Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast
vom 25.08.2020, aktuelle Version,

Der Kulterer

Der Kulterer ist eine im Jahr 1962 entstandene Erzählung des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard. Sie handelt von einem Gefängnisaufenthalt und der anstehenden Freilassung der Hauptperson, des Kulterers.

Umschlag des Buches Thomas Bernhard - Der Kulterer, 1974

Inhaltsangabe

Die Hauptperson, ein einfacher, zurückhaltender und anspruchsloser Mensch, fügt sich ohne Auflehnung in den brutalen Strafvollzug ein, wo schon wegen einfachster Widersprüche Schläge mit dem Gummiknüppel auf den Kopf der Gefangenen üblich sind.

Er erkennt: „Auflehnung ist Größenwahn“. Sie wäre auch nicht gerechtfertigt, da er seine Strafe in Anbetracht seines Verbrechens akzeptiert. So wird er fast zum Liebling der Wärter, die ihn zwar nicht bevorzugen, ihn aber auch nicht ungerecht bestrafen.

Die Strafanstalt wird für den Kulterer zum Freiraum, in dem er Welt und „Gotteswelt“, „Himmel und Hölle“ erstmals als Bestandteile eines sinnvollen Systems verstehen lernt. Während die anderen Gefangenen, im Grunde viehisch-rohe Gesellen, gewalttätig und aufbegehrend, sich an dem System abnutzen und verbrauchen, gelingt es dem Kulterer, die Wirkungsstätte seines Gefängnisaufenthalts zum Ort einer Selbstverwirklichung zu machen: Er beginnt nachts im Dunkeln, kleine Geschichten niederzuschreiben, die ihm halb im Traum einfallen und die er wach fortspinnt. Über diese Geschichten findet er auch Zugang zu den anderen Gefangenen, die zwar seine Literatur meistens nicht verstehen, sie aber akzeptieren und die Lesungen, die er hält, gerne hören.

Interpretation

Es zeigt sich, dass die bei Bernhard oft nachgewiesene „negative Idylle“ bereits in dieser frühen Geschichte vollständig ausgeprägt ist: Die Selbstverwirklichung des Subjekts geschieht unerwartet dort, wo Gewalt und Finsternis herrschen, wo der Einzelne bis auf die grundlegenden Bedürfnisse tagtäglich Vergewaltigung erfahren muss.

Der viel beschriebene „Ortstopos“ im Werk Bernhards ist hier vor der Kulisse einer Strafanstalt noch nicht in der absurden Konstellation der späteren Werke wie Das Kalkwerk ausgearbeitet. Bernhard beschreibt die Örtlichkeit sehr anschaulich und fast logisch folgerichtig. Es handelt sich nämlich bei der Gefängnisanlage um ein altes aufgegebenes Kloster, in dem schon immer Menschen (wenn auch früher freiwillig) vom Leben in der Außenwelt Abstand genommen haben und in die auch heute nur selten Irritationen eindringen: Briefe und Pakete aus der Außenwelt oder das Lachen von Bauersfrauen von den umliegenden Feldern.

Dennoch drückt die Realität dem Schreibenden ihren Stempel auf: Er schreibt nur traurige Geschichten, in denen er aber bis zu einem gewissen Grad Wirklichkeit gestalten kann und die Welt verstehen lernt.

So ist es nicht verwunderlich, dass der Kulterer seiner bevorstehenden Entlassung mit Skepsis und Angst entgegensieht. Er fürchtet zurecht um den Verlust seines Schutzraums; sein Weg wird nicht in die Freiheit führen, sondern in eine Landschaft, die „von Hoffnungslosigkeit dampft“ und in der ein weiterer literarischer Schaffensprozess nicht glaubhaft ist.

Ausgaben

Die Erzählung erschien mit Illustrationen von Peter Herzog zunächst 1969 im Prosaband An der Baumgrenze im Residenz-Verlag Salzburg und abermals 1974 zusammen mit der „Filmgeschichte“ unter dem eigentlichen Titel. Eine Neuausgabe, ebenfalls mit den Illustrationen Herzogs, erfolgte 2011 in der Insel-Bücherei.

Verfilmung

Das Drehbuch, vom Verlag „Filmgeschichte“ genannt, wurde 1973 verfasst.

Das Buch wurde unter dem Titel „Der Kulterer“ 1973/74 als Gemeinschaftsproduktion von ZDF und ORF mit Helmut Qualtinger in der Titelrolle unter der Regie von Vojtěch Jasný als Fernsehfilm mit 77 Minuten Länge verfilmt. Die Aufnahmen wurden in der in einem ehemaligen Kloster untergebrachten Männerstrafanstalt Garsten in Oberösterreich gedreht.

Die Erstausstrahlung erfolgte am 6. März 1974 im Nachtprogramm des ZDF, im ORF war der Film am 16. April 1974 zu sehen.

Die Darsteller waren Helmut Qualtinger in der Titelrolle, Andreas Altmann, Harry Hornisch, Werner Schneyder, Fritz Thalhammer, Emmo Diem und Roland Barta.