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Wittgenstein, Ludwig#

* 26. 4. 1889, Wien

† 29. 4. 1951, Cambridge (Großbritannien)


Philosoph


Ludwig Wittgenstein
Ludwig Wittgenstein. Foto
© Ch. Brandstätter Verlag, Wien, für AEIOU

Sohn von Karl Wittgenstein, Bruder von Paul Wittgenstein.

Ludwig Wittgenstein war das jüngste Kind einer der bedeutendsten österreichischen Industriellenfamilien der Jahrhundertwende, die im kulturellen Leben Wiens eine ausnehmend große Rolle spielte.

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Gedenktafel in Linz - Foto: von Christine Edhoffer vermittelt

Er wurde zunächst zu Hause unterrichtet, dann besuchte er die Staatsoberrealschule in Linz und studierte ab 1906 Ingenieurwissenschaften in Berlin. Ab 1908 war er Research Student an der Universität Manchester.

Bei seinen technischen Versuchen stieß er auf Grundlagenprobleme der Mathematik und wandte sich an Bertrand Russell.

Dies wurde für ihn die entscheidende Berührung mit der Philosophie. Ende 1911 ging Wittgenstein nach Cambridge, um bei Russell Logik und Philosophie zu studieren. Bald hatte er den Ruf, einer der brillantesten jungen Philosophen in Cambridge zu sein, und er schloss Freundschaft mit dem Philosophen Moore, dem Ökonomen Keynes und seinem Lehrer Russell.

Wittgenstein nahm als Freiwilliger am 1. Weltkrieg teil. Er geriet in italienische Gefangenschaft, die ihn in das Lager von Monte Cassino brachte. Die Arbeit am "Tractatus" hatte er noch vor der Gefangenschaft abgeschlossen.

Nach dem Krieg hatte Wittgenstein Schwierigkeiten, den "Tractatus" zu veröffentlichen, erst durch Russells Vermittlung erschien das Buch (zunächst 1921 in "Ostwalds Annalen der Naturphilosophie" und 1922 in einer deutsch-englischen Ausgabe bei Kegan Paul in London.

1919 kehrte er nach Wien zurück. Wittgenstein war - neben seiner philosophischen Tätigkeit - ein hervorragender Musiker, widmete sein geerbtes Vermögen sozialen Zwecken (unter anderem Unterstützung für Georg Trakl), achtete auch die einfachen Tätigkeiten und wirkte von 1920 bis 1926 als Volksschullehrer in Niederösterreich (Trattenbach, Puchberg und Otterthal).

Von 1926 bis 1928 errichtete er mit dem Architekten Paul Engelmann in Wien ein Haus für seine Schwester Margarethe Wittgenstein-Stonborough (Wittgenstein-Haus, heute Bulgarisches Kulturinstitut), ein einzigartiges Beispiel der frühen Moderne in Wien.

Sein Denken beeinflusste den Wiener Kreis, den Neopositivismus und die Entwicklung der mathematischen Logik. Wittgenstein versuchte zunächst die Existenz des Irrationalen zu beweisen: in seinem berühmten Satz "Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen" brachte er zum Ausdruck, dass über metaphysische Zusammenhänge keine sinnvollen Aussagen möglich sind.

Anfang 1929 ging Wittgenstein abermals nach Cambridge. Er promovierte mit dem "Tractatus" als Dissertation und lehrte dann einige Zeit als Research Fellow. Die Art, wie Wittgenstein lehrte, war gänzlich ungewohnt: Er unterrichtete nur seine eigene Philosophie, sei es Sprachphilosophie, Ästhetik, Philosophie der Psychologie oder der Mathematik.

Später wandte er sich in den "Philosophischen Untersuchungen" (1930-49) dem Gebrauch und den Lebensformen der Sprache zu und suchte durch "Sprachspiele" (in denen zusammen mit der Sprache die Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, berücksichtigt werden), "ein Licht in die Verhältnisse unserer Sprache" zu bringen.

Von 1939 bis 1947 war Wittgenstein Universitätsprofessor in Cambridge.

Seine Sprachphilosophie erlangte vor allem im angloamerikanischen Raum weite Verbreitung und verlieh der modernen Literatur in Österreich wichtige Impulse (Ingeborg Bachmann, Wiener Gruppe).

Seit 1996 wird im Auftrag des Wissenschafts- bzw. Bildungsministers der L.-Wittgenstein-Preis (Dotierung 10-20 Millionen Schilling über 5 Jahre) an Spitzenforscher aller Fachdisziplinen verliehen.

Weiterführendes#

Werke (Auswahl)#

  • Wörterbuch für Volksschulen, 1926
  • Some Remarks on Logical Form, 1929
  • Ausgaben: Schriften, 2 Bände, 1960/65
  • Werksausgabe, 8 Bände, 1991-93
  • W. Braun (Hg.), Geheime Tagebücher 1914-16, 1992
  • Wiener Ausgabe, herausgegeben von M. Nedo, 8 Bände (einschließlich Einführung, Konkordanz und Registerband), 1993-98

Literatur#

  • M. Nedo, M. Ranchetti (Hg.), L. Wittgenstein, 1983
  • R. Haller (Hg.), Wittgenstein, eine Neubewertung, 3 Bände, 1990
  • R. Monk, Das Handwerk eines Genies, 1992
  • W. Vossenkuhl, L. Wittgenstein, 1995
  • K. Wuchterl und A. Hübner, L. Wittgenstein mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, 2001
  • Neue Österreichische Biographie


Haus Wittgenstein Kundmanngasse
Haus Wittgenstein
© P. Diem

Haus Wittgenstein Kundmanngasse
Haus Wittgenstein
© P. Diem

Haus Wittgenstein Kundmanngasse
Haus Wittgenstein
© P. Diem

Text aus dem Buch "Große Österreicher":#

Ludwig Wittgenstein (1889-1951)

Es dürfte wohl das erste Mal sein, daß der Volksschullehrer von Trattenbach mit einem Universitätsprofessor in Peking korrespondiert«, schrieb Ludwig Wittgenstein im Herbst 1920 an Bertrand Russell, der damals gerade als Gastprofessor in China lehrte. Allerdings war der Lehrer aus Niederösterreich Schüler und Freund des englischen Philosophen und späteren Nobelpreisträgers für Literatur - und die vermeintliche Skurrilität solchen Briefwechsels war nicht das einzige Sonderbare im Leben des Ludwig Wittgenstein, über den der erwähnte Bertrand Russell schon 1912 zur Schwester Wittgensteins geschrieben hatte: »Wir erwarten, daß der nächste große Schritt in der Philosophie durch Ihren Bruder unternommen wird.« Viel später dann bekannte Russell: »Die Begegnung mit Wittgenstein war eines der aufregendsten intellektuellen Ereignisse meines Lebens.«

Die Begegnung mit Wittgenstein mag auch heute noch aufregend sein, wenngleich sein philosophisches Gedankengebäude schwierig, seine - wenigen -Schriften schwer verständlich, sein Leben sonderbar anmuten. Er ist das gewesen, was man unter einer »gestörten Persönlichkeit« versteht. Die einen nannten ihn einen neuen Galilei, weil er ein philosophisches Weltbild schuf, die anderen einen zersetzenden Geist. Freunde bezeichneten ihn als chaotische Person. Er war ein Denker, dessen Gedanken ebenso schwierig nachzuvollziehen sind, wie seine Lebensweise erklärbar ist. Ludwig Wittgenstein ist in keiner Beziehung leicht einzuordnen.

Er entstammte einer reichen Industriellenfamilie und hat schließlich sein Vermögen unter den Geschwistern aufgeteilt, weil ihn das Bewußtsein, Besitz zu haben, an der Gedankenarbeit hinderte. Er war ein talentierter Mathematiker und Techniker und hat sich doch der reinen Philosophie gewidmet - die er freilich als Tätigkeit, nicht als Lehre empfand. Er hat zeit seines Lebens mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt - drei seiner Brüder gingen freiwillig in den Tod, und der einzige Schulfreund, dem er in der Oberrealschule in Linz gestattete, ihn mit Du anzureden - alle anderen mußten ihn »siezen« - brachte sich später ebenfalls um. Ludwig Wittgensteins Charakterogramm zeige ihn als »schizothymen (wenn nicht sogar schizoiden) introvertierten Autisten, dessen Aktionen und Reaktionen nur als Protesterscheinungen gegen die Sorglosigkeit der großbürgerlichen Wohlstandsgesellschaft - aus welcher er herkam -, gegen jede Form von Establishment und lähmende Tradition zu begreifen sind, was sowohl für seine kompromißlose Lebensgestaltung wie für die Art der philosophischen Produktion Geltung hat«, sagte ein Kenner lange nach seinem Tod in einem Vortrag. Und doch hat Wittgenstein noch im Sterben glücklich gewirkt: »Sagen Sie ihnen, daß ich ein wundervolles Leben gehabt habe«, waren seine letzten Worte.

Mit heutigen Maßstäben gemessen, ist Ludwig Wittgenstein der klassische Fall des Aussteigers gewesen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg verbrachte er ein Jahr in einem abgelegenen Bauernhaus in Norwegen, später war er Dorfschullehrer, Gärtnergehilfe, Krankenträger. Ein wundervolles Leben? Das Leben eines Schwierigen. Er wäre ein großartiger Techniker geworden; das Prinzip eines von ihm erfundenen Düsenhubschrau¬bers ist später weiterverwertet worden. Er hat es vorgezogen, Ideen von Technik, Logik und Mathematik in die Philosophie hinüberzutragen. Erst studierte er an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg, dann ging er nach Cambridge, wo er zu Russell stieß, der ihn »das vollendete Beispiel eines Genies« nannte.

Im Sommer 1914 wird er in Wien vom Kriegsausbruch überrascht, schon vorher hatte er die damals immense Summe von 100 000 Kronen aus seinem Privatvermögen für junge Künstler - Trakl, Rilke, Kokoschka u. a. - gestiftet. Im Krieg war er zeitweilig Ballonbeobachter - und gegen Kriegsende stellt er sein bekanntestes Werk fertig, den »Tractatus logico-philosophicus«. Ihm folgten später die »Philosophischen Untersu¬chungen«. Wittgenstein war kein Viel¬schreiber. Dennoch hat er der Philosophie völlig neue Anstöße gegeben. Und dies, obwohl er jahrzehntelang auf die Anerkennung seines »Tractatus« als Dissertation warten mußte. Und obwohl er keiner »Schule« einzuordnen ist, auch wenn seine Gedanken - fälschlich - durch den positivistischen Wiener Kreis vereinnahmt worden sind. Forma¬ismen fehlen völlig in Wittgensteins Werk, er verzichtete auf Zitierungen und Verweise und verstieß deshalb gegen den philosophischen »Wissenschaftsbetrieb«. Trotzdem kann Wittgenstein als einer der Hauptvertreter der »linguistischen Wende« bezeichnet werden, welche die Sprache beziehungsweise das Verhältnis zwischen Sprache und Welt in den Mittelpunkt der Philosophie rückt.

Er versucht Sprache mit Hilfe der strengen Methoden der mathematischen Logik und der exakten Naturwissenschaften zu beschreiben und kommt so zu einer Grenzziehung zwischen Sagbarem und, wie er es nennt, »Un-Sagbarem« überhaupt: »Der Angelpunkt ist die Theorie dessen, was durch Aussagen, das heißt durch Sprache ausgedrückt werden kann (und, was das gleiche besagt, was gedacht werden kann) und dessen, was durch Aussage nicht ausgedrückt, sondern nur gezeigt werden kann. Das ist das Kardinalproblem der Philosophie.« Wittgensteins Grundanliegen ist demnach: »Alle Philosophie ist Sprachkritik.« Und der berühmte Schlußsatz seines »Tractatus« lautet: »Worüber man nicht reden kann, davon soll man schweigen.«

Solche Gedanken waren die eine Seite des Wittgensteinschen Wesens. Die andere wurde von einem Seelenleben diktiert, das eine Krise an die nächste reihte. Daß ihm seine Mutter durch Intervention beim Vatikan - immerhin waren drei Brüder tot - die frühzeitige Heimkehr aus italienischer Gefangenschaft ermöglichte, stürzte ihn in Depressionen. Tolstoi-Lektüre führte ihn schließlich dazu, das einfache Leben zu wählen; er ließ sich zum Lehrer ausbilden und unterrichtete in Trattenbach, Puchberg und Otterthal, hauste in kahlen Kammern, war nervös, teilte in der Klasse Ohrfeigen aus - und war doch von den Schülern geliebt; sie spürten den »heiligen Eifer«, der in Wittgenstein brannte.

1926 quittiert er den Dienst, in Wien baut er seiner Schwester - Beweis seines vielseitigen technischen Talents - ein Haus in der Kundmanngasse, nachdem er vorher als Gärtner bei den Barmherzigen Brüdern gearbeitet hatte. 1929 geht er wieder nach Cambridge, er verbringt die meiste Zeit eines restlichen Lebens auf der Insel, hat sich aber dort nie integriert; er ist immer Österreicher geblieben, er war in der Fremde stets der Gast von draußen. 1939 erhält Wittgenstein endlich einen Lehrstuhl, er hält Vorlesungen über Mathematik und Philosophie, zwischendurch verbringt er anderthalb Jahre in irischer Einsamkeit. Nach Wien ist Ludwig Wittgenstein 1949 noch einmal zurückgekehrt, um seine kranke Schwester zu besuchen. Im selben Jahr wird auch bei ihm ein Krebsleiden diagnostiziert. Aber er arbeitet weiter.

Am 29. April 1951, drei Tage nach seinem 62. Geburtstag, stirbt Ludwig Wittgenstein in Cambridge. Ein wundervolles Leben, wie er sagte? Ein reiches jedenfalls. Reichtum ist eine Frage der inneren Einstellung. Aus ihr quillt jede Philosophie.

Quellen#

  • AEIOU
  • Öst. Ludwig Wittgenstein Gesellschaft
  • Intern. Wittgensteingesellschaft
  • Tracing Wittgenstein, http://wittgenstein.philo.at
  • Große Österreicher, ed. Th. Chorherr, Verlag Ueberreuter, 256 S.


Redaktion: I. Schinnerl