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September 1840
und der darin versammelten Personen. dieser eindruck stieg am folgen-
den tage, als ich den schauplatz meiner nächstkünftigen existenz näher
kennen lernte, an diesem tage war mir trostlos und jämmerlich zu muthe,
ich hatte eine Art von fieber, welches ich aber größtentheils der reise und
der hiesigen kost zuschrieb, seitdem habe ich mich gefaßt und gewöhnt
und hoffe, die Zeit wird mir in meiner einsamkeit ziemlich schnell und
thätig verstreichen. Auf was ich zähle und hoffe, ist, daß mein Aufenthalt
hier nicht lange dauern wird, in jedem falle bin ich hieher nur als eine Art
experiment gekommen, halte ich es aus und bleibe ich mit der idee ver-
traut fortzudienen, so ist es gut, wo nicht und kehren meine alten inneren
kämpfe wieder, so werde ich dann, da ich mich in diesem falle für genug-
sam geprüft und erprobt halten werde, ohne weiteres Zaudern gleich von
hier aus einen entschluß fassen und ihn ausführen, denn dann werde ich
einsehen, daß für mich in dieser carrière kein glück zu hoffen sei, und dieß
ist denn doch die hauptsache.
nur zwei Zwecke kann das menschliche leben haben, genießen oder
handeln, welcher von beiden der vorzüglichere sei, ist sehr die frage, wahr-
scheinlich sind sie Beide gleich viel werth, wer aber handeln will, muß eine
seinem Geiste, seinem inneren Berufe entsprechende Thätigkeit finden,
sonst ist es besser, er greift zu der anderen Alternative und genießt unbe-
kümmert (vielleicht als der einzige, wahre Philosoph) das kurze vergängli-
che leben und schwelgt in seinem Alter von der erinnerung an vergangene
genüsse, so ist er doch etwas ganz gewesen. nur die halbheit ist verderb-
lich, ist unvernünftig.
und somit schließe ich dieses tagebuch, bis eine neue crisis (oder die
vollendung der alten, jetzt zum stillstande gekommenen) ins leben tritt
und mich mahnt, dieselbe zu meiner eigenen künftigen Belehrung und un-
terhaltung zu verewigen.
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ornavasso/Piemont 19. september 1840
hier sitze ich seit gestern Abend durch eine reihe von unglücklichen Zufäl-
len festgehalten und weder vor noch rückwärts könnend; neben mir sitzen
2 franzosen, junge maler tesair und franchet, beydes unglücksgefährten
a die einträge im tagebuch enden hier und werden erst wieder sieben monate später auf-
genommen. In K. 114, Umschlag 662, finden sich jedoch mehrere Briefe Andrians an seine
schwester gabriele aus Pisino/Pazin, in denen er auch über sein versetzungsgesuch nach
mailand berichtet. Am 10.7.1840 meldet er ihr die genehmigung: „ich bin glücklich, selig
etc. etc. und kann den moment nicht erwarten, in mailand anzukommen.“
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien