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82 Tagebücher
vorgestern sah ich hier otto chotek und Bohuslaw radziwill (welchen
ich mit edmund clary in interlacken getroffen hatte) auf ihrer durchreise
nach Wien. Auch Pompeo desimon traf ich ganz unvermuthet, er ging auf
2–3 tage nach görz und wird dann mit mir nach montona zurückkehren.
ich habe von hier aus einen schritt gethan, welcher, wenn er mir gelingt,
mir für alle Zukunft sehr ersprießlich werden kann. in Wien sagte man mir
nämlich schon, daß die beiden Präsidial-sekretärs in italien jetzt im Be-
griffe ständen zu avanciren, daß in beiden gouvernements aber jetzt nie-
mand sei, der die erforderlichen eigenschaften habe, ihnen nachzufolgen,
daß die beiden italienischen hof-concipisten in Wien michael strassoldo
und lesner sich darum nicht bewerben, und daß ich daher sehr leicht eine
jener beiden stellen erhalten könnte. nun habe ich dann gleich nach mei-
ner Ankunft hier, in Wien hatte ich nicht mehr Zeit dazu, an Palfy nach
venedig und an salm nach mailand geschrieben, um sie um rath und Bei-
stand zu bitten. Wegen mailand habe ich auch gabriellen (die nun schon
dort ist) instruirt, weil dieser Posten nicht nur der wünschenswerthere,
sondern auch der wahrscheinlichere ist, da die Beförderung des venezia-
ner sekretärs noch nicht so ausgemacht scheint. ich erwarte nun Palfy’s,
salm’s und gabriellens Antworten.
Pisino 16. februar
seit 13. Abends bin ich hier, nach einer ermüdenden und wegen der bestän-
digen Berge und des mangels an allen menschlichen Wohnungen höchst
langweiligen reise von ungefähr 12 stunden langte ich hier an.
ich hatte triest mit regrets verlassen, hauptsächlich wegen franz
Wimpfen, welcher mir außerordentlich viele freundschaft und Zuneigung
bewiesen hat, um desto unangenehmer war es mir, als ich im hieherfah-
ren einsah, daß die reise viel zu lang und beschwerlich sei, um mir öftere
Ausflüge nach Triest zu verstatten [sic], den Gouverneur wollte ich um eine
längere erlaubniß, in triest bleiben zu dürfen, nicht bitten, um mich nicht
einem refus auszusetzen, und als ich ihm bei meiner Abschiedsvisite von
meinem Wunsche sprach, dem gubernium zugetheilt zu werden, zeigte er
sich demselben nicht abgeneigt, sagte aber, ich müßte jedenfalls Jahr und
tag in Pisino aushalten. so lange aber denke ich nicht nur nicht in Pisino,
sondern überhaupt nicht im küstenlande zu verbleiben.
gleich nach meiner Ankunft hier ging ich zum kreishauptmann grim-
schitz, welchen ich bei seiner frau mit mehreren anderen herren fand. er
kam mir als ein gutmüthiger, aber dabei höchst unkluger schwadronneur
vor, unter welchem sich aber, wenn man nur seiner eitelkeit schmeichelt,
recht angenehm dienen ließe. Was mir aber einen höchst beklemmenden
eindruck machte, war der miserable spießbürgerliche Anblick des salons
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien