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September 1840
da oder dort eine langweilige visite zu robotten, einen neuen fauteuil oder
ein neues Pferd zu kaufen und dergleichen erbärmlichkeiten mehr. und
doch habe ich in mailand noch mehr geistige Anregung, als ich es bisher
irgendwo in der monarchie gefunden habe, denn es existirt doch dort eine lit-
terärische, wissenschaftliche Anregung und Conversation; aber die trockene
Wissenschaft allein füllt meinen geist, mein gemüth nicht aus, ich bedarf
des Praktischen, der thätigkeit und einer bestimmten richtung für meine
nahrungsbedürftige energie, denn:
mich schuf aus gröberm stoffe die natur
und zu der erde zieht mich die Begierde.1
deßhalb mußte ich über die grenze, um den grundstein zu meinem vor-
habenden Werk zu legen und gleichsam dessen tendenz und richtung zu
bestimmen. Ausspinnen läßt sich dann der angefangene faden auch in der
Heimath; hätte ich aber in derselben die Anfangslinien ziehen müssen, so
wäre aus dem ding wahrscheinlich ein unding geworden. so lese ich jetzt,
um mich vorzubereiten, mehrere dahin einschlagende Bücher, unter andern
eines, auf welches ich wie begreiflich sehr gespannt war, als mein Buchhänd-
ler mir es ankündigte, nähmlich: österreich im Jahre 1840, von einem öster-
reichischen staatsmann,2 jedoch ist dieses Buch ein elendes machwerk in
dem allerschlechtesten Zeitungs- und noch dazu österreichischen Zeitungs-
styl geschrieben und durchaus jeder höheren Ansicht, jedes höheren stand-
punktes entbehrend, kein ganzes sondern nur ein conglomerat mehrerer,
dem staats-schematismus entnommener facta ohne alle ordnung, logik
und Beurtheilung, kurz aus dem ganzen Buch ist kein resultat zu ziehen,
ebenso wenig als der verfasser selbst daran gedacht hat oder im stand gewe-
sen wäre, ein solches zu ziehen; doch aber ist es durchaus nicht in einem für
österreich durchgehends günstigen sinn geschrieben und dürfte auch höchst
wahrscheinlich strenge verbothen werden. solche Werke können immer an-
dern über denselben gegenstand erscheinenden wohl Anfangs, eben durch
ihre gehaltlosigkeit, schaden, können aber für ein wirklich vorzügliches Buch
späterhin nur als Folie dienen; es fällt mir jedoch sicher nicht im Mindesten
ein, diese Bemerkung schon im voraus auf mich beziehen zu wollen.
Die Gesellschaft auf dem Dampfboot war ziemlich indifferent; viel Eng-
länder, eine gesellschaft von 4 jungen holländern, die ganz comme il faut
1 friedrich v. schiller, Wallensteins tod, 2. Aufzug, 2. Auftritt: Wallenstein an max Picco-
lomini.
2 (ferdinand leopold graf schirndinger v. schirnding,) österreich im Jahre 1840. staat und
staatsverwaltung, verfassung und kultur. von e. österr. staatsmanne (leipzig 1840).
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien