ein Baron hirschberg von hier, ein Baron reitzenstein und ein englän-
der Mr. Lee, beide Offizire von Kaiser Cürassiere aus Böhmen, die gerade
daher kamen, wir sprachen viel von meinen dortigen Bekannten etc. etc.
[Bayreuth] 1. november Abends
ich gefalle mir hier sehr gut, und die tage verstreichen mir schnell, da ich
sie umringt von einer familie zubringe, die ich immer mehr schätzen und
lieben lerne, und die mit einer wirklich ungewöhnlichen herzlichkeit an
mir hängen. so wirkt der bloße Zauber eines namens! leute, die sich früher
nie gekannt haben, werden auf einmal vertraut, weil sie denselben namen
führen. onkel ferdinand ist ein wahrer engel, adorirt die seinigen und
lebt nur in ihnen, d.i. in seiner ganzen familie, und Allem, was seinen na-
men trägt, er ist ein sehr aufgeklärter, denkender staatsmann von eminent
conservativen grundsätzen und einer beinahe leidenschaftlichen energie
gegen Alles, was einer ruhestörung ähnlich sieht, dabei aber ein ebenso
heftiger, vielleicht übertriebener feind des Pfaffenthums.
seine frau ist höchst amusant und liebenswürdig in ihrer natürlichkeit
und ihrem Allure du meilleur goût, kurz, Alle gefallen mir mit jedem tage
besser, und es wird mir leid thun, sie verlassen zu müssen.
ein solches häusliches ruhiges leben thut mir gerade jetzt sehr wohl,
und da ich den ganzen tag nicht allein bin, so habe ich gar nicht Zeit, über
Alles das schmerzliche nachzudenken, was mich in der letzten Zeit betrof-
fen hat. ist diese trauer hiedurch umgangen oder nur aufgeschoben? die
folge wird es lehren.
für meinen aristokratischen stolz ist es sehr demüthigend zu erfahren,
wie sich ein großer theil meiner namensvettern in Bayern encanaillirt hat,
es ist wirklich zum Ärgern, daß diese kerle so gar kein selbstgefühl im
leibe haben, jedoch scheinen dergleichen miserable mesalliancen in Bay-
ern gang und gäbe zu sein. im vergleiche mit Bayern ist unser leben in
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien