Anfänge einer gemeinsamen #
2.1 Errichtung einer gemeinsamen Institutsbibliothek im Jahr 1920#
Im Rahmen der weiteren Entfaltung der Lehr- und Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der Physik an der Wiener Universität wurde im Jahre 1920 ein viertes Physikinstitut, nämlich das III. Physikalische Institut unter der Leitung von Felix Ehrenhaft, geschaffen. Bei der damit verbundenen Neuorganisation der physikalischen Institute ging es nicht nur um eine Neuverteilung der Institutsräume. Es stellte sich auch die Frage, wie die drei zu dieser Zeit im physikalischen Institutsgebäude installierten und nur dem jeweiligen Institutspersonal zugänglichen Bibliotheken den nunmehr vier Physikinstituten (Institut für Theoretische Physik, L, II. und III. Physikalisches Institut; Bibliotheken waren am Institut für Theoretische Physik sowie am l. und II. Physikalischen Institut installiert) zugeordnet werden sollten. Ehrenhaft, der Vorstand des einzigen Instituts ohne eigene Bibliothek, ließ keinen Zweifel daran, dass „auch dem III. physikalischen Institut... eine Bibliothek ... einzuräumen" wäre. Indem Gustav Jäger, Vorstand des Instituts für Theoretische Physik, in gleicher Funktion an das II. Physikalische Institut wechseln sollte und des weiteren eine Auflösung des hiermit vorstandslosen Instituts für Theoretische Physik ins Auge gefasst wurde, sollte laut Darstellung Ehrenhafts „die grosse Bibliothek aus dem Institute für theoretische Physik, welche sich in 2 grossen Sälen auf eingemauerten Lipmannregalen befindet, in den 2. Stock übersiedelt werden. Da in diesem Falle", so Ehrenhaft an anderer Stelle, „aber die grosse Bibliothek des derzeitigen Instituts für theoretische Physik zum II. physikalischen Institute käme, müsste darum ersucht werden, daß auch das III. physikalische Institut eine der drei im Hause befindlichen Bibliotheken, also die des II. physikalischen Instituts bekäme". Als Alternative zu diesem Bibliothekentransfer wurde auch ein institutsunabhängiger Status der Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik in Erwägung gezogen: „Wenn die grosse Bibliothek des Instituts für theoretische Physik allgemein zugänglich gemacht und der Verwaltung eines eigenen, von den Instituten unabhängigen Bibliotheksbeamten unterordnet wird, wäre eine eigene Instititutsbibliothek entbehrlich."
Wie die Beilagen zum Erlass Z. 5770 ex 20 des Unterrichtsamtes zeigen, wandten sich gegen die geplante Auflassung des Instituts für Theoretische Physik nicht nur zahlreiche inländische Physiker - unter ihnen Hans Thirring und Erwin Schrödinger -, sondern auch eine Reihe angesehener ausländischer Wissenschaftler, allen voran Albert Einstein. Der schließlich in dem genannten Erlass fixierte Kompromiss beinhaltete die Reduktion des Instituts für Theoretische Physik auf eine theoretisch-physikalische Lehrkanzel, der speziell die Sorge um die nun allen physikalischen Instituten gemeinsame Bibliothek anheim gestellt wurde. Die entsprechenden Anordnungen des genannten Erlasses lauten:
- „Die im Anschlüsse an die theoretisch-physikalische Lehrkanzel untergebrachte Bibliothek, an welcher auch die Bestände des l. und II. physikalischen Instituts abzugeben sind, wird als für alle drei Institute gemeinsam erklärt und einer aus den Vorständen sämtlicher physikalischer Institute bestehenden Verwaltungskommission unterstellt. Die unmittelbare Verwaltung der Bibliothek wird der Assistent bei der theoretisch-physikalischen Lehrkanzel zu führen haben."
- „...die bisherige Jahresdotation der Lehrkanzel für theoretische Physik wird von 2.730 K auf den Betrag von 2.000 K, und zwar mit der vorzugsweisen Widmung für die Erhaltung und Ergänzung der gemeinsamen Institutsbibliothek, herabgemindert."
Eine Rekonstruktion der unmittelbaren Auswirkungen dieser Bestimmungen auf das Bibliothekswesen der physikalischen Institute ist schwierig, ein entsprechendes Durchführungsprotokoll liegt nicht vor. Sieht man davon ab, dass infolge der obigen Bestimmungen eine Öffnung der Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik für die Angehörigen der anderen Institute des Hauses als sicher anzusehen ist, so scheint die Annahme berechtigt, dass im Übrigen das Bibliothekswesen der physikalischen Institute, mit gewissen Einschränkungen, beim Stand vor der Neuordnung des Jahres 1920 verblieb: Es gibt keine Hinweise im Inventarverzeichnis der Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik, dass zum damaligen Zeitpunkt entsprechend der oben zitierten Bestimmung des Erlasses die Literaturbestände des l. und II. Physikalischen Instituts tatsächlich an die Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik abgegeben wurden. Am ehesten kann noch daran gedacht werden, dass nach 1920 Doppelanschaffungen von Literatur - und hier vor allem auf dem Zeitschriftensektor - vermieden wurden. Auf eine derartige Beschränkung des Zeitschriftenkaufes durch das II. Physikalische Institut und eine Übertragung diesbezüglicher Kompetenzen auf die gemeinsame Bibliothek scheint z. B. der 1920 erfolgte Abbruch des von diesem Institut geführten Buchbinder-Verzeichnisses hinzudeuten bzw. die 1922 erfolgte Anstellung eines eigenen Buchbinders am Institut für Theoretische Physik: Franz Regentik wird als Buchbinder am Institut für Theoretische Physik erstmals in der Übersicht über die akademischen Behörden des Studienjahres 1922/23 erwähnt. Im Rektoratsindex 1921/22 wird seine Aufnahme am Institut für Theoretische Physik in der Funktion eines provisorischen Aushilfsdieners vermerkt. Jener Teil der Verordnung, nach dem die Jahresdotation des Instituts für Theoretische Physik von 2.730 Kronen auf 2.000 Kronen herabgesetzt werden sollte, wurde, wie ein Blick in das Rechnungsbuch des Instituts für Theoretische Physik zeigt, von der allgemeinen Finanz- und Wirtschaftsentwicklung dieser Zeit überrollt. Dort nämlich findet sich schon im Jahresabschluss 1919/20 zusätzlich zu den angesprochenen 2.730 Kronen ordentliche Dotation eine außerordentliche Dotation in der Höhe von 10.000 Kronen, die erforderlich war, um die laufenden Auslagen des Instituts zu decken. Der Jahresabschluss 1920/21 verzeichnet hingegen eine ordentliche Dotation von 2.574 Kronen und eine außerordentliche von 30.000 Kronen. Zu jenem Teil der Verordnung schließlich, der eine vorzugsweise Widmung der Dotation für die Erhaltung und Ergänzung der gemeinsamen Institutsbibliothek vorsah, muss bemerkt werden, dass dies bereits vor In-Kraft-Treten des Erlasses Z. 5770 ex 20 weitgehend der Fall war. So betrug laut Rechnungsbuch der Anteil der Ausgaben für die Bibliothek (Buchbinder und Anschaffungskosten für Bücher und Zeitschriften) im Rechnungsjahr 1919/20 89,3% des Institutsbudgets; 1920/21 sank dieser Anteil auf einen Wert von „nur" 75,7 %, um im Jahr 1930 wiederum auf 87,6 % der Gesamtausgaben des Instituts für Theoretische Physik anzusteigen.
2.2 Weitere Entwicklung bis zum Jahr 1938#
Die oben geäußerte Vermutung, dass trotz der Bestimmungen des Erlasses Z. 5770 ex 20 auch in der Folgezeit jedes Physikinstitut über seine eigene Sammlung wissenschaftlicher Literatur verfügte, wird bestätigt durch die folgenden Angaben über das Bibliothekswesen der physikalischen Institute im „Wiener Bibliothekenführer" von 1926 bzw. 1929:
„Nr. 92. | Institut für theoretische Physik. Geöffnet an Wochentagen: Montag bis Freitag 9-17 Uhr, Samstag 9-12 Uhr; Benützungsbestimmungen wie für Nr. 81. Keine Entlehnung. Alphabetischer Zettelkatalog, Realkatalog. Gepflegte Gebiete: Physik und Nachbargebiete. |
Nr. 92a. | I. Physikalisches Institut: (Öffnungszeiten, Benützungsbestimmungen, Leihbedingungen und Kataloge): Wie bei Nr. 81. Gepflegte Gebiete: Physik. |
Nr. 92b. | II. Physikalisches Institut: (Öffnungszeiten, Benützungsbestimmungen, Leihbedingungen und Kataloge): Wie bei Nr. 81. Gepflegte Gebiete: Physik. |
Nr. 92c. | III. Physikalisches Institut: (Öffnungszeiten, Benützungsbestimmungen, Leihbedingungen und Kataloge): Wie bei Nr. 81. Gepflegte Gebiete: Physik. |
Nr. 81. | Sofern keine bestimmte Zeit angegeben ist, entscheidet die Vereinbarung. Benützungsbestimmungen: Für Instituts- oder Seminarmitglieder besondere, interne Bestimmungen. Sie genießen den Vorrang vor den Mitgliedern anderer Universitätsinstitute, welche empfohlen sein müssen. Personen, die nicht Mitglieder eines Universitätsinstituts sind, müssen in der Regel die Genehmigung des Institutsvorstandes einholen. Besondere Vorschriften sind angeführt. Leihbedingungen: Die Institutsbibliotheken sind Präsenzbibliotheken. Einzelne Ausnahmen sind angeführt. Die Kataloge der Universitätsinstitute sind den Benutzern nicht zugänglich." |
Es sei hier besonders darauf aufmerksam gemacht, dass nach den obigen Angaben auch das erst 1920 gegründete III. Physikalische Institut (Nr. 92c) eine eigene Literatursammlung aufbaute. Dies kann auch anhand der Eigentumsvermerke diverser Druckwerke nachgewiesen werden, die sich heute im Besitz der Zentralbibliothek für Physik befinden. Die Sonderstellung der Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik wird auch von Richard Meister in seiner Beschreibung der Philosophischen Fakultät der Wiener Universität bestätigt. Detailliertere Angaben über die Bibliothek finden sich im Minerva-Handbuch über die Bibliotheken Österreichs, wo es heißt: „Bibliothek des Institutes für theoretische Physik an der Universität Wien ...
Allgemeines: | Fachbibl. - Buchbinder als Laborant. - Bestand (1.10.29): rd. 1600 Bücher und Zeitschriften (etwa 5500 Buchbindereinheiten). Lauf. Zeitschriften: 2 inländ., 10 reichsdeutsche, 11 aus-länd. Jährl. Zuwachs: rd 50 Bücher, 30 Zeit-schriftenbde. - Mechan. Aufstellung. - Präsenz-bibl. - Geöffnet: 9-13, 15-18 U. - 2 Lesesäle. -Alphabet. Zettelkat., systemat. Katalog. |
Geschichte: | Gegr. Mitte des 19. Jahrh. |
Bestände: | Physik und mathemat. Physik." |
Verständlicherweise verursachte die Benützung der Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik durch institutsfremde Personen nicht nur organisatorische Probleme. So gab im Juni 1926 der damalige Institutsvorstand Hans Thirring"... die Sperrung seiner Institutsbibliothek bekannt wegen Unzukömmlichkeiten, die dortselbst einzureissen drohen". Konkrete Angaben über die Art der „Unzukömmlichkeiten" finden sich in dem mit 15. Jänner 1930 datierten Schreiben der Vorstände der physikalischen Institute an das Bundesministerium für Unterricht. Die darin beantragte „Errichtung einer Bibliothekarstelle an der im Institut für theoretische Physik untergebrachten Zentralbibliothek der physikalischen Institute" wird folgendermaßen begründet: „Die von rund 200 Personen frequentierte Bibliothek wird bisher von dem Assistenten des Instituts für theoretische Physik verwaltet. Diese Verwaltung besteht aus der Katalogisierung der Bücher und Zeitschriften und aus der Evidenzhaltung der Entlehnungen, die nur an Institutsangehörige statthaft sind. Infolge anderweitiger Dienstobliegenheiten ist der Assistent jedoch nicht in der Lage, einen Präsenzdienst in der Bibliothek zu versehen, vielmehr bleibt es den Benutzern der Bibliothek selbst vorbehalten, sich die von ihnen benötigten Bände von den Regalen der beiden Bibliothekszimmer zu holen und sie dorthin wieder zurückzustellen.
Diese Praxis der Bibliotheksbenützung setzt eine grössere Selbstdisziplin unter den Besuchern der Bibliothek voraus als sie tatsächlich vorhanden ist. Wiederholte Revisionen haben daher immer wachsende Abgänge aus der Bibliothek gezeigt, die schließlich einen solchen Umfang angenommen haben, daß gegenwärtig von den neuesten 900 Büchern der Bibliothek ungefähr 10 % abgängig sind. Es dürfte sich da zum Teil um widerrechtlich entlehnte Bücher handeln, die erfahrungsgemäß nach einiger Zeit von den Tätern stillschweigend von selbst zurückgestellt werden, zum Teil handelt es sich hier aber zweifellos um Diebstähle. Die Bibliotheksverwaltung sieht das einzige Mittel zur Remendur dieser unhaltbaren Zustände in der Anstellung eines Bibliothekars, der während der Bibliothekstunden Präsenzdienst zu versehen hat." Alarmiert durch den „ungeheuren Prozentsatz" der Abgänge genehmigte das Ministerium im ErlassZ. 2108 ex 30 vom 10. Mai 1930 die Bestellung eines Bibliothekars, verlangte aber gleichzeitig die Abfassung von Statuten für die Benützung der Bibliothek mit entsprechenden Bestimmungen über die Haft- und Ersatzpflicht der Benutzer. Der in der Folge ausgearbeitete und am 19. Juli 1930 dem Ministerium übersandte Statuten-Entwurf ist nicht erhalten; er wurde nämlich mit Schreiben des Ministeriums v. 10. September 1930, Z. 26655 ex 30 an das Dekanat der philosophischen Fakultät „... mit dem Ersuchen zurückgestellt, die Vorstände der physikalischen Institute einzuladen, das Statut durch Bestimmungen über die Aufgaben, die dem Bibliothekar (bzw. allenfalls dem Assistenten) in Ansehung der Verwahrung und der Evidenz der Bücher obliegen, sowie darüber zu ergänzen, daß der Bibliothekar (bzw. allenfalls der Assistent) für Schädigungen und Verluste haftet, die sich aus der Vernachlässigung der bezüglichen Pflichten ergeben." Das in diesem Sinne modifizierte neue Statut der Bibliothek wurde schließlich am 30. März 1931 dem Bundesministerium für Unterricht zur Genehmigung vorgelegt und von dieser Stelle nun auch akzeptiert.
Im Bibliotheksstatut des Jahres 1931 wurde die Bibliotheksbenützung ohne weitere Formalität allen Mitgliedern der wissenschaftlichen Institute des Hauses gestattet, andere Personen hingegen bedurften einer vom Vorstand des Instituts für Theoretische Physik unterschriebenen Einlasskarte. Da die Bibliothek auch weiterhin grundsätzlich Präsenzbibliothek blieb, war eine Entlehnung gleichfalls nur an den genannten Personenkreis des Hauses möglich und musste in einer entsprechenden Entlehnliste vermerkt werden. Das damals angelegte Entlehnheft existiert heute noch und weist für die Zeit vom 3. Jänner 1930 bis 4. September 1934 chronologisch geordnete Eintragungen nach folgendem Schema auf: Datum/Signatur/Autor und Titel/Entlehner (Unterschrift). Auf den ca. 80 Seiten dieses Entlehnheftes finden sich als Entlehner bekannte Namen wie Mattauch, Ehrenhaft, Karlik, Halpern, Wirtinger, Seidl, Guth, Kottier, Blau, Sexl. Bis dato erhalten geblieben ist auch das mit alphabetischem Randregister versehene „Verzeichnis der entlehnten Bücher aus der Bibliothek des Instituts für theoretische Physik" für die Zeit vom 11. Oktober 1932 bis zum 15. Februar 1935. Darin erfolgten die Eintragungen alphabetisch geordnet nach Autor bzw. Titel des entlehnten Werkes. Bei Rückstellung wurde die entsprechende Eintragung gestrichen.
Der Publikums- bzw. Leihverkehr blieb auch nach 1930 bzw. 1931 ein Sorgenkind der Bibliotheksverwaltung; eine 1934 durchgeführte Bibliotheksrevision musste zusätzlich zu den bereits vermissten Büchern das Fehlen von weiteren 43 Werken aus dem Bibliotheksbestand konstatieren. Es wurde versucht, durch entsprechende Anordnungen die auftretenden Übelstände zu unterbinden. Schließlich wurden durch spezielle Bestimmungen die Entlehnbedingungen präzisiert: die Entlehndauer wurde auf 14 Tage befristet, eine Strafgebühr von 20 Groschen bei Fristüberschreitung eingeführt und die Zahl der an einen Entlehner auszufolgenden Leihobjekte auf maximal fünf beschränkt. Diese mit 27. Februar 1935 datierten „Neubestimmungen zur Bibliotheksordnung der Zentralbibliothek der physikalischen Institute der Wiener Universität" wurden mit Schreiben vom 12. März 1935 dem Bundesministerium für Unterricht zur Kenntnis gebracht. Sie bilden zusammen mit dem Statut der Bibliothek von März 1931 das Fundament der mit 2. März 1935 datierten und künftig geltenden Bibliotheksordnung.
2.3. NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg (1938-1945)#
„Viele, die noch von der liberalistischen Weltanschauung angekränkelt sind, werden vielleicht der Ansicht sein, daß im wissenschaftlichen Leben, vor allem im Gebiet der theoretischen Forschung, die weltpolitischen und rassischen Unterschiede keine entscheidende Rolle mehr spiel[...] Das wäre ein großer Irrtum. Ein solches Vakuum der Wissenschaft gibt es nämlich nicht." Diese Worte des Münchner theoretischen Physikers Wilhelm Müller charakterisieren in der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges das Geschehen in und um die Zentralbibliothek als wichtigen Brennpunkt des wissenschaftlichen Lebens der Wiener physikalischen Institute. Die Manifestationen des Zeitgeistes sind sowohl im persönlich/personalen wie auch im sachlichen Bereich festzustellen.
2.3.1 Bibliothekspersonal#
Am 7. Dezember 1937 richtete Hanfried Ludloff, Privatdozent am Institut für Theoretische Physik, ein Schreiben an das Bundeskanzleramt, Abteilung Wanderungsamt, in dem es heißt: „Der Unterzeichnete bittet ergebenst um die Genehmigung, am Institut für theoretische Physik der Universität die Bibliothekarsstelle bekleiden zu dürfen, die ihm vom Institutsvorstand, Herrn Professor H. Thirring, angeboten worden ist; die Bibliothekarstätigkeit ist mit einer monatlichen Vergütung von 40 Schillingen verbunden ..." Dieses Ansuchen wurde von Hans Thirring, als Vorstand des Instituts für Theoretische Physik laut Statut der Bibliothek vom 16. März 1931 mit der „Einzelverwaltung" der Bibliothek betraut, wärmstens befürwortet. In Beantwortung des Schreibens von Ludloff verlangte die Verwaltungsstelle der Wiener Hochschulen am 8. März 1938 die Einholung der erforderlichen Beschäftigungsbewilligung des Wanderungsamtes. Die Ereignisse des 12. März 1938 und ihre Folgen brachten den diesbezüglichen Akt im Universitätsarchiv zu einem vorzeitigen Abschluss. Der Bibliothekarsposten an der Zentralbibliothek der Physikalischen Universitätsinstitute blieb unbesetzt. Hans Thirring seinerseits war unter den ersten Wiener Professoren, die nach den Märzereignissen in den Ruhestand versetzt wurden. Laut Protokoll der am 26. April 1938 in Thirrings Anwesenheit erfolgten Übergabe des Instituts für Theoretische Physik wurde auch „die Bibliothek in Stichproben überprüft und in Ordnung befunden". Trotz seiner Zwangspensionierung behielt Thirring aber weiterhin ein Zimmer im Institut und nahm auch an der Bibliothek regen Anteil. So konnte über ihn zumindest noch für eine gewisse Zeit der Bezug diverser (vor allem amerikanischer) Zeitschriften weitergeführt werden, die er als Mitglied der entsprechenden wissenschaftlichen Organisationen gratis oder doch zu reduzierten Preisen erhielt und dann der Bibliothek entsprechend günstig überließ. Dieses Verfahren des günstigen Bezuges von Vereinszeitschriften durch Vereinsmitglieder mit nachfolgender Übergabe der Druckwerke an die Bibliothek wurde bereits jahrelang praktiziert. Neben Thirring erwiesen z. B. auch Josef Mattauch und Leopold Halpern der Bibliothek derartige Vermittlerdienste, die zu beträchtlichen Ersparnissen bei der Literaturbeschaffung führten. Nach der missglückten Anstellung von Ludloff als Bibliothekar an der Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik blieb der Posten vorderhand unbesetzt. Erst 1940 wurde cand. phil. Johann Rohacek zum Bibliothekar bestellt und scheint im Personalstand der Universität Wien in dieser Position auch bis einschließlich 1941 auf. Ab dem Sommersemester 1941 wird in den einschlägigen Unterlagen kein Bibliothekar genannt, Rohacek (Ex Libris auf Seite 114) verblieb aber als wissenschaftliche Hilfskraft weiterhin am Institut für Theoretische Physik.
Laut eigenen Angaben übernahm Robert Chorherr, der spätere Gründer und langjährige Leiter der Zentralbibliothek der Physikalischen Institute, „im September 1942 ... die Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik mit einem Bestand von ca. 4500 Bänden". Sein Name findet sich allerdings erst mit Beginn des Jahres 1944 auf diversen Schriftstücken der Bibliothek, so etwa auf dem am 6. Jänner 1944 begonnenen „Anmeldeheft für Bücher- u. Zeitschriftenentlehnung". In der Zeit ohne eigenen Bibliothekar waren es jedenfalls wiederum die Assistenten des Instituts für Theoretische Physik, die die Bibliotheksagenden führten. Namen wie Theodor Sexl oder Paul Urban finden sich auf diversen Dokumenten der Bibliothek aus dieser Zeit.
2.3.2 Bestandsaufbau und -Unterbringung#
Die Intensivierung des Kriegsgeschehens hatte eine teilweise Verlagerung der Bibliotheksbestände aus den Räumen im vierten Stock in den Keller des Institutsgebäudes zur Folge. So wurden am 28. August 1943 der Bibliothekarin des Mathematischen Instituts, Rosa Wimmer, 275 Bände mit den Inventarnummern 1 bis 46 zur Aufbewahrung übergeben. Im September 1943 folgten weitere 251 Bände mit den Signaturen 47 bis 175 und schließlich in einer letzten, undatierten Verlagerung nochmals 130 Bände mit den Inventarnummern 176 bis 270. Die Unterbringung dieses zum Teil historisch bedeutsamen Buchguts in den feuchten Kellerräumen entsprach keineswegs dem Wert der eingelagerten Objekte. Deshalb sahen sich das Institut für Theoretische Physik und das Mathematische Institut gezwungen, den Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in einem Schreiben „... um Bewilligung der Anschaffung von 2 2kW Elektroofen für die Heizung des Institutskellers (Bergungskeller der Bibliotheken der beiden Institute) zu bitten, da infolge Feuchtigkeit unersetzliche Werte in Gefahr waren". Die Verlegung eines Teils des Bibliotheksbestandes in den Keller bedeutete natürlich einen erschwerten Zugriff auf die dislozierte Literatur; die Entlehnung erfolgte, wie aus mehreren noch erhaltenen „Hinweisen für die Bibliotheksbenutzer" hervorgeht, zum Teil im vierten Stock, zum Teil im Keller.
Selbstverständlich war aber in dieser Periode nicht nur die Erhaltung des Bestandes und seine Benutzung, sondern auch der Bestandsaufbau selbst stark behindert. So konnte im überwiegenden Maße nur die deutschsprachige Fachliteratur bezogen werden, und selbst dabei kam es durch Bombardements etc. in zunehmendem Maß zu kriegsbedingten Lieferschwierigkeiten. Mit Herannahen der Front wurde der Bibliotheksbetrieb gänzlich eingestellt. So findet sich als letzte Eintragung des Bibliothekars Robert Chorherr im Anmeldeheft für Entlehnungen der Vermerk: „12.111.45 Derzeit keine Entlehnungen mehr".
Paul Urban schreibt als damaliger Institutsangehöriger über diese Zeit unmittelbar vor Ende des Krieges: „Im Jänner des Jahres 1945, als sich schon das Ende des Zweiten Weltkrieges abzeichnete, wurde unser Institut für Theoretische Physik der Wiener Universität verlagert, um den Bombenangriffen zu entgehen. Dr. Erwin Fues, unser Chef, ließ alle Bücher und alle Unterlagen in Kisten verpacken, und wir begaben uns auf den Franz-Josefs-Bahnhof in der Niederporzellangasse und wurden dort in einen Zug der Donau-Ufer-Bahn verladen. Derselbe fuhr uns entlang der Donau über Linz bis nach Zell am See, wo wir ausgeladen wurden, weil wir einige Häuser vis-a-vis am anderen Ufer zur Verfügung bekommen hatten. Wir machten uns dort alles gemütlich, luden alle Bücher und Unterlagen aus, und versuchten, dort weiter unseren Betrieb aufrecht zu erhalten." Unter Berücksichtigung des Datums der weiter oben zitierten letzten Eintragung des Bibliothekars Robert Chorherr ins Anmeldeheft (12. März 1945) erscheint der hier von Paul Urban für die Institutsverlagerung angegebene Jännertermin als zu früh angesetzt. Nach Aufzeichnungen von Hans Thirring dürfte sie erst im April 1945 stattgefunden haben.
Der Bestand der Bibliothek des II. Physikalischen Instituts war, wie bereits erwähnt, allerdings bereits am 6. Februar 1945 nach Heiligenstadt transportiert und hierauf nach Thumersbach bei Zell am See verlagert worden; dorthin wurde auch das Institut für Theoretische Physik verlegt. Einen Augenzeugenbericht zu diesen Ereignissen liefert der in Innsbruck emeritierte Physikprofessor Ferdinand Cap, der damals als Hilfskraft am Institut für Theoretische Physik der Universität Wien arbeitete: "Als Georg Stetter, der Vorstand des Instituts für Experimentalphysik, im Spätherbst 1944 verkündete, daß die an seinem Institut vorhandene Wasser-Uran-Anlage zur Messung von Wirkungsquerschnitten von Neutronen samt den schriftlichen Unterlagen zunächst nach Thumersbach am Zeller See und dann nach Deutschland zu verlagern sei, vermutlich nach Haigerloch, wo Heisenberg experimentelle und theoretische Untersuchungen an derartigen Anordnungen zwecks Realisierung eines Uranantriebs für U-Boote anstellte, bekam ich Sorge betreffend die Zentralbibliothek. Professor Stetter, der immer eine geladene Pistole in seiner Schreibtischlade hatte, war ein fanatischer Nazi, aber ein guter Wissenschaftler und Didaktiker, der sich seine Uran-Wasser-Anordnungen zur Energiegewinnung schon bald nach der Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn patentieren hatte lassen. Dies wurde auch von den Amerikanern anerkannt, und ich glaube, er bekam später, als er nach Kriegsende pensioniert wurde, sogar eine finanzielle Abfindung für sein Patent. Die Anordnung Stetters, alles für eine Verlagerung nach Thumersbach vorzubereiten, war daher ernst zu nehmen. Vorstand des Instituts für theoretische Physik war zu diesem Zeitpunkt Erwin Fues, der gegenüber den Nazis eine weiche Linie des Nachgebens verfolgte und ihre Befehle in der Regel befolgte. Doch sein Vorgänger Hans Thirring, der bis zu seiner Entlassung zu Beginn der Naziherrschaft Vorstand gewesen war, hatte noch ein ,Ausgedingezimmer' im Institut. Da ich mich für Thirrings Arbeiten über die Allgemeine Relativitätstheorie interessierte, hatte ich Kontakt zu dem allgemein als ,bösem Dissidenten' angesehenen Wissenschaftler. Nachdem von Fues keine Hilfe zu erwarten war, wandte ich mich also an Thirring. Dieser erkannte gleich die Gefahr, die den alten Schriften Boltzmanns und anderen wertvollen Werken drohte. Er sprach mit Robert Chorherr, dem damaligen Bibliothekar, auf den er großen Einfluss hatte. Chorherr begann sofort mit dem Aufstellen von Regalen im Keller des Hauses Strudlhofgasse 4, was er gegenüber Stetter und dem Nazi-Professor Huber, der Luftschutzbeauftragter für das Gebäude war, sehr gut als Vorsorgemaßnahmen zu Zwecken des Luftschutzes vertreten konnte. Bei der folgenden Verlagerung der Literaturbestände in den Keller half ich meinem Freund Chorherr, soweit ich konnte, meist in den Abendstunden. Als dann im Februar 1945 endlich der Befehl kam, die Uran-Einrichtungen und die Bibliothek nach Thumersbach zu verlagern, wurde Chorherr ,krank' und der Schlüssel zur Kellerbibliothek war plötzlich unauffindbar. Gegen Ende März - es waren da bereits die Russen im Anmarsch auf Wien - verschwand Thirring stillschweigend in seine Ferienwohnung in Kitzbühel und ich nach Kärnten, von wo aus ich ihn im Sommer besuchte. Als ich im Oktober nach Wien zurückkehrte und nach meiner Promotion im Dezember Verwalter einer Assistentenstelle wurde, hatten der Physikochemiker Sirk und ich das gesamte Institut zu zweit zu .verwalten'. Bevor Thirring zurückkam und seine alte Lehrkanzel wieder übernahm, wurde zusammen mit Chorherr die Bibliothek wieder in den 4. Stock geschafft. Thirring hat sich dann in der Folge unter Hinweis auf die Gefahr, in die ich mich in dieser Affäre begeben hätte, mehrfach für meine wissenschaftliche Karriere eingesetzt."
Angaben über die Rückführung des Instituts und der verlagerten Bücher konnten in den einschlägigen Quellen nicht gefunden werden; das Gebäude der Physikalischen Institute hatte keine ernsten Kriegsschäden erlitten.
2.3.3 Nationalsozialismus und Bibliothek#
Zwei besondere Manifestationen des Zeitgeistes (Wort geworden in den diesem Abschnitt vorangestellten Sätzen aus der Feder von Wilhelm Müller, die direkt die Bibliothek betreffen), finden sich in den Erinnerungen des Zeitzeugen Paul Urban. Zum einen handelt es sich um rassistisch motivierte Repressio-nen gegen Bibliotheksbenutzer, wie etwa gegenüber Bruno Touschek, einem Dissertanten von Paul Urban. Urban erinnert sich: „Jedesmal, wenn Bruno bei mir in der Bibliothek zu Besuch war und Zeitschriften studieren wollte, wurde ich vom Institut Steuer angerufen und beschimpft: ,Herr Urban, es ist skandalös, daß sich immer wieder bei Ihnen Juden und ähnliches Gesindel herumtreibt. Wir werden die Konsequenzen daraus ziehen.' Ich mußte daher dem armen Bruno die Zeitschriften und Bücher unter meinem Namen ausleihen." Zum anderen berichtet Paul Urban über ideologisch-kulturpolitisch bedingte Eingriffe in den Bibliotheksbestand: „Eine sehr charakteristische Vorgangsweise der Nazikollegen unseres Physikalischen Instituts in der Boltzmanngasse 5 war auch die Verbrennung aller Bücher und Zeitschriften mit jüdischen und antinazistischen Autoren unserer Bibliothek. Alle diese Literatur wurde gesammelt und von dem damaligen Leiter der Bibliothek, Robert Chorherr, abgeliefert und im Hof zur Verbrennung aufgestapelt. Sexl und ich schlichen uns am Vorabend herunter und holten uns wichtig erscheinende Arbeiten und Bücher aus dem Haufen heraus, um dieselben nach dem Zusammenbruch zur Ergänzung der Bibliothek verwenden zu können. Es wurden viele Arbeiten von Einstein, Heisenberg, Sommerfeld etc. mit Rasierklingen fein säuberlich aus den Zeitschriften herausgeschnitten und auch Bücher von Debye, Planck, Sommerfeld etc. für das Autodafe gesammelt. Da viele Arbeiten Ehrenhaft gewidmet waren, kam uns nun erst so recht seine Bedeutung zu Bewußtsein." An einer anderen Stelle heißt es: „Prof. Stetter hat in den folgenden Jahren eine eher unrühmliche Rolle am Physikalischen Institut der Universität gespielt. Zusammen mit anderen ... widmete er sich der Bekämpfung der Jüdischen Relativitätstheorie'. Eine Folge davon war auch die Verbrennung der Bücher und Zeitschriften mit jüdischen und antinazistischen Autoren der Bibliothek des Instituts. Sexl und ich konnten noch am Abend vor der Verbrennung uns wichtig erscheinende Arbeiten und Bücher in Sicherheit bringen. Zwar war das nicht ungefährlich, aber später waren wir froh, diese Literatur vor dem Verbrennen bewahrt zu haben."
Das von Urban berichtete Herausschneiden von Zeitschriftenartikeln diverser einschlägiger Autoren ist leicht nachweisbar, sowohl auf Grund der dadurch in den einzelnen Heften entstandenen Lücken als auch durch eine Sammlung derartiger „Ausschnitte", die diese Lücken füllen und nach dem Krieg anonym an die Zentralbibliothek retourniert wurden (siehe Anhang C). Autoren und Themen sind nach Urban im Zusammenhang zu sehen mit dem damals propagierten Kampf gegen die „dogmatische jüdische Physik" im Allgemeinen und der „Bekämpfung der jüdischen Relativitätstheorie" im Besonderen. Johannes Stark nennt von den „zahlreichen Männern, die im jüdischen Geist gewirkt" haben, namentlich Heisen-berg, Planck und Sommerfeld; auch Erwin Schrödinger zählte mit seiner statistischen Deutung der Wellengleichung zu den Dogmatikern, wobei „die dogmatische Einstellung ... dem jüdischen Geist artgemäß" erachtet wurde. Es stellt sich allerdings die Frage, ob das Herausschneiden der Zeitschriftenbeiträge wirklich durch nazifreundliche Elemente zwecks weiterer Vernichtung erfolgte, wie der Bericht von Urban vordergründig suggeriert. Allein die Tatsache, dass diese herausgetrennten Seiten nicht den Flammen zum Opfer fielen, scheint für eine eher positive Interpretation zu sprechen. Es könnte sich dabei durchaus um die Tat eines Nazigegners gehandelt haben, der auf diese Weise die Arbeiten vor dem Zugriff und der Vernichtung durch die Nazis retten wollte. Gelegentlich wird auch die Meinung vertreten, dass diese Zeitschriftenbeiträge von einem exilierten Wissenschaftler zu Studienzwecken entnommen wurden.
Als schwierig erwies sich die Suche weiterer Spuren der von Urban berichteten Bücherverbrennung, sei es in den Erinnerungen anderer Zeitzeugen, sei es durch eine Überprüfung des Bestandes der Zentralbibliothek. Solch eine Überprüfung wurde durchgeführt mit Schwerpunkt auf den Bestand von Monografien, die Einstein, Mie oder Weyl als Verfasser aufweisen - Autoren, aus deren Feder rund zwei Drittel der herausgeschnittenen Zeitschriftenbeiträge stammen; sie ergab aber keine signifikanten Bestandslücken. So steht eine der bis dato fehlenden Einstein-Monografien bereits auf der Verlustliste des Jahres 1929. Auch der Soll-Bestand an Monografien von Debye, Planck oder Sommerfeld - Namen, die in diesem Zusammenhang von Urban genannt wurden - ist praktisch vollständig an der Bibliothek vorhanden; jedenfalls scheint die Summe der Verlustexemplare nicht ausreichend, den von Urban beschriebenen „Haufen" zu bilden. Diese Überprüfung basierte allerdings nur auf dem Vergleich der Angaben von Inventarverzeichnis und Nominalkatalog der Zentralbibliothek mit dem vorliegenden Bestand. Eine politisch bedingte Sach-Verbrennung auf dem Boden der Wiener physikalischen Institute bezeugte Walter Thirring in seinem Vortrag „Vertrieben und fast vergessen". Nach seinen Angaben wurden nach 1938 diverse Gegenstände aus dem Besitz von Felix Ehrenhaft im Hof des physikalischen Institutsgebäudes verbrannt. Die Gleichsetzung der von Urban berichteten Bücherverbrennung mit dem von Thirring bezeugten Vorfall scheint gerechtfertigt unter der nahe liegenden Annahme, dass sich unter den Gegenständen aus dem Besitz Ehrenhafts auch Bücher befunden haben. Für eine derartige Interpretation spricht Urbans Hinweis, dass viele der zur Verbrennung vorgesehenen Schriften auf Ehrenhaft bezogene Widmungen aufwiesen.
In dem 1987 der Zentralbibliothek übergebenen wissenschaftlichen Nachlass von Theodor Sexl finden sich vier Druckwerke, die einen Besitzvermerk von Ehrenhaft bzw. eine Widmung an ihn aufweisen. Es lässt sich nicht entscheiden, ob diese Werke aus dem zur Verbrennung bestimmten Haufen und/oder aus Ehrenhafts Privatbibliothek stammen, die er vor seiner Abreise nach Amerika Paul Urban und Theodor Sexl überlassen hatte. Zudem ist es als Tatsache anzusehen, dass der Bestand der Zentralbibliothek keine Lücken aufweist und somit in diese Aktion nicht involviert gewesen sein kann. Da eine derartige Verbrennung vermutlich schon bald nach Ehrenhafts Ausscheiden aus dem Universitätsdienst 1938 stattgefunden haben müsste, würde dies auch die Stellungnahme von Robert Chorherr erklären, der sich - laut eigenen Angaben ab September 1942 an der Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik beschäftigt - an keinen derartigen Vorfall erinnern kann. Nicht ausgeschlossen werden kann allerdings, dass im Rahmen dieser Aktion Druckwerke aus den Beständen der übrigen Institutsbibliotheken, vor allem jener des II. Physikalischen Instituts, vernichtet wurden. Die Leitung dieses Instituts war nach der nationalsozialistischen Machtübernahme Georg Steuer übertragen worden, und nach der Institutsübergabe hatte eine „Umordnung des Bücherinventars und Apparatebestandes" stattgefunden, über deren nähere Umstände in den einschlägigen Quellen keine Angaben gefunden werden konnten.
Urban bringt jedenfalls die Bücherverbrennung in kausalen Zusammenhang mit der von Stetter betriebenen, bereits oben erwähnten Bekämpfung der jüdischen Relativitätstheorie; es liegt nahe, die von Urban verwendete Formulierung „Verbrennung der Bücher und Zeitschriften mit jüdischen und antinazistischen Autoren der Bibliothek des Instituts" dahingehend zu interpretieren, dass die damals unter Stetters Aufsicht stehende Bibliothek des II. Physikalischen Instituts als primäre „Literaturquelle" für die ideologisch motivierte Bücherverbrennung fungierte und nicht die Zentralbibliothek der Physikalischen Institute am Institut für Theoretische Physik.
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