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1291.
März 1841
Lobkowitz kommt nicht hieher, das ist entschieden; seine pecuniären An-
forderungen waren zu hoch gespannt; wahrscheinlich erhalten wir Wicken-
burg; Spaur soll als Hofkanzler nach Wien kommen und Palffy ihn ersetzen.
[mailand] 1. märz
Der Carnevalone ist mit allen seinen Lärmen und Lustbarkeiten zu Ende;
für mich war er mehr bruyant und fatigant als amusant, und ich fand que
le jeu ne valais pas la chandelle; was mich im Grunde am besten unterhielt,
waren die immer zum erdrücken vollen theater und die foule auf den stra-
ßen, besonders in den letzten tagen, wo das Wetter superbe wurde und da-
her Viele aus den Provinzen herein kamen; Sonntag, Mittwoch und Freitag
war veglione in der scala, der erste, wie gewöhnlich, ganz leer, der 2. und 3.
aber sehr voll, obwohl nach der Aussage der Mailänder nicht so wie sonst;
auf dem 3. waren auch ziemlich amusante masken.
dienstag war wieder theater bey samojloff, le chevalier de st georges,
wo ich aber gar nicht hinging, weil ich voraus sah, ich würde keinen oder
nur einen sehr schlechten Platz bekommen; in die Generalprobe zu gehn, um
doch das Stück zu sehen, darauf hatte ich rein vergessen; nachher war ein
superber Ball, und zwar waren gegen 30 damen en costume aus dem vorigen
Jahrhundert, was einigen sehr hübsch stand, anderen wieder gar nicht. ma-
gnifique war meine flamme del Pozzo, strahlend von diamanten und edel-
steinen, meine flirtation mit ihr geht zwar keine retrograde, aber doch eine
sehr langsame Bewegung, denn seit ich sie damahls in der loge besuchte, sah
ich sie sehr oft auf Bällen und fand sie immer freundlich, jedoch manchmal
verlegen und fast beständig entourirt von männern, die ich nicht kenne und
die mir keinen Wunsch erregen, sie kennen zu lernen; wenn ich da mitten
unter sie comme une bombe hinein platze, so ist es verzeihlich, wenn das sie,
und par ricochet mich paralisirt; es mag seyn, daß ein um 10 Jahre älterer
und routinirterer mensch diese ganze societät zu dominiren und sich trotz
und über ihr festzusetzen verstände; ich aber muß gestehen, daß ich noch
nicht genug assurance habe, um da à mon aire zu seyn, wo ich verlegene
Gesichter hervorrufe; trotzdem werde ich sie nicht négligiren, sondern mich
so au courant erhalten, et à qui viendra, viendra; denn nach Allem sehe ich
doch, daß ich ihr durchaus nicht mißfalle; wenn sie nicht durch Andere ge-
stört wird, ist sie von einer Zutraulichkeit und freundlichkeit, die mich ganz
enchantirt; nebstbey hat sie einen dummen Mann, was auch sehr viel werth
ist.
Außer den genannten lustbarkeiten gab es noch ein Paar Bälle im ca-
sino nobile, einen im casino dei negozianti, einen beym theater impressario
merelli, welcher sehr hübsch war, etc. der erste corso am donnerstag war
misèrable, trotzdem amusirte mich das tolle Treiben ganz gut; Samstag war
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien