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86 Tagebücher
nach 8 uhr fuhren wir in einem elenden karren (denn die dilligence wäre
zu schwer gewesen) nach Baveno zurück; eine Strecke, wo die Straße abge-
brochen war, machten wir zu fuß, dann fuhren wir nach Arona zurück, wo
wir um 12 uhr anlangten. tesoir und franchet und unser 4. compagnon
de voyage, ein stiller schweigsamer engländer, mr. nathaniel shieth, fuh-
ren eine stunde darauf nach eingenommenen diner mit dem eilwagen nach
turin ab, von wo sie über den m. cenis nach Paris wollen, und so blieb ich
allein; noch muß ich erwähnen, daß man uns hier unser Geld für den Platz
der dilligence zurückgab, jedoch nach Abzug der gebühr für die fahrt von
mailand nach ornavasso und von da nach Arona zurück.
nachdem ich von meinen reisegefährten Abschied genommen hatte, wel-
ches mir beinahe schwer fiel, so schnell gewöhnt man in solchen lagen sich
aneinander, und dann blieb ich so ganz allein hier, ohne bestimmte Projekte,
während sie nach Paris gingen, der ersten stadt der Welt, froh und freudig,
sobald sie also weg waren, ging ich aus, um die statue des s. carlona einen
Besuch zu machen; ungefähr eine 1/2 Stunde vor der Stadt auf der herrlich-
sten Plattform über dem see. Wie gewöhnlich gab es da wieder eine Anzahl
engländer und engländerinnen und keine einzige hübsche darunter. die
statue ist von erz 675 Zoll hoch und das Piédestal 275 Zoll, ich bestieg auf
einer leiter dieses letztere und auch den heiligen bis unter die soutane (und
qui dit avoir eu l’air très scandaleux). weil ich mir aber da bey jedem schritte
den Kopf anstieß, so gab ich das weitere steigen auf; im Kopfe haben 15 Per-
sonen Platz, in jedem nasenloch 4, im Bauch 10 menschen.
der lago maggiore ist magnifique, nach meinem geschmacke bey weitem
mehr als der lago di como, welcher so klein und zierlich wie ein englischer
Park ist, während hier die hohen schweitzer Berge und die viel größeren
Wassermassen das Ganze viel imposanter machen; was ich aber infam finde,
sind die gerühmten Borromeischen inseln, besonders die isola Bella, die
ganz wie ein joujou mit 100 thürmchen und spitzchen aussieht, welches
Kinder aus Scherz auf’s Wasser gesetzt haben; solche Künsteleien im Ange-
sicht der großen natur sind erbärmlich.
gerade während ich dieses schrieb, kam die nachricht, der simplon sey
zur Noth zu passiren; morgen Früh 5 Uhr geht also eine Diligence oder ei-
gentlich ein char-à-banc weg, und theils zu fuß, theils in diesem karren
werden die reisenden morgen bis domodossola gehen und tags darauf den
Simplon übersteigen; ich war Anfangs unschlüssig, ob ich mitgehen sollte,
entschloß mich aber dann für das gegentheil und werde mit dem morgigen
dampfschiff nach magadino und von da nach Bellinzona gehen und von dort
aus if possible den Gotthard übersteigen; if not, so treibe ich mich anderswo
herum, oder eigentlich setze ich mich anderswo fest, denn irgendwo ruhig
zu bleiben und nicht herum zu wandern war der Zweck dieses meines kur-
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien