„Durchaus erträglich“? Alltag im Anhaltelager Wöllersdorf (Essay)#
von Pia Schölnberger
Besprechung der Monographie von Pia Schölnberger in der Kulturzeitschrift "David" Heft 110 (2016)
Das Ende der Diskussion#
Der Wunsch der Christlichsozialen Partei nach Beseitigung der österreichischen Demokratie war bereits im März 1933 mit der Ausschaltung des Parlaments in Erfüllung gegangen. Bis zum Inkrafttreten der Maiverfassung und des Österreichischen Ermächtigungsgesetzes 1934 regierte Dollfuß auf Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Jahre 1917 und forcierte nun den Zweifrontenkrieg gegen die österreichische Linke und, in Reaktion gegen den politischen Druck aus Deutschland, auch gegen den Nationalsozialismus. Mit der Auflösung des Republikanischen Schutzbundes und dem Verbot der Betätigung für die Kommunistische Partei ging die de-facto-Aufhebung demokratischer Grundrechte wie der Versammlungs- und Pressefreiheit Hand in Hand. Im Juni 1933 wurde infolge verstärkter nationalsozialistischer Terroranschläge schließlich auch die Betätigung für die NSDAP verboten. Die regierungsinternen Machtkämpfe zwischen Heimwehr und Christlichsozialen sowie Landbund waren Dollfuß und seinen Mitstreitern, die ohnehin große Probleme hatten, eine Massenbasis für ihr Regime zu etablieren, seit längerem ein Dorn im Auge. Nachdem er sein Programm zur Errichtung eines „sozialen, christlichen Staates auf ständischer Grundlage unter autoritärer Führung“ am 11. September 1933 im Rahmen des Katholikentages bekannt gemacht hatte, erfolgte wenige Tage später die Regierungsumbildung, bei der Engelbert Dollfuß neben dem Amt des Bundeskanzlers auch jenes des Sicherheitsministers übernahm, und die Landbundangehörigen Franz Winkler, Vinzenz Schumy und Franz Bachinger wie auch der ebenfalls unliebsam gewordene Heeresminister Carl Vaugoin endgültig aus der Bundesregierung ausschieden. Auslösendes Moment hiefür war das Abstimmungsverhalten bei der vor allem von Emil Fey und Dollfuß forcierten Erlassung der sog. Anhalteverordnung gewesen, deren Durchsetzung erst nach der personellen Umbesetzung gelang.
Vorbeugende Verbrechensbekämpfung#
Nicht zuletzt der deutliche Bezug zu Dachau, einem der ersten nationalsozialistischen Konzentrationslager, das im März 1933, nicht weit entfernt von der österreichischen Grenze gegen politisch Oppositionelle errichtet worden war und u.a. durch seine Lagerordnung „Modellcharakter“ für die unzähligen weiteren deutschen Konzentrationslager erhalten hatte, stellte ein wichtiges Argument für diejenigen Regierungsmitglieder dar, die sich gegen die Errichtung österreichischer Lager aussprachen. Man wolle in einem Land der Zivilisation bleiben und nicht die deutschen Methoden nachahmen, wurde z.B. seitens des Landbundes eingewendet. Heimwehrminister wie Odo Neustädter-Stürmer, der sich übrigens bereits hinsichtlich der Parlamentsausschaltung für die „Überhitlerung“, also die verstärkende Nachahmung des Nationalsozialismus v.a. im Kampf gegen den „Marxismus“, ausgesprochen hatte, meinten allerdings, nur mit „Sammellagern“ wirkungsvoll gegen Staats- und Regierungsfeinde vorgehen zu können. Denn ein Lager zu errichten, ermöglichte vor allem eines: Die vorbeugende Internierung politisch Missliebiger, unabhängig von gerichtlichen oder polizeilichen Verurteilungen, unabhängig davon, ob sie sich eines Deliktes schuldig gemacht hatten oder nicht.
So kam es Ende September 1933 zur Erlassung der Anhalteverordnung, und wurden Objekte der stillgelegten k.u.k. Munitionsfabrik Wöllersdorf (NÖ) zu Lagerubikationen umfunktioniert. Um dem naheliegenden Vergleich mit deutschen Konzentrationslagern entgegenzutreten, bezeichnete man diese neu geschaffene Möglichkeit, sich politisch verdächtiger Personen zumindest für eine gewisse Zeit zu entledigen, als „Anhaltung“ bzw. „Anhaltelager“ und erließ sogar ein Verbot der Verwendung des Begriffes „Konzentrationslager“. Mit dem ersten Häftlingstransport am 17. Oktober 1933 wurden elf aufgrund von nationalsozialistischer Betätigung vom Bezirkspolizeikommissariat Schladming (Stmk.) verhaftete Personen nach Wöllersdorf überstellt. Die einzige Frau unter ihnen, eine 34-jährige Lehrerin aus Kindberg, wurde wenige Tage später aufgrund eines Ekzems ins Krankenhaus Wr. Neustadt abgegeben, am 2. November nach Wöllersdorf rücküberstellt, jedoch aufgrund Diphtherieverdachts sofort wieder ins Krankenhaus eingewiesen. Sie sollte der einzige weibliche Wöllersdorfer Häftling bleiben, hinsichtlich aller anderen angehaltenen Frauen erfolgte hinfort die Abgabe in die Polizeigefangenhäuser, wo sie ihre Anhaltung im Frauentrakt verbüßten. Bei der Diskussion um die Einrichtung von Lagern war zwar besonders die für notwendig erachtete Trennung von kriminellen und politischen Häftlingen ins Treffen geführt worden, der gemeinsamen Inhaftierung politischer und krimineller weiblicher Häftlinge maß man jedoch offenbar nicht dieselbe Bedeutung zu – wie man überhaupt der Frau im Austrofaschismus selbstständiges Handeln und Denken weitgehend absprach. Damit einhergehend mag auch der ökonomische Aspekt eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben, hätte doch die Einrichtung eigener „Frauenobjekte“ in Relation zum geringen Anteil weiblicher Anhaltehäftlinge (ca. 1 % der Angehaltenen) wohl zu viel gekostet.
Die Anhalteverordnung, die im September 1934 von einem eigenen Anhaltegesetz (BGBl. 253/1934) abgelöst wurde, sah vor, „Personen, die im begründeten Verdachte stehen, staatsfeindliche oder sonstige die öffentliche Sicherheit gefährdende Handlungen vorzubereiten oder die Begehung oder die Vorbereitung solcher Handlungen zu begünstigen, zu fördern oder dazu zu ermutigen“, „zwecks Hintanhaltung von Störungen der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit zum Aufenthalte in einem bestimmten Orte oder Gebiete“ zu „verhalten“. Viele Anhaltungen wurden damit begründet, dass jemand als nationalsozialistischer Parteigänger bzw. als Anhänger der kommunistischen Partei bekannt sei. Dazu wurden bereits verbüßte Gerichts- und Polizeistrafen aufgrund von politischer Betätigung aufgelistet, um den Wiederholungscharakter zu betonen und damit die vorbeugende Arretierung zu rechtfertigen. Dies ging bis zur Behauptung der „geistigen Führerschaft“ politischer Handlungen, wie dem Austeilen kommunistischer Flugzettel oder Streuen papierener Hakenkreuze, wenn der/die TäterIn selbst nicht ausgeforscht werden konnte. Das Verbot der Betätigung im Sinne der SDAP, das im Zuge der Februarkämpfe erlassen wurde, machte man sich insofern zunutze, als unzählige sozialdemokratische Mandatare mit der Begründung nach Wöllersdorf eingewiesen wurden, dass sie – vor dem Parteiverbot – eine führende Stellung in dieser Partei innegehabt hatten. Diese Politiker wurden also rückwirkend einzig für ihre parteipolitische Position bestraft, da ihnen, wie in der Berufungskorrespondenz stets festgehalten wurde, keinerlei direkte Beteiligung an den Februarkämpfen nachgewiesen werden konnte. Während diese Funktionäre also nach einigen Wochen in den Polizeigefangenhäusern im April 1934 in großen Transporten nach Wöllersdorf verbracht wurden, verbüßten die im Zuge der Kämpfe Verurteilten ihre gerichtlichen Strafen in den Justizanstalten und wurden erst im Anschluss daran ins Anhaltelager überstellt.
Die Verurteilung der Juliputschisten erfolgte hingegen aufgrund des ebenfalls rückwirkenden sog. Putschistengesetzes vom 30. Juli 1934 (BGBl. 163/1934), wobei die als am Putsch „minderbeteiligt“ Eingestuften sofort angehalten und in großen Transporten v.a. im September 1934 nach Wöllersdorf eingewiesen wurden. Die „schwere Zwangsarbeit“, zu der sie hierbei verurteilt wurden, unterschied sich nach ersten Untersuchungen kaum von den einfachen Arbeiten der anderen Häftlinge, wie auch sonst die äußeren Lebensbedingungen in Wöllersdorf nicht allzu beschwerlich waren; eine Einschätzung, die allerdings nicht für die in vielen Zeugnissen beschriebenen, mangelhaften Zustände in den Polizeigefangenhäusern oder in anderen Anhaltelagern wie beispielsweise Messendorf bei Graz gelten kann.
Alltag im Lager#
Auch wenn die Anklänge der österreichischen Anhaltelager an die frühen deutschen Konzentrationslager unverkennbar sind, unterschieden sich die Verhältnisse in Wöllersdorf doch von Beginn an gravierend von den deutschen, was sich allein an den unterschiedlichen Überlebenschancen zeigt: In Wöllersdorf wurde weder gehungert noch gefoltert noch gemordet. Selbstmordversuche konnten meistens früh genug entdeckt und die Betroffenen – bis auf wenige Ausnahmen – am Leben erhalten werden. Physisch oder psychisch erkrankte Häftlinge wurden in die Marodenstation, bei schwerwiegenderen Zuständen in Krankenhäuser abgegeben. Freilich blieb das Lager auch nicht von Ungezieferplagen und Seuchen verschont. Allerdings zeigt sich fallweise ein exzeptionell schlechter Umgang mit einzelnen Angehaltenen: Der große Schulreformer Otto Glöckel beispielsweise bezahlte die schlechte medizinische und höchst schikanöse Behandlung in der Rossauerlände und seine anschließende, verhältnismäßig lange Anhaltung in Wöllersdorf mit dem Leben. Er zählte zu den ersten Inhaftierten des 12. Februar und wurde erst Ende Oktober 1934 entlassen, obwohl bereits zu Beginn feststand, dass er nicht an den Kämpfen beteiligt gewesen war. Trotz ärztlicher Gutachten, die aufgrund der ernstlichen Erkrankung des 60-Jährigen zu einer raschen Entlassung geraten hatten, sowie zahlreicher Gnadengesuche von Organisationen und Politiker aus der ganzen Welt, ließ sich Dollfuß – und nach dessen Ermordung Schuschnigg – nicht erweichen. Glöckel, der wenige Monate nach seiner Entlassung verstarb, kann als eines der tragischsten Opfer der austrofaschistischen Anhaltung gesehen werden.
Fluchtversuche aus dem Anhaltelager glückten nicht selten, da immer wieder Hilfeleistungen seitens des Wachpersonals stattfanden bzw. der Kontakt nach draußen in den meisten Fällen relativ einwandfrei funktionierte – Wöllersdorf war alles andere als ein hermetisch abgeriegeltes Biotop. Der britische Journalist G.E.R. Gedye, dem die Erlaubnis erteilt worden war, 1933 Dachau und 1934 Wöllersdorf zu besuchen, zeichnete folgendes Bild von Wöllersdorf:
„Die Nazi, die in dauernder Verbindung mit der Außenwelt standen, hatten Schauermärchen über ihre Leiden in Wöllersdorf verbreitet. Sicher war es dort an öden Wintertagen fast ebenso ungemütlich wie in den Militärbaracken der Kitchenerarmee während eines Kriegswinters. Aber im April 1934 war das Leben ganz angenehm, wenn auch ungefähr ebenso langweilig wie von kasernierten Soldaten, die keinen Dienst zu machen brauchen. Es gab weder Zellen noch Pritschen. Alle Häftlinge, meist junge Burschen, hatten Photographien ihrer Freundinnen und Angehörigen oder Bilder von (streng arischen) Filmstars über ihren Betten hängen. Es konnte unbeschränkt geraucht werden. Ich unterhielt mich gänzlich ungezwungen mit den Nazi, ohne daß irgendein Wärter oder Wachtposten zugegen gewesen wäre. Sie beschwerten sich lebhaft über die Lagerkost, obwohl sie sich ihre eigenen Lebensmittel in einer Lagerkantine kaufen konnten. Besondere Klagen wurden über den Zusatz von Brom zum Tee geführt. Sie brauchten nicht wie die Häftlinge deutscher Konzentrationslager Zwangsarbeit zu leisten, sondern mußten nur um 6 Uhr aufstehen, ihre Baracken reinigen und eine Stunde lang gymnastische Übungen machen; um 21 Uhr mußte wieder das Licht ausgelöscht werden. Ansonsten konnten sie über ihre Zeit frei verfügen und schienen sie hauptsächlich mit Fußball, Sonnenbaden und Lesen unter den Bäumen zu verbringen. Am ernstesten beschwerten sich alle Nazi mir gegenüber über das Verbot des Gemeinschaftssingens.“
Schenkt man den Berichten ehemaliger Angehaltener aus allen politischen Lagern Glauben, stellte die weltanschauliche Weiterbildung der Häftlinge untereinander eine wichtige Tagesbeschäftigung dar. Zumindest bis Mitte 1936, als Häftlinge zunehmend entlassen und die verbliebenen in wenige Objekte zusammengelegt wurden, waren die sozialdemokratischen, kommunistischen und nationalsozialistischen Häftlinge jeweils gemeinsam in eigenen Objekten untergebracht – ab Juli 1934 gab es ein eigenes Objekt für die Kanzleramtsputschisten, später kamen Räumlichkeiten für die freien Gewerkschafter hinzu. Die Objekte wiesen Belagstärken von ca. 100 bis zu 900 Betten auf, wobei sich die Häftlinge innerhalb der Objekte und der daran angegliederten Außenflächen, die durch Stacheldraht eingegrenzt waren, frei bewegen konnten. Der Kommunist Fritz Probst berichtet beispielsweise von einer geheimen Bibliothek in seinem Anhalteobjekt, wo er mit Angehörigen des illegalen Zentralkomitees der KPÖ untergebracht war, sowie von einer Art „Stundenplan“, der festlegte, welcher Unterricht zu welcher Tageszeit abgehalten wurde. So fanden in Wöllersdorf regelmäßig Kurse in marxistischer Theorie, materieller Ökonomie etc. für die angehaltenen Kommunisten statt. Der ebenfalls in Wöllersdorf angehaltene illegale Gauleiter für das Burgenland, Tobias Portschy, beschreibt seine Anhaltung folgendermaßen:
„Der Aufenthalt im Anhaltelager war für begeisterte Nationalsozialisten durchaus erträglich. Sie fanden in den großen Hallen nicht allein zu Besprechungen, sondern zu regelmäßigen Schulungsvorträgen reichlich Gelegenheit, sodass das Lager seinen Zweck völlig verfehlte: es wurde nämlich in eine politische Hochschule umgewandelt. Als Jurist hatte ich vom Tage der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland größtes Interesse an den erlassenen Gesetzen gefunden. Ich beherrschte daher den Stoff der n.s. Gesetzgebung genauestens. Unser Hallensprecher hatte daher selbstverständlich mich zum Vortragenden über diese Materie bei den wöchentlichen Schulungsabenden bestimmt. Man kann sich vorstellen, welch großes Interesse alle, aber wirklich alle Mithäftlinge für die Materie der schon im Jahre 1933 erlassenen Reichsgesetze aufbrachten (...)“.
In Wöllersdorf angehalten zu sein, bedeutete jedoch vor allem, von einem faschistischen Unrechtsregime des Menschenrechtes auf persönliche Freiheit beraubt zu sein. Die den Häftlingen auferlegte Schikane bezog sich somit nicht so sehr auf äußerliche, körperliche Lebensbedingungen im Lager, sondern bestand vielmehr in der Ausübung psychischer Gewalt, dem langen Getrenntsein von den Angehörigen, dem Nichtstun, dem Zusammengepferchtsein. Erst nach vielen Häftlingsdemonstrationen, Petitionen an Bundeskanzleramt und Lagerkommandantur sowie Hungerstreiks wurde beispielsweise die Dauer der Anhaltung im Voraus befristet. Die Angehaltenen waren bis dahin für unbestimmte Zeit nach Wöllersdorf verbracht worden und hatten sich in dem permanenten, quälenden Zustand der Ungewissheit befunden. Haftneurosen und andere akute psychische Erkrankungen waren in Wöllersdorf an der Tagesordnung. Damit verbunden war das bislang wenig untersuchte Unterdrückungsinstrument des Vermögensentzuges. 6 Schilling kostete jeden Häftling ein Tag im Anhaltelager – in Anbetracht der Tatsache, dass eine große Zahl der Angehaltenen arbeits- und vermögenslos, häufig auch ausgesteuert war und gleichzeitig mitunter mehrköpfige Familien zu erhalten hatte, eine Menge Geld. Kaum verwunderlich, dass das bei einer durchschnittlichen Arbeitslosenunterstützung von 14 Schilling pro Woche kaum jemand bezahlen konnte. Dazu verloren die Häftlinge ab September 1934 für die Dauer ihrer Anhaltung ihnen zustehende Renten aus der österreichischen Sozialversicherung und der Invalidenentschädigung. Stand jemand zum Zeitpunkt der Verhaftung in einem Arbeitsverhältnis, verlor er dieses während der Anhaltung. Tausende Gnadengesuche verzweifelter Ehefrauen und Eltern, die vom Verdienst ihrer Ehemänner und Söhne abhängig waren, zeugen von dem unsagbaren Elend, das die Anhaltelager in den desolaten Jahren nach der Weltwirtschaftskrise noch verstärkten.
Zweck verfehlt#
Der „Zweck der Anhaltung“, den Portschy eindeutig nicht erfüllt sah, war von den Austrofaschisten so definiert:„Es ist gewiss notwendig und anerkennenswert, bei staatsfeindlichen Propagandaaktionen jeder Art die unmittelbaren Täter auszuforschen und der gebührenden Strafe zuzuführen. Damit allein darf es aber nicht sein Bewenden haben. Es muss vielmehr alles daran gesetzt werden, die illegalen Organisationen als solche aufzudecken, die Funktionäre zu ermitteln, zu verhaften, durch exemplarische Strafen und durch Anhaltung möglichst lange auszuschalten und auf diese Weise den illegalen Apparat lahmzulegen, zu zerstören.“
Dieser Anspruch ist auf allen Linien gescheitert. Weder die illegalen Organisationen der linken Opposition noch der Nationalsozialisten wurden durch das System der Anhaltung geschwächt oder dauerhaft lahmgelegt. Die Nationalsozialisten konnten ihre Unterwanderung mit dem Juliabkommen 1936 nun auch offiziell fortsetzen, die Anhaltehäftlinge wurden in größeren Zahlen amnestiert, bis nur noch wenige hundert in einem Objekt konzentriert waren. Nach der Generalamnestie im Februar 1938 diente die Inbrandsetzung einzelner Objekte des in „Wöllersdorf-Trutzdorf“ umbenannten Lagers im April 1938 als propagandistische Großveranstaltung der neuen Machthaber. Teile des Inventars des Anhaltelagers wurden später im NS-Konzentrationslager Mauthausen weiterverwendet.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in den DÖW-Mitteilungen, Folge 195 (März 2010), S. 1-4.
Zur Durchführungspraxis der Anhaltegesetzgebung s. ausführlich den Beitrag „Wöllersdorf – Die Anfänge“ der Autorin im DÖW-Jahrbuch 2009.
Für das Zitat aus dem Tagebuch Tobias Portschys sei Ursula Mindler sowie Herrn Portschy herzlich gedankt. Mag. Pia Schölnberger geb. 1982, Studium der Germanistik und Geschichte in Wien, dzt. Projektmitarbeiterin am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Universität Wien, in Arbeit befindliche Dissertation zu Anhaltung im Austrofaschismus. Forschungsschwerpunkte: NS-Medizinverbrechen, Austrofaschismus.
http://vermoegensentzug.univie.ac.at/team2/pia-schoelnberger/.
Die Autorin ist auf der Suche nach weiteren Zeugenaussagen und Dokumenten über das Anhaltelager Wöllersdorf. Kontaktadresse: Mag. Pia Schölnberger, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Schottenbastei 10-16, 1010 Wien. Email: pia.schoelnberger (at) univie.ac.at.
Historische Bilder zu Anhaltelager Wöllersdorf (IMAGNO)
Besprechung des Buches von Pia SChölnberger
Gehört sicher zum Besten was derzeit an Fachliteratur im Gegenstand zu lesen ist. Derartige austro-faschistische Praktiken wurden auch von späteren Widerstandskämpfern, wie etwa Robert Bernardis laufend kritisiert. Auch Oberst Karl Schneller, im Ersten Weltkrieg enger Mitarbeiter Conrads und später Volkswehr-Offizier und Schriftsteller war völlig unschuldig in W. gefangen. Erschütternd sein dort verfasstes Buch: "Gefangenschaft-Ein Band Sonette." Erst Bruno Kreisky hat dafür gesorgt, dass das Gesamtwerk veröffentlicht wird, weil Schneller einer der wichtigsten Zeitzeugen für Wö. ist. Schneller wäre gerade für die Anhaltungsfrage besonders wichtig, da er für unschuldig erklärt wurde, aber dann wegen des Dollfuß-Mordes willkürlich weiter festgehalten wurde. An diesem Mord konnte er nicht im geringsten mitschuldig sein, da er ja in W. einsaß. Auch an den Februarkämpfen hatte er nicht den geringsten Anteil. Zitat aus "Gefangenschaft-ein Band Sonette" :"Du bist unschuldig, die Würfel fielen ohne Dein Wissen." Viel Freude bei der Arbeit an der wichtigen Diss. LG LG --Glaubauf Karl, Mittwoch, 16. Juni 2010, 09:56
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