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Die Venus von Willendorf ist nicht allein#

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Die Venus von Willendorf ist nicht allein#

Von Peter Diem

Venus von willendorf
Venus von Willendorf - © NHM, Wien 2015, Foto: Kurt Kracher

Als „Mona Lisa des Wiener Naturhistorischen Museums“ bezeichnet Generaldirektor Univ. Prof. Dr. Christian Köberl, die Venus von Willendorf, „so bedeutend für unser Haus und weltweit bekannt wie Leonardos Ölgemälde im Pariser Louvre“. Perfektion der Darstellung und harmonische Ausstrahlung machen die nach dem jüngsten Forschungsstand rund 29.500 Jahre alte Figur der Venus von Willendorf zu einem der ausdrucksstärksten Kunstwerke der Altsteinzeit. Die Frauenfigur wurde mit Feuerstein-Werkzeugen aus feinem Kalkstein geschnitzt und war ursprünglich mit Rötel bedeckt. Rot galt in der Altsteinzeit als Symbol für Leben, Tod und Wiedergeburt. Trotz der Kleinheit sind manche Details ungemein realistisch dargestellt. Die 11 cm hohe vollplastische Figur stellt eine beleibte, unbekleidete Frau dar. Auf den schweren Brüsten ruhen dünne Arme, die mit gezackten Armreifen geschmückt sind.

Den leicht geneigten Kopf ziert eine aufwändige Lockenfrisur oder eine Kappe aus Korbgeflecht. An den Handgelenken erkennt man gezackte Armreifen. Ihre rätselhafte Gesichtslosigkeit hebt die Venus von Willendorf über das Individuum hinaus und verleiht ihr gleichzeitig viele Gesichter. Sie ist nicht Abbild einer bestimmten Person, sondern Trägerin einer universellen Botschaft, die zu ihrer Zeit wohl in ganz Europa verstanden wurde, uns aber für immer verborgen bleiben wird.

Die Venus von Willendorf bezog im September 2015 ein neues, eigens für sie eingerichtetes Kabinett innerhalb der Prähistorischen Schauräume (Zugang durch Saal 11) des Naturhistorischen Museums.

Die Venus ist deutlich älter#

Mit rund 29.500 Jahren ist die am 7. August 1908 bei der Freilegung altsteinzeitlicher Siedlungsreste bei Willendorf gefundene Venus von Willendorf „das“ Prunkstück der Sammlungen des NHM Wien. Hinweise darauf, das in den 1950er Jahren ermittelte Alter der Figur aus der Wachau (ca. 25.000 Jahre) könne zu gering sein, haben die Forscherinnen und Forscher der Prähistorischen Abteilung seit geraumer Zeit. Durch die Ergebnisse eines internationalen Forschungsprojektes an der Universität Cambridge und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, das unter anderem die Erdschichten an der Fundstelle der Statuette einer modernen Form der Altersermittlung unterzog, ist das höhere Alter nun wissenschaftlich umfänglich gesichert.

Das Analyseverfahren zur neuen Altersbestimmung#

Im Zentrum der Forschungen stand ein Lössprofil in Willendorf, das im Jahr 1908 Anlass zu ersten Ausgrabungen durch das Naturhistorische Museum in Wien gab. Dieses Profil zeigt die Abfolge von Lössschichten mit Spuren von menschlicher Anwesenheit über einen Zeitraum von mehr als 20.000 Jahren. In der Wissenschaft gilt es nicht nur als Klimaarchiv der Altsteinzeit, sondern es gewährt auch einen Einblick in die Abfolge archäologischer Kulturen, die in Mitteleuropa ihresgleichen sucht. Die ältesten Schichten aus dem Lössprofil entstanden vor etwa 50.000 Jahren, die jüngsten vor etwa 29.000 Jahren.

Bei Ausgrabungen in Willendorf in den Jahren 2006 bis 2011, die vom NHM Wien unterstützt wurden, konnten die österreichischen Forscher Philip R. Nigst (Cambridge/Leipzig) und Bence Viola (Leipzig) Material gewinnen, das für eine moderne naturwissenschaftliche Altersbestimmung genutzt wurde. Das Analyseverfahren zur 14C-Datierung, das auch als Radiokarbondatierung bekannt ist, beruht darauf, dass jedes Lebewesen während seines Lebens eine spezielle Radiokarbon-Konzentration in seinen Zellen aufweist. 14C wird sowohl kontinuierlich aufgenommen als auch abgebaut. Da nach dem Tod der Austausch mit Kohlendioxid in der Luft endet und somit kein neues 14C mehr aufgenommen wird, wird Radiokarbon nach dem Tod des Lebewesens ausschließlich abgebaut. Dass die Halbwertzeit von 14C etwa 5.735 Jahre beträgt, ist bekannt, weshalb durch die Anzahl der verbleibenden 14C-Atome in den Zellen der Todeszeitpunkt eines Lebewesens bestimmt werden kann. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Forschung zunehmend mit dem Umstand, dass die Konzentration von 14C in den Zellen umweltbedingten Schwankungen unterliegt – Veränderungen der Stärke von Sonneneruptionen können zum Beispiel zu einem höheren oder niedrigeren 14C-Gehalt in der Luft führen und damit zu einer unterschiedlich großen Einlagerung von Radiokarbon in den Zellen. Daher kalibriert die moderne Wissenschaft jene über die 14C-Analyse gewonnenen Daten durch eine möglichst genaue Kenntnis der Umweltbedingungen und spezielle IT-Programme. Die Eiszeit stellt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei vor besondere Herausforderungen, da eine Kalibrierung mit Hilfe der Jahresringanalyse von Bäumen, die für andere Zeitstellungen oft genutzt wird, in diesem Zeitraum aufgrund der wenigen erhaltenen Baumreste nur schwer möglich ist. Durch ein Zusammenführen zahlreicher Daten und neuer bestimmbarer Proben gelang es, für das bedeutende Willendorfer Lössprofil vollständig kalibrierte 14C-Daten zu gewinnen. Damit konnte das Alter der Statuette auf ca. 29.500 Jahre bestimmt werden.

  • Nigst P.R. et al. Early modern human settlement of Europe north of the Alps occurred 43,500 years ago in a cold steppe-type environment. PNAS 2014, vol. 111 no. 40, 14394–14399, doi: 10.1073/pnas.1412201111
Dr. Anton Kern, Direktor der Prähistorischen Abteilung
Dr. Walpurga Antl-Weiser, Kuratorin der Sammlungen Altsteinzeit und Jungsteinzeit

Geographische Herkunft (Wiener Zeitung vom 1. März 2022)
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Die Venus von Willendorf besteht aus norditalienischem Gestein. Das berichtet ein Team um Gerhard Weber vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien. Die Steinzeitjäger und -sammler hatten demnach eine weite Fußreise mit ihr zurückgelegt, bevor sie in der Wachau verloren ging und 30.000 Jahre später, 1908, ausgegraben wurde. Die Studie wurde im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht. Die knapp elf Zentimeter große Frauenfigur war wohl ein Fruchtbarkeitssymbol und Glücksbringer für ihre damaligen Besitzer. Sie ist die Einzige ihrer Art, die aus einem porösen Gestein namens "Oolith" (Eier-Stein) hergestellt ist. Die Forschenden durchleuchteten die Venus mit einem hochauflösenden Mikro-Computertomographie-Gerät (microCT). "Wir entdeckten dabei, dass ihr Inneres sehr ungleichmäßig ist", erklärt Weber. Das gab den Forschern die Möglichkeit, ihre bisher rätselhafte Herkunft zu bestimmen. Zunächst konnten sie eine Herkunft aus dem Wiener Becken ausschließen, wo Oolithe ebenfalls vorkommen. Im Inneren der Venus entdeckten die sie nämlich ein eingelagertes Stück Muschelschale - ein 2,5 Millimeter kleines Fragment des "Muschelschlosses" (Umbo). Dieses war laut Paläontologen charakteristisch für Muscheln aus der Jurazeit, die bis vor 145 Millionen Jahre datiert ist, während die Wiener Oolithe aus dem Miozän stammen und somit höchstens 23 Millionen Jahre alt sind. Alexander Lukeneder und Mathias Harzhauser von der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des Naturhistorischen Museum Wien, wo die berühmte Figurine ausgestellt ist, besorgten Vergleichsproben von 33 Steinbrüchen einerseits in Österreich und Tschechien, wo man die Herkunft bisher vermutete, und andererseits aus 1.800 Kilometern Umkreis - von Frankreich im Westen bis zur Ukraine im Osten, von Deutschland im Norden bis Sizilien im Süden. Dann verglichen die Wissenschafter die inneren Gesteinsstrukturen der Venus und der anderen Proben miteinander.

"Dabei wurde die Größe der Körner vermessen, mehrere tausend davon mit Bildverarbeitungsprogrammen markiert und die Strukturen verglichen", so die Forscher in einer Aussendung: "Keine Probe im Umkreis von 200 Kilometern passte auch nur annähernd." Auch Proben aus dem 136 Kilometer von Willendorf entfernten Steinbruch Stránská skála bei Brünn in Tschechien, wo der Ursprung des Venus-Gesteins angenommen würden war, passte nicht. Laut Webers Untersuchungen kommt es definitiv nicht von dort.

Ursprung in der Nähe#

des Gardasees Stattdessen stamme das Gestein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus der Nähe des Ortes Ala unweit des Gardasees in Norditalien, erklärt Weber. Die Proben aus dieser Region seien statistisch nicht von jenen der Venus zu unterscheiden. Demnach wurde die Figurine, oder zumindest ihr Material, hunderte Kilometer von südlich der Alpen bis zur Donauregion nördlich der Alpen mitgenommen. Vermutlich hat diese Wanderung viele Jahre oder sogar Generationen gedauert, so Weber: Die damaligen Menschen waren Jäger und Sammler, die abhängig vom jeweiligen Klima und der Beutetiersituation von einem günstigen Standort zum nächsten zogen und dabei vorzugsweise den Flüssen folgten. Möglicherweise kam die Venus um die Alpen herum über die Pannonische Tiefebene in die Wachau, meint Weber. Es könnte aber auch über die Alpen entlang der Flussläufe der Etsch, des Inns und der Donau geschehen sein. Dieser Weg wäre zwar gut 730 Kilometer lang, würde aber größtenteils unterhalb von 1.000 Metern Seehöhe liegen. Sollte der Venus-Ursprung doch nicht in Italien liegen, gilt Isjum in der Ostukraine als nächste Alternative. Dieser Ort liegt aber 1.600 Kilometer Luftlinie von Willendorf entfernt und die dortigen Proben stimmen weniger gut mit dem Venusgestein überein als jene aus Italien. Oolith besteht aus kleinen, zusammenklebenden Steinchen durch Kalkanlagerungen an winzigen Körnchen, die sich über die Jahrmillionen Jahre aufgelöst haben und das Venusgestein leicht zu bearbeiten werden ließen.

Die Venus vom Galgenberg / Fanny von Stratzing #

Venus vom Galgenberg
Venus vom Galgenberg.
Foto: Urheber Don Hitchcock. Aus: Wikicommons unter CC

Ihren neuen Platz im Venuskabinett (neben dem Saal 11) der renovierten Prähistorischen Schauräume wird sich die Venus von Willendorf mit einer weiteren berühmten Dame teilen: der sogenannten „Fanny“, eine Schiefer-Statuette, die am Galgenberg bei Stratzing/Krems-Rehberg im Rahmen von Ausgrabungen des Bundesdenkmalamtes gefunden wurde. Die auch als Venus vom Galgenberg bekannte Figurine ist 36.000 Jahre alt, das älteste Kunstobjekt Österreichs und damit auch weltweit eine der ältesten Menschen-Skulpturen.

Die Statuette aus Amphibolitschiefer ist nur 7,2 Zentimeter groß, konnte aber über Holzkohlenreste in derselben Schicht mittels Radiokarbonmethode absolut datiert werden. Mit einem Alter von ca. 36.000 Jahren ist sie um 7.000 Jahre älter als die Venus von Willendorf. Ihre nach oben gerichtete, dynamische Bewegung unterscheidet die Reliefplastik von allen vergleichbaren Funden. Ein Arm emporgestreckt, den Oberkörper leicht gedreht, scheint die Figur wie in einer Pirouette erstarrt. Das Grabungsteam hat sie deshalb nach der berühmten österreichischen Tänzerin Fanny Elßler "Fanny" genannt. Am selben Ort wurden, aus Mammutstoßzahn gefertigt, eine möglicherweise unvollendete Frauenstatuette mit 22,5 cm Höhe und ein ovaloider Körper von 9 cm Höhe gefunden ("Venus II und III").

Literatur#

  • W. Angeli, Die Venus von Willendorf, 1989
  • Walpurga Antl-Weiser, 100 Jahre "Venus von Willendorf", DIE FRAU VON W. "Die Venus von Willendorf, ihre Zeit und die Geschichte(n) um ihre Auffindung“ Verlag des NHM, Wien 2008, 208 Seiten, geb., € 27,50

Weiterführendes#

Ähnliche Funde in Mähren und in der Slowakei#

  • Die Venus von Dolní Věstonice/Unterwisternitz Dolní Věstonice
  • Die Venus von Moravany Moravany nad Váhom
  • Venusfigurinen
  • Liste paläolithischer Venusfigurinen

Die Venus von Hohlefels#

Die 40.000 Jahre alte Figurine gefunden bei Blaubeuren
Das urgeschichtliche Museum in Blaubeuren
Die Aurignacien-Kultur

Karte Zentraleuropäischer Venusfunde
Venusfunde AT, CZ, SK

Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion der n.ö. Kulturzeitschrift "morgen" fügen wir folgenden Bericht von Wilhelm Sinkovicz aus der Nr. 3/16 an:

Bericht von Wilhelm Sinkovicz über die Venus von Willendorf
Bericht von Wilhelm Sinkovicz über die Venus von Willendorf
Bericht von Wilhelm Sinkovicz über die Venus von Willendorf
Bericht von Wilhelm Sinkovicz über die Venus von Willendorf