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56 Tagebücher
oder null das resultat von Beiden, die frucht ihrer Begattung, nämlich das
universum, den embryo vorstellen, diese 4 Principe, sagte er, repräsentir-
ten Alles in der schöpfung von dem kleinsten Atome bis zum ganzen hinauf
aus geist und materie, d.i. aus dem weiblichen und männlichen elemente,
aus dem todten stoffe und der bewegenden kraft, bestehe und entstehe
Alles auf der Welt, der Stein und die Pflanze so wie der Mensch, nur in ver-
schiedenen Proportionen.
seiner überzeugung nach ist daher das bewegende Princip, dessen da-
sein in der ganzen natur man doch nicht läugnen kann, dasjenige, was je-
den stoff, jede substanz durchdringt und darin Wachsthum, entwicklung,
kurz das Leben, welches mit Bewegung synonym ist, befindet, dasjenige,
was er Weltseele, d.i. gott nennt.
dieses Princip durchdringt uns menschen ebensogut als sonst ein Wesen
in der schöpfung, und wenn der wahre stoff, der davon durchdrungen ist,
d.h. der leib zerfällt, so ist nichts geschehen, als daß eine Praxis einer sol-
chen coagulation vorüber ist, das Princip, die seele bleibt dieselbe, und der
stoff reproduziert sich in hundertfältiger gestalt, wo aber diese Weltseele
und dieses Weltall herkommen, können wir ebenso wenig erforschen, als
wir beweisen können, warum wir zwei Augen im gesichte haben, sondern
wir müssen dieses als eine Position annehmen, gerade so wie wir nur bis
100 zu zählen, mit eins anfangen und diese einheit passiren müssen.
solches sind seine Ansichten, und wenn ich diese auch nicht in allen
Punkten theile, so haben sie mich doch mächtig aufgeregt und mich einen
Blick in ein mir bisher noch ziemlich fremd gebliebenes feld des nachden-
kens thun lassen, welches ich nunmehr nicht zu vernachlässigen gedenke.
Was ich aber an meinem onkel wahrhaft bewunderte, war die klarheit, die
tiefe und unverkennbare überzeugung, womit er mir Alles dieses vortrug
– ein seltener mann!
heute war onkel Anton Andrian von kemnath (3–4 stunden von hier)
hier, um mich zu sehen, er nahm mich ganz unendlich für sich ein, sein Äu-
ßeres, seine haltung ist wirklich imposant und grand seigneur, obwol mehr
Landjunker als homme de cour, dabei so unübertrefflich gutmüthig, frank,
offen und chevaleresque, wirklich ganz, wie man sich einen ritter der guten
vorzeit denkt, er ging aber gleich nach tische wieder weg und war ganz
weich beim Abschiede, so sehr kostete es ihm mühe, sich von mir, der ihm
so viele Jugendgeschichten ins gedächtnis zurückrief, wieder zu trennen.
ich glaube nicht, daß irgend Jemand mehr als wir Andrians an unserem
namen und an Allem, was unseren namen trägt, hängen kann, das merke
ich selbst an mir kaltem egoistischem Weltkinde. mir selbst ging diese rüh-
rung meines onkels zu herzen, und die thränen standen mir in den Augen.
mit ihm war seine älteste tochter Josephine gekommen, eine geschminkte
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien