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„Sie gehören getestet“#

Eine Covid-Patientin führt Tagebuch über ihren Krankheitsverlauf.#


Von der Wiener Zeitung (28. März 2020) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Aufgezeichnet von

Brigitte Pechar


Helene S. (Name der Redaktion bekannt) ist 69 Jahre alt. Seit ihrer Pensionierung als Lehrerin vor fast vier Jahren macht sie regelmäßig ausgedehnte Walkingtouren, sie ist also fit. Ihr einst niedriger Blutdruck hat sich mit den Jahren allerdings zum Bluthochdruck entwickelt, auch Diabetes (Alterszucker, wie es im Volksmund heißt) gesellte sich dazu. Diese Woche erhielt Helene S. die Diagnose, an Covid-19 erkrankt zu sein. Im Folgenden bringt die „Wiener Zeitung“ das Tagebuch von Helene S. zum Krankheitsverlauf, der aber nicht bei allen Patienten gleich ist.

Mittwoch, 11. März 2020: Ich treffe meine Tochter, Susanne, die vor zwei Tagen von einem Besuch in Tirol zurückgekehrt ist.

Freitag, 13. März: Ich habe ein Gefühl, als hätte ich ein Loch in der Lunge, leichtes Kratzen im Hals. Es ist irritierend, aber nicht schmerzhaft.

Sonntag, 15. März: Ich muss häufig husten. Es ist ein trockener Husten.

Montag: 16. März: Meine Rückenmuskulatur schmerzt, es ist kaum auszuhalten. Der Husten wird zum ständigen Begleiter. Das Fieberthermometer zeigt 37,5 Grad – für mich, die seit der Kindheit fast nie Fieber hatte, ist das „hohes Fieber“.

Dienstag, 17. März: Die Rückenschmerzen halten an; mein Harn ist orange – als hätte ich zu wenig getrunken, was nicht der Fall ist. Das Fieberthermometer zeigt 36 bis 37,5 Grad. Aus Sorge um meine Lunge suche ich den Lungenfacharzt auf. Dem Lungenfunktionstest begegne ich mit Skepsis, weil ich dadurch eine eventuelle Ansteckung mit dem Coronavirus befürchte. Ich erhalte selbstverständlich ein neues Mundstück, aber das Atmen und Ansaugen von Luft aus dem Gerät ist mir nicht geheuer. Der Facharzt beruhigt: „Da kann es keine Ansteckung geben.“ Beruhigende Diagnose: keine Lungenentzündung. Zur Vorsicht verschreibt mir der Arzt ein Antibiotikum.

Mittwoch, 18. März: Die Muskelschmerzen sind besser, das Fieberthermometer zeigt 37 Grad, der Harn ist orange. Ich empfinde eine unaussprechliche Müdigkeit. Das Mittagessen schmeckt nicht. Nicht, dass ich es nicht gut fände, ich empfinde keinen Geschmack – wie bei einer Verkühlung. Ich habe keinen Schnupfen, aber trockenen Husten. Nach einigem Überlegen rufe ich die Hotline 1450 an. Es dauert ziemlich lange, bis ich durchkomme. Eine freundliche Frau nimmt meine Daten auf, dann bin ich wieder in der Warteschleife. Ein Mann übernimmt nach weiteren zig Minuten das Gespräch, kann aber keine Auskunft geben. Ich bin wieder in der Schleife. Nach fast einer Stunde spreche ich mit einem Mann. An welchen Plätzen in Wien hätte ich mich befunden? Mit wem hätte ich Kontakt gehabt? Ich sei 69 Jahre alt, habe Bluthochdruck, Diabetes und Fieber – sollte ich nicht getestet werden? Nein, das sei nicht nötig. Es gibt auch keine Empfehlungen. Ratlos bleibe ich zurück.

Donnerstag, 19. März: Obwohl die Temperatur nur zwischen 36 und 37,5 Grad schwankt, fühle ich mich unendlich müde.

Freitag, 20. März: Ich verspüre eine leichte Besserung. Aber am Abend überkommt mich wieder diese Müdigkeit bei 37,5 Grad.

Samstag 21. März: Das Fieberthermometer zeigt in der Früh schon 38,3 Grad, die Muskelschmerzen sind mit einer Wucht zurück. Ich fühle mich bleiern, als hätte ich zehn Kilo mehr. Völlige Appetitlosigkeit.

Die Zweifel werden größer. Ich rufe noch einmal 1450 an und komme rasch durch. Man ist freundlich, aber bestimmt: Kein Test, ich solle 141 anrufen. Auch dort ist man freundlich, aber: Der Test könne nur von 1450 angeordnet werden. Ich entschließe mich, trotz meiner Ablehnung zum Griff nach den Tabletten. Mein Mann Max holt das Antibiotikum aus der Apotheke. Am Abend steigt die Temperatur auf 39,1 Grad.

Sonntag, 22. März: Schon in der Früh 38,9 Grad Fieber, keine Lust auf Essen. Der Tee schmeckt nach gar nichts. Am Abend beginnen die Schweißausbrüche.

Montag, 23. März: In der Früh messe ich 36,6 Grad Fieber, Schweißausbrüche und Husten. Ich habe Durchfall und muss erbrechen. Jetzt rufe ich meine Hausärztin an. Sie sagt, ich solle das Antibiotikum sofort absetzen, und: „Sie gehören getestet.“ Sie könne den Test nicht anordnen, rate mir aber, mich an ein Labor zu wenden und und den Test privat machen zu lassen. Die 110 Euro sind mir die Gewissheit wert.

Dienstag, 24. März: Ich bin fieberfrei, mein Harn ist wieder hellgelb. Dennoch entschließe ich mich, den Test zu machen. Max holt auf Anweisung des Labors in der Apotheke einen Harnbecher und Kochsalzlösung. Mit dieser muss ich zwei Minuten tief gurgeln – eine Ewigkeit. Die Kochsalzlösung spucke ich in den Harnbecher, desinfiziere ihn, Max bringt ihn zum Labor, wo er auf der Straße in Empfang genommen wird. Ein Ergebnis komme frühestens in zwei Tagen, falls der Test positiv sei.

Mittwoch, 25. März: Ich bin noch immer fieberfrei und allmählich kehrt der Appetit zurück. Zum ersten Mal seit Sonntag nehme ich ein paar Bissen zu mir. Der Geschmackssinn ist noch nicht zurück.

Donnerstag, 26. März: Um 8.30 Uhr ruft der Amtsarzt an: Der Test ist positiv. Ich bin tatsächlich eine Covid-Patientin. Ich werde angewiesen, drei Wochen das Haus nicht zu verlassen, das gelte auch für meinen Mann. Das war’s, Näheres gibt es nicht zu erfahren. Nur ein weiterer Testtermin wurde vereinbart: Schon am 6. April werde ich auf Antikörper überprüft.

Freitag, 27. März: Die Symptome sind weitestgehend weg, die Frage bleibt: Woher habe ich das Virus? Keine Ahnung. Meine Tochter hat keinerlei Symptome und auch Max scheint resistent zu sein.

Wiener Zeitung, 28. März 2020