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„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band I
Seite - 117 -
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11710. Dezember 1840 Also gestern nachts vor lobkowitz’s Abreise waren wir noch wie gewöhn- lich bey gräfin samoyloff, und dann begleitete ich und der alte monsignore Porro (der ehemalige carbonari-chef, im Jahre 1821 hier in effigie gehängt, nun aber amnestirt, und seit 2 Monathen wieder hier) ihn nach Hause; da wurde dann viel schwadronnirt, Porro von seinen bons principes, seiner Anhänglichkeit an die regierung und die öffentliche ordnung, und von der misrepresentation welche seine politische gesinnung durch böswillige ver- läumder in Wien zu allen Zeiten erfahren hätte, welches allein die schuld seines unglücks gewesen sey etc., und lobkowitz von seiner liebe für die- ses land und seinem sehnlichen Wunsche, demselben einmal unmittelbar nützlich werden zu können etc., denn auch er schwadronnirt ziemlich stark, und soeben hörte ich, daß man mit seinem langen Aufenthalte hier in Wien unzufrieden sey und überhaupt mit seinem Benehmen hier und in tyrol, wo er auch sehr populäre discurse geführt haben soll, und daß dieses der grund seiner raschen Zurückberufung ist. [mailand] 10. dezember mich überfällt zeitweise eine so tiefe entmuthigung, eine so profond ennui mit meinem Leben, daß ich wirklich oft nicht weiß wo es hinaus soll; es ist mir das Alles so klein, so einförmig, so jämmerlich, ich komme mir so un- glücklich vor in solchen Py[g]mäen-verhältnissen zu leben, daß ich weinen möchte, ich bin so ganz in low spirits; da möchte ich dann hinaus in die Welt, und das könnte mich vielleicht curiren; das und Thätigkeit; aber wo diese finden? dann könnte noch Alles gut werden und ich könnte froh und heiter werden. oh was waren die menschen glücklich, die vor 60 Jahren geboren sind! und um wie viel glücklicher sind selbst meine contretemporaines, die in anderen ländern geboren sind, nur ich, nur ich muß hier in dieser Pfütze von unthätigkeit und dummheit verfaulen! und könnte ich mir nur einmal raison darüber machen, könnte mich Jemand versichern, daß es mein le- benlang nicht besser werden wird, dann würde ich prendre mon parti jeter le bonnet par dessus les moulins und thun was mir einfiele, ein Paar Jahre hindurch mich in allen möglichen genüssen berauschen und dann mich auf- hängen, so wäre ich doch wenigstens eine Zeitlang einig mit mir selbst, ruhig und von jener Zerrissenheit befreyt gewesen, die das unglück meines lebens ausmacht. und wenn mich ein solcher accès befällt wie z.B. heute, so laufe ich herum wie ein Wahnsinniger, und mir ist so miserabel zu muthe als wäre ich seekrank, und ich glaube ich hätte nicht einmal kraft genug mich zu ärgern, wenn mir Jemand ein Paar Ohrfeigen gäbe; und dann recitire ich schiller’s Pegasus im Joche und fange dabey an hellraus zu weinen, so daß ich mich vor mir selbst schäme. Aber fort muß ich, ich muß eine große reise unternehmen, um mich womöglich zu retrempiren.
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„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ Tagebücher 1839–1858, Band I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Untertitel
Tagebücher 1839–1858
Band
I
Autor
Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
Herausgeber
Franz Adlgasser
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-78612-2
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
744
Schlagwörter
Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort (Ffritz Fellner) 9
  2. Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg (1813–1858) – eine Lebensskizze 11
  3. Überlieferung der tagebücher 37
  4. Editionsrichtlinien 41
  5. Tagebücher 1839–1847 43
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