Zentralbibliothek der Physikalischen Institute der Universität Wien#
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in den dafür vorgesehenen Räumen des Instituts für Theoretische Physik mit der Neuaufstellung des während des Krieges verlagerten Bibliotheksbestandes begonnen. Auch die Bestände der übrigen Bibliotheken der physikalischen Institute wurden, soweit verlagert, wieder rückgeführt. Diese Situation wurde zum Anlass genommen, die Vorschriften des Ministerial-erlasses Z. 5770 ex 20 des Jahres 1920 zu erfüllen und die Bibliotheken der physikalischen Institute zu einer einzigen großen Bibliothek zu vereinen. Dies geschah unter Leitung von Robert Chorherr, der 1945/46 als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Theoretische Physik angestellt worden war und am 1. Jänner 1946 die „Zentralbibliothek der Physikalischen Institute der Universität Wien" gründete. In seinem Bericht über das Jahr 1946 schreibt Chorherr:
„In das Jahr 1946 fällt die durch die Zusammenlegung der Bibliotheken des l. Physikalischen Instituts, des II. Physikalischen Instituts mit der großen Stammbibliothek des Instituts für Theoretische Physik erfolgte Gründung der,Zentralbibliothek der Physikalischen Institute der Universität Wien'. Der Sinn der Zusammenlegung war, eine einheitliche Leitung der Bibliotheken zu gewährleisten, Personal zu ersparen und die beschränkten Dotationsmittel der einzelnen Institute am zweckmäßigsten zu verwerten, indem Doppelanschaffungen der einzelnen Institute vermieden werden und die dadurch erübrigten Mittel zur Fortführung der großen Zeitschriftensammlung bereitgestellt werden. Außerdem wurde durch die Übernahme der beiden Bibliotheken des l. und II. Physikalischen Instituts in die besonders gepflegte und vom langjährigen Bibliothekar Herrn Robert Chorherr ausgebaute Bibliothek des Instituts für Theoretische Physik ein geordneter Betrieb der Entlehnungen und eine Aufschliessung des literarischen Inhaltsschatzes der Bücher und Zeitschriftenbände gewährleistet. (Einheitliche Inventarisierung, Ergänzung von Lücken bei Sammlungen, karteimässige und sachgebietliche Erfassung, sodaß eine einheitliche wissenschaftliche Literaturauskunftsstelle geschaffen wurde.) Mit den Institutsvorständen des I. u. II. Instituts wurde folgende vorläufige Vereinbarung getroffen: Die Bücher- und Zeitschriftenanschaffungen erfolgen zentral durch den Bibliothekar der Zentralbibliothek, benötigte Doppelexemplare besonders häufig gebrauchter Bände der Institute werden in der Zentralbibliothek inventarisiert und auf Dauer an die betreffenden Institute entlehnt. Finanzielle Gebarung: Das I. und das II. Institut haben im Jahre 1946 in dankenswerterweise je 500 ö.S. der Zentralbibliothek zur Verfügung gestellt. Das Institut für Theoretische Physik hat nahezu seine gesamten Einnahmen mittelbar oder unmittelbar, nämlich 3.554,90 ö.S. für die Zentralbibliothek verausgabt."
Bis auf geringe Restbestände wurden nun mit Unterstützung durch die Institute die einzelnen Literatursammlungen tatsächlich an die Zentralbibliothek der Physikalischen Institute abgegeben, ein sich über Monate erstreckender Prozess, wie die entsprechenden Eintragungen im Inventarbuch der Zentralbibliothek zeigen. Mit Ende des Jahres 1946 waren sämtliche vom l. bzw. II. Physikalischen Institut übernommenen Zeitschriften und Handbücher ins Inventar der Zentralbibliothek aufgenommen und der Benützung zugänglich gemacht worden. Um eine Ergänzung der lückenhaften Kriegsjahrgänge diverser ausländischer Zeitschriften sowie die Fortführung der 138 aufliegenden Zeitschriften, von denen zu diesem Zeitpunkt allerdings nur 13 laufend bezogen werden konnten, zu ermöglichen, wurden verschiedene Institutionen um Unterstützung gebeten. Zu den im Jahre 1946 durch Kauf erworbenen 163 Bänden (Bücher und Zeitschriften) kamen noch durch Schenkung ca. 700 bis 800 Bände vorwiegend älterer Literatur aus den Beständen der Bibliothek der Staatsrealschule IV, Marchettigasse sowie Teile der Bibliothek von Stefan Meyer. Trotz der ungünstigen Bedingungen der Nachkriegszeit, wie ungeheizte Räume, lag die durchschnittliche Zahl der Lesesaalbesucher bei acht Personen pro Tag, die Zahl der Entlehnungen bzw. Rückstellungen durch Professoren, Dozenten etc. bei durchschnittlich drei pro Tag.
3.1 Weitere Entwicklung bis zum Jahr 1955#
Wie bereits angedeutet, behielten nach 1946 sowohl das l. wie auch das II. Physikalische Institut jeweils nur die ständig benötigte Literatur in Form eines kleinen Handapparats zurück. So vermerkte das 1948 in Wien erschienene „Jahrbuch der österreichischen Wissenschaft" für diese beiden Institute jeweils eine Handbibliothek, für das Institut für Theoretische Physik hingegen eine Fachbibliothek. Letztere wies am Ende des Jahres 1950 bereits einen Bestand von ca. 17.000 Bänden und 306 laufenden Zeitschriften auf. Das von 1920 bis 1938 bestehende III. Physikalische Institut wurde nicht wieder ins Leben gerufen. Als „eine der bestausgestatteten Bibliotheken dieses Faches auf dem Kontinent" diente sie 1952 in einem Schreiben von Hans Thirring an den damaligen Unter-richtsminister Ernst Kolb als Modell für jene Bibliothek, die dem Nobelpreisträger Erwin Schrödinger unter anderem geboten werden müsste, um ihn zu einer Rückkehr nach Österreich zu bewegen. Das weitere Anwachsen des Bibliotheksbestandes war begleitet vom Aufbau einer Sonderdruck- und einer Mikrofilm-Sammlung.
Gemäß dem „Verzeichnis österreichischer Bibliotheken" stellte die Zentralbibliothek der Physikalischen Institute um 1953 eine allgemein zugängliche Präsenzbibliothek dar, eine Entlehnung der Literatur war nicht möglich. Die Betreuung der Bibliothek lag ausschließlich in den Händen von Robert Chorherr, der sich 1954 genötigt sah, mit folgender Begründung um eine „dringendst notwendige Personalvermehrung 1 Aufseher ... 1 mittlerer Bibliotheksdienst" zu ersuchen: „Durch die sich in ungeheuerlichem Tempo entwickelnde Flut der Literatur des Fachgebietes Physik, einer Wissenschaft, welche die Grundlage jeder technischen Disziplin darstellt, hat der Bestand der für eine sinnvolle Arbeit absolut notwendigen Literatur der Zentralbibliothek von 4.500 Bde (1945) auf 21.000 Bde (1954) zugenommen, die Zahl der Zeitschriftentitel von 137 (1946) auf 436 (1953). Der Besuch dieser Bibliothek nimmt insbesondere seit dem Aufbau des zentralen Zeitschriften-kataloges ständig zu. Es liegt auf der Hand, daß es auf die Dauer menschenunmöglich ist, daß der Leiter der Bibliothek diese Flut bewältigen kann und wertvollste Zeit für Verwaltungsarbeit verloren geht." Gleichzeitig wurde in dem Schreiben darauf verwiesen, dass der Bibliothek nicht nur die Literaturbetreuung der drei physikalischen Institute des Hauses, sondern noch weiterer physikalisch interessierter Institutionen anheim gestellt sei. Das Ministerium bewilligte auf Grund dieses Antrags für die Bibliothek mit Beginn des Jahres 1955 zwei zusätzliche Planstellen (1d und 1e); für Buchbinderarbeiten stand der Laborant des Instituts für Theoretische Physik ca. halbtags zur Verfügung.
Infolge des Aufschwungs der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit nach Ende des Krieges wuchs der Literaturbestand in der Bibliothek in den nächsten Jahren beträchtlich an. Ermöglicht wurde dies einerseits durch das außergewöhnliche Engagement des Bibliotheksleiters und die traditionelle Verbundenheit der Institutsvorstände Thirring, Ehrenhaft und Przibram mit der Bibliothek, die sich gemeinsam um Sonderdotationen für Literaturbeschaffung bemüht hatten, andererseits durch Literaturspenden der westlichen Großmächte, die es ermöglichten, die Lücken in den Zeitschriftenbeständen rasch zu füllen. Die Bibliothek hatte somit 1954, trotz der schwierigen Nachkriegsjahre, bereits eine ziemlich zufrieden stellende Ausstattung erreicht.
3.2 Die Zentralbibliothek wird „Depository Library"#
Die Wissensexplosion im Bereich der Atomforschung, ausgelöst durch den Bau der Atombombe während des Zweiten Weltkrieges, sollte auch für die weitere Entwicklung der Zentralbibliothek nicht ohne Folgen bleiben. Der Fortschritt der Wissenschaft zwang die Bibliothek zur Erweiterung ihres Aufgabengebietes. Am 8. Dezember 1953 hielt US-Präsident Eisenhower eine viel beachtete Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, in der er die amerikanischen Vorstellungen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie erstmals präsentierte. Er äußerte folgende Überlegungen: „Ich fühle mich dazu gedrängt, heute in einer Sprache zu sprechen, die in gewissem Sinn neu ist - eine Sprache, die ich, der ich einen so großen Teil meines Lebens im militärischen Beruf verbracht habe, lieber niemals verwendet hätte. Diese neue Sprache ist die Sprache der Atomkriegsführung. Das Atomzeitalter ist mit solchen Riesenschritten vorwärtsgeschritten, daß jeder Bürger der Welt einen gewissen Begriff, zumindest in Form von Vergleichen, von dem Ausmaß dieser Entwicklung und von der ungeheuren Bedeutung haben sollte, die sie für jeden von uns hat. Es liegt auf der Hand, daß die Völker der Welt mit der Kenntnis der bedeutungsvollen Tatsachen des heutigen Lebens ausgerüstet sein müssen, wenn sie sinnvolle Bemühungen um den Frieden unternehmen sollen. Am 16. Juli 1945 lösten die Vereinigten Staaten die erste Atomexplosion der Welt aus. Seit diesem Datum im Jahr 1945 haben die Vereinigten Staaten von Amerika 42 Atomexplosionen durchgeführt. Die heutigen Atombomben sind mehr als 25 mal so wirkungsvoll als die Waffen, mit denen das Atomzeitalter heraufdämmerte, während Wasserstoffwaffen einen Wirkungsgrad haben, der dem von Millionen Tonnen TNT entspricht ... Doch das schreckliche Geheimnis und die furchtbaren Anwendungsformen der Atomkraft sind nicht unser alleiniger Besitz. Zum ersten ist das Geheimnis im Besitz unserer Freunde und Verbündeten, Großbritannien und Kanada, deren wissenschaftlicher Genius Außerordentliches zu unseren anfänglichen Entdeckungen und Herstellungsplänen von Atombomben beitrug. Das Geheimnis ist auch der Sowjetunion bekannt ... Die freie Welt ist sich, zumindest in verschwommener Form, dieser Tatsachen bewußt und hat natürlicherweise die Ausarbeitung eines großangelegten Warnungs- und Verteidigungsprogrammes begonnen. Dieses Programm wird beschleunigt und erweitert werden. Niemand darf aber glauben, daß die Ausgabe riesiger Summen für Waffen und Verteidigungssysteme absolute Sicherheit für die Städte und Einwohner irgendeines Landes zu gewährleisten vermag ... So ist es das Ziel meines Landes, mitzuhelfen, daß wir aus diesen finsteren Schreckenskammern hinaus ins Licht kommen; daß wir einen Weg finden, auf dem der Geist, die Hoffnungen, die Seelen der Menschheit dem Frieden, dem Glück und dem Wohlstand entgegenschreiten können ... Vor allem aber weiß ich, daß wir jetzt mit diesen Schritten beginnen[...] Des Vorschlages der Generalversammlung der UN eingedenk, sind die Vereinigten Staaten sofort bereit, mit anderen Ländern, die ,hauptbeteiligt' sind, vertrauliche Besprechungen aufzunehmen, um eine annehmbare Lösung der Frage des Atomwettrüstens zu suchen, das nicht nur den Frieden, sondern das gesamte Leben der Welt überschattet ... Die Vereinigten Staaten werden mehr als eine bloße Einschränkung oder Ausschaltung der Atomkraft für militärische Zwecke anstreben. Es ist nicht genug, diese Waffe aus den Händen der Soldaten zu nehmen; sie muß in die Hände jener gelegt werden, die wissen, wie ihre militärische Adaption entfernt und sie für die Sache des Friedens eingesetzt werden kann ..."
Die Verwirklichung dieses Plans wurde auf mehreren Ebenen in Angriff genommen. So wurde ungefähr ein Jahr später, am 4. Dezember 1954, von der Generalversammlung der UN die Resolution „Atoms for Peace" verabschiedet, die den Wunsch nach Etablierung einer internationalen Organisation zur Förderung und Überwachung der friedlichen Nutzung der Atomenergie zum Ausdruck brachte.
Ein weiterer Schritt war die weitgehende Freigabe von wissenschaftlicher Literatur betreffend Atomforschung. Die amerikanische Regierung sah zu diesem Zweck die Gründung von so genannten „depository libraries" in mit den USA befreundeten Staaten vor. Diese Depotbibliotheken sollten zur Veröffentlichung freigegebene Dokumente - in erster Linie handelte es sich um Reports der amerikanischen Atomenergiekommission USAEC (United States Atomic Energy Com-mission) - als Geschenk erhalten und auch mit aktuellen Publikationen laufend versorgt werden. Das Empfängerland verpflichtete sich dafür, der amerikanischen Regierung öffentlich zugängliche Dokumente seiner eigenen Forschungstätigkeit zur Verfügung zu stellen. Auch Österreich stellte -wie viele andere Länder - nach Erlangen der Unabhängigkeit ein Ansuchen an die Vereinigten Staaten, solch eine Depotbibliothek zu erhalten.
Im August 1955 fand die erste internationale Konferenz zur friedlichen Nutzung der Atomenergie in Genf statt. Erstmalig hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt die Möglichkeit, Informationen frei auszutauschen und zu vergleichen. Österreich entsandte unter der Leitung des Gesandten Franz Matsch eine mehrköpfige Delegation, der auch Berta Karlik, Leiterin des Instituts für Radiumforschung, angehörte, die durch einen Vortrag im offiziellen Konferenzprogramm vertreten war. Das vertrauensbildende Klima der Genfer Konferenz führte dann zur tatsächlichen Realisierung der amerikanischen Bibliothekspläne in Österreich. Am 14. September 1955 erfolgte schließlich durch den amerikanischen Botschafter Llewellyn E. Thompson die offizielle Übergabe der Atomenergie-Bibliothek an Außenminister Leopold Figl in den Räumen der Zentralbibliothek. In Aufzeichnungen des Bundeskanzleramts ist dazu Folgendes zu lesen: „Botschafter Thompson wird am 14. September l. J. um 17 Uhr der Bundesregierung eine amerikanische Atomenergie-Bibliothek (ca. 1500 Bücher betreffend die amerikanischen Atomenergieforschungen) übergeben. Der Herr Bundesminister für die Auswärtigen Angelegenheiten hat sich bereit erklärt, diese Bibliothek zu übernehmen, und zwar in der Zentralbibliothek des physikalischen Instituts der Universität Wien (Wien IX., Boltzmanng. 5). Diese Bibliothek wird dort in einem eigenen Raum aufgestellt sein. Die amerikanische Regierung hat solche komplette Büchersammlungen auch anderen Regierungen zum Geschenk gemacht. In der Schweiz, z. B., hat Admiral Strauss, der Vorsitzende der amerikanischen Atomenergie-Kommission, eine solche Bibliothek dem Schweizer Bundespräsidenten Petitpierre während der Atomenergie-Konferenz übergeben.
Die kurze Zeremonie wird sich folgendermassen abspielen: Nach einführenden Worten des Gesandten Matsch, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der österr. Atomenergie-Kommission, wird Botschafter Thompson eine bereits h.a. vorliegende kurze Ansprache halten und der Herr Bundesminister wird im Namen der Bundesregierung dem Botschafter Thompson den Dank für dieses Bibliotheksgeschenk aussprechen und die Bibliothek formell übernehmen. Der Herr Bundesminister hat angeordnet, dass anschliessend Wein und Sandwiches in dem großen Vorraum serviert werden sollen. Mit der Aufstellung der Bibliothek ist Bibliothekar Dr. Chorherr (A 19 O 35, Kl.27) betraut worden. Die Zeremonie selbst wird in dem Bibliotheksraum stattfinden.
Die Amerikanische Botschaft (Mr. Butler), im Auftrage des amerikanischen Botschafters, hat gebeten, folgende amerikanische Herren einzuladen: Botschafter Thompson, Minister McCaffery, Minister Penfield, Botschaftsrat Davis, Mr. Butler, Mr. Wheaton, und angeregt, die nachfolgenden Zeitungen bzw. Agenturen zu dieser Zeremonie einzuladen: APA, Arbeiter Zeitung, Kleines Volksblatt, Neues Österreich, Österreichische Tageszeitung, Die Presse, Bild Telegraf, Neuer Kurier, Salzburger Nachrichten, American Broadcasting, Fox News-reel, Reuters, AP, DP, INS, Austria Wochenschau, New York Times.
Die Abteilung INT regt an, von österreichischer Seite folgende Personen einzuladen: Bundesminister Drimmel, Präsidialchef Min. Rat Pruckner, S. Magnifizienz der Rektor der Universität, Rektor der Technischen Hochschule, Ministerialrat Dr. Adalbert Metznik; die Mitglieder der österreichischen Atomenergie-Kommission: Ministerialrat Dr. Franz Hoyer (BMU), Frau Prof. Berta Karlik (Leiterin des Radiumforschungsinstituts, Wien IX., Boltzmanngasse 3), Sektionschef Dr. Alfred Khaum (BM f. soz. Verw.), Ministerialrat Franz Grill (durchgestrichen und unleserlicher Name darübergeschrieben) (BM f. Handel u. Wd. Aufbau), Sektionschef Dr. Fürst (BM. f. Verk. u. verst. Betriebe), Ministerialrat Dr. W. Kovats (BM. f. Verk. u. verst. Betriebe), Sektionschef Dr. Rudolf Philipp (unleserlicher Name darübergeschrieben) (BM. f. Land- u. Forstwirtsch. Österr. FAO-Kom.), Ministerialrat Dipl.lng. Johann Lokscha, (BM. f. Land- u. Forstwirtschaft), Ministerialrat Dr. Walter Waiz (BM. f. Finanzen), Ministerialrat Preglau (BKA, Sektion V), Sektionsrat Dipl.lng. Richard Polaczek (Name durchgestrichen, darüber Zak) (BKA, Sektion V), Gesandter Platzer (Abteilung Wpol), Direktor Stahl (Verbundgesellschaft, Wien l., Am Hof 6), Dozent Dr. Lintner (Institut für Radiumforschung, Wien IX., Boltzmanng. 3), Professor Dr. Ortner, vom BKA; AA: Staatssekretär Dr. Kreisky, Generalsekretär Dr. Schöner, Gesandter Matsch, Protokollchef, Gesandter Filz"
Der offizielle Bericht von Bibliothekar Robert Chorherr über die Übergabe einer Atomenergie-Bibliothek lautete: „Der Bundesminister für die auswärtigen Angelegenheiten Dr. Leopold Figl gab am 14. 9.1955 um 17h anläßlich der Übergabe einer Atomenergie-Bibliothek in den Räumen der Zentralbibliothek der Physikalischen Institute der Universität Wien in der Boltzmanngasse 5 einen Empfang. Die Atomenergie-Bibliothek wurde von der amerikanischen Regierung Österreich als Geschenk zur Verfügung gestellt und durch den amerikanischen Botschafter Llewellyn E. Thompson Außenminister Dr. Figl in Beisein eines Vertreters des Unterrichtsministers, des Staatssekretärs Dr. Bruno Kreisky und des Vorsitzenden der österreichischen Atomenergiekommission Gesandten Dr. Franz Matsch, sowie zahlreicher prominenter Vertreter des politischen und wissenschaftlichen Lebens übergeben. In einer den Gästen zugänglichen Ausstellung wurde die Atomenergie-Bibliothek gezeigt. Diese besteht aus 35 Büchern, 9 kompletten Bänden ,Nuclear Science Abstracts' (ein Referateblatt, welches über 52.000 wissenschaftliche Arbeiten amerikanischer und anderer ausländischer Herkunft zitiert und kurz bespricht), diversen Broschüren und Berichten über Fortschritte der Atomenergie und ihrer Anwendung, ferner ca. 10.000 US Atomic Energy Commission Reports, davon ca. 7.000 in Form von Mikrokarten. Auf diesen Mikrokarten, welche eine Grosse von 128x77 mm haben, befinden sich bis zu 48 verkleinerte Buchseiten des Formates DIN A4 (297x210 mm). Man benötigt zum Lesen dieser Mikrokarten ein eigenes Lesegerät (ist derzeit in der Bibliothek noch nicht vorhanden). In diesen USAEC Reports wird eine Unsumme wissenschaftlicher und organisatorischer Arbeit der bis in die feinsten Details gehenden Fragen der Atomenergie und ihrer Anwendung in Industrie, Medizin, Landwirtschaft und Forschung veröffentlicht. Damit stellen diese Berichte für die Zentralbibliothek eine äußerst wertvolle Bereicherung dar, da die meiste neuere Fachliteratur des Auslandes bereits in ihrem Literaturnachweis diese Reports zitiert und verarbeitet, sodaß das Studium wissenschaftlicher Arbeiten ohne diese Berichte immer schwieriger geworden ist. Da in der Zentralbibliothek außer diesen Reports auch sämtliche andere erforderliche Fachliteratur bereits vorhanden ist, besitzt Österreich nun alle Möglichkeiten, aus der Literatur das gesamte veröffentlichte Wissen auf dem Gebiete der Atomenergie und ihrer Anwendungen nutzbringend zur Förderung der Wissenschaft und zum Wohle der Menschheit zu verwerten."
Die Übergabe dieser Bibliothek fand nicht nur Beachtung seitens der Bibliothekare und der betroffenen Wissenschaftler, sondern erregte - wohl bedingt durch das gruselig-schöne Sujet „Atomenergie" bzw. das neuartige Medium „Mikro-karte" - auch das Interesse einiger Zeitungen. In ihren Zeitungsberichten sparten die Berichterstatter dabei nicht mit Worten wie „Atombibliothek" oder „Mikrobibliothek". Ein gleichfalls von amerikanischer Seite gespendetes Lesegerät wurde Ende Mai 1957 der Zentralbibliothek der Physikalischen Institute übergeben.
In der Folgezeit wurde der durch den Status der „depository library" bedingte Sammelschwerpunkt Atomenergie durch Erwerb und Erfassung der diesbezüglichen Reportliteratur auch nichtamerikanischer Länder (z. B. Großbritannien, Frankreich, Deutschland etc.) intensiv gepflegt. Der daraus resultierende reiche Bestand an themenspezifischer Literatur wurde nicht nur von der 1956 gegründeten „Österreichischen Studiengesellschaft für Atomenergie" ausgiebig genützt, sondern war schließlich auch mit bestimmend für die Wahl Wiens als Sitz der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA): Nach einem informativen Besuch der Bibliothek durch den angesehenen indischen Physiker Homi J. Bhabha am 31. August 1956 erfolgte am 2. April 1957 im Rahmen der Verhandlungen zur Verlegung der IAEA nach Wien eine offizielle Besichtigung der Bibliothek durch den Beauftragten der IAEA, Merril Eisenbud. Dieser „fand sehr anerkennende Worte über die Bibliothek und schrieb folgende Bemerkung in das Gästebuch: ,A pleas-ant visit to a most efficient and complete library'..." In dem mit 30. Juni 1958 datierten Übereinkommen zwischen der IAEA und dem Institut für Theoretische Physik (vertreten durch das Bundesministerium für Unterricht) wurde eine enge Zusammenarbeit der Bibliotheken der beiden Institutionen hinsichtlich Leihe von Publikationen und Austausch von Informationen vereinbart. Das bedeutete für die Aufgabenbereiche der Zentralbibliothek eine erhebliche Erweiterung. Ab Juli 1958 leistete die IAEA einen halbjährlichen finanziellen Beitrag zum Bibliotheksbudget als teilweise Abgeltung für den steigenden Arbeitsaufwand. So existiert die Eintragung der ersten Überweisung in das Rechnungsjournal in der Höhe von 1.000 US-Dollar. Als Gegenleistung dafür pendelte täglich ein Kurier der IAEA zwischen der Bibliothek und dem Hotel am Kärntner Ring, dem vorübergehenden Hauptquartier, um das Informationsbedürfnis und die Literaturwünsche der Angestellten der IAEA zu erfüllen - und das war nicht immer einfach. Ein Bibliotheksmitarbeiter erinnert sich an diese Zeit: „Manchmal ersuchten uns die Bibliothekarinnen der IAEA selbst um Auskunft über Telefonnummern, da die Internationale Atomenergie-Organisation zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht einmal über eigene Telefonbücher verfügte."
Zusätzlich finanzierte die IAEA gemeinsam mit der Österreichischen Studiengesellschaft für Atomenergie im Wege der Refundierung von Bezügen Dienstposten an der Zentralbibliothek. Aus internen Aufzeichnungen lässt sich die Finanzierung eines Mitarbeiters der Entlohnungsgruppe d von September 1961 bis Juni 1966 und einer Mitarbeiterin der Entlohnungsgruppe b von Dezember 1962 bis Dezember 1963 eruieren. 1968 endeten diese finanziellen Vereinbarungen, die Zusammenarbeit blieb auf Wunsch der Internationalen Atomenergie-Organisation aber auf Basis eines wechselseitigen Literatur- und Informationsaustausches weiterhin bestehen. In einem Brief vom 28. Juni 1968 an das Außenministerium ist zu lesen: „The Agency proposes that, after the termination of the Agreement, the loans and ex-changes should continue on a reciprocal basis, and in particular, the Agency plans to give preference to the Institute when it has physics books and other physics publications to spare for donation. By these means it is intended to maintain close collaboration between the libraries of the two organizations." Heute noch erhält die Dienststelle alle in ihr Sammelgebiet passenden Veröffentlichungen der IAEA als Geschenk und ist verpflichtet, diese Informationsträger nutzbar aufzubewahren. Wie bereits oben mit den Bestandszahlen des Jahres 1957 angedeutet, stellte und stellt die Bewältigung der ständig steigenden Flut von einschlägigen Reports - der überwiegende Teil davon in Form von Mikrofiches - die Zentralbibliothek sowohl hinsichtlich der Bearbeitung dieser Informationsträger wie auch hinsichtlich ihrer Lagerung vor ernste Probleme.
3.3 Dokumentation an der Zentralbibliothek#
Die mit Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzende explosionsartige Zunahme der naturwissenschaftlich-technischen Literatur und die fortschreitende Spezifizierung der einzelnen Wissenschaftszweige machten eine rasche, gezielte Information zu speziellen Themen immer dringlicher. Überdies bedingte eine deutliche Verlagerung des Schwerpunktes der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit vom Buch zum Aufsatz zunehmendes Interesse der Bibliotheken am bisher wenig beachteten bibliographisch un-selbstständigen Schrifttum: Sollte nicht das in Form von Zeitschriftenaufsätzen vorliegende Schriftgut weitgehend ungenützt brach liegen, waren neue Wege zu seiner Nutzung zu beschreiten. Ein solcher Weg bot sich durch Auswertung der un-selbstständigen Literatur im Rahmen einer Dokumentation. Neben internationalen Dokumentationsdiensten entstanden dabei auch solche auf regionaler und lokaler Ebene, von denen Informationen zu ganz speziellen Themen angeboten wurden.
In Wien bestand seit dem Jahre 1950 ein Dokumentationszentrum für Technik und Wirtschaft. Bibliothekar Robert Chorherr als Vertreter der Dokumentationsstelle des physikalischen Instituts der Universität Wien war zu der am 8. November 1951 einberufenen ersten Sitzung des Fachkomitees eingeladen, in der das Dokumentationszentrum auf eine breitere Basis gestellt werden sollte. Der Genannte vertrat die Zentralbibliothek auch bei der ersten Jahreshauptversammlung der „Österreichischen Gesellschaft für Dokumentation und Bibliographie" am 26. Mai 1952 bzw. bei der ersten Sitzung des Fachnormenausschusses „Bibliothekswesen und Dokumentation" am 26. April 1954. Wie bereits angedeutet, versuchten neben institutionalisierten Dokumentationsdiensten auch diverse Bibliotheken, in Eigenregie spezielle Themen für den jeweiligen Benutzerkreis zu dokumentieren. Da man einerseits erkannte, dass Erfolg versprechend nur an Bibliotheken dokumentiert werden könne, andererseits aber befürchtete, „daß die Auswertung der Zeitschriftenaufsätze eine Mehrarbeit verursacht, der das Personal nicht gewachsen sein kann" (Walter Ritzer), war man bestrebt, die Dokumentationstätigkeit der Bibliotheken auf breiter Basis zu organisieren. Empfohlen wurde als erste Stufe der „Aufbau einer umfassenden Technischen Zentraldokumentation für den Bereich von Wien", in die auch die Dokumentationstätigkeit der Zentralbibliothek eingebunden werden sollte. Diese stellte sich um 1958 laut einem Bericht Robert Chorherrs wie folgt dar: „... Für besondere Arbeitsgebiete (wie z. B. Radioastronomie, Sonnenenergie, Supraleitung, Elektronenoptik, Lumineszenzfragen etc.) wurde - aus den Bedürfnissen der Institutsangehörigen - die laufende Zeitschriftenliteratur (derzeit 770 Zeitschriftentitel) gesichtet und alle einschlägigen Arbeiten karteimäßig nach Verfassern, Titeln und Erscheinungsvermerken aufgenommen. Wohl stehen auf dem Fachgebiete Physik ausgezeichnete Referateblätter deutscher, englischer, französischer und in letzter Zeit auch russischer Herkunft zur Verfügung, doch muß für die Erfordernisse der Praxis (rasche Orientierung über neueste Arbeiten für immer speziellere Fragen) dieser Dokumentationsdienst immer weiter ausgebaut werden. Derzeit umfaßt diese Kartei rund 12.000 Karten ... im Format DIN A6. Besonders sorgfältig wurde die Literatur auf dem Gebiete der Kernphysik, Kernchemie, Kerntechnik und der dazugehörigen Industrien verfolgt, so daß heute das gesamte, für eine Kerndokumentation erforderliche Material vorhanden ist und ausgewertet werden kann. Zur Orientierung sei erwähnt, daß es derzeit 34, speziell nur für Atomkernenergie-Arbeiten bestimmte Zeitschriften gibt, deren Zahl laufend durch Neugründungen vergrößert wird. Daneben bilden die U.S. Atomic Energy Commission Reports, British Atomic Energy Research Establishment Reports, Rapports Commissariat a l'Energie Atomique, Reports on Atomic Energy of Canada, CERN-Veröffentlichungen, Reports of Joint Establishment for Nuc-lear Energy Research usw. die Grundlage für den weiteren Ausbau der Dokumentation. Das größte Kontingent der Atomkernenergie-Berichte stellen die U.S. Atomic Energy Reports mit 25.000 Berichten dar. Ein Teil dieser Reports erscheint in Form von Mikrokarten (derzeit 15.000), welche mit einem Speziallesegerät zu lesen sind. Auf einer solchen Mikrokarte, welche das internationale Bibliotheksformat hat, befinden sich bis zu 48 entsprechend verkleinerte Buchseiten des Formates DIN A4. Allein für diese U.S. Reports steht dem Spezialisten eine Kartei von derzeit 150.000 Karten (internationales Bibliotheksformat) zur Verfügung. Diese Kartei ist nach Schlagworten, nach Autoren und nach Report-Nummern geordnet. Jede Karte trägt ein Referat über den Inhalt des betreffenden Reports. Für viele der Reports werden 10 bis 20 und mehr Schlagworte ausgeworfen, so daß diese Kartei - welche eine Unsumme von wissenschaftlicher und organisatorischer Arbeit zur Voraussetzung hat - bis in die subtilsten Details gehende Fragen beantworten hilft und eine überwältigende Schau der Möglichkeiten menschlichen Schaffens auf diesem Spezialgebiet gibt."
Besonders sei hier noch auf die „Dokumentation Biographien" hingewiesen, ein neben der „Dokumentation aktueller physikalischer Themen" gleichfalls von Bibliothekar Chorherr ins Leben gerufener Informationsdienst der Zentralbibliothek. Diese Dokumentation enthält unter den alphabetisch angeordneten Namen von Personen des Fachbereichs „Physik und Randgebiete" bibliographische Angaben zur Biographie der jeweiligen Person, eventuell ergänzt durch weiteres biographisch interessantes Material (z. B. Porträtfotos). In den Sechzigerjahren kam es dann zum Infarkt der bis dahin gepflogenen Dokumentationstätigkeit: Bei der ständig wachsenden Zahl an wissenschaftlichen Publikationen in immer zahlreicheren Zeitschriften war es immer schwieriger geworden, die bibliotheksinterne Dokumentation aktueller physikalischer Themen weiterzuführen; sie wurde schließlich im Jahre 1968 abgebrochen. Darüber hinaus zog diese Publikationsflut - schätzungsweise betrug 1967 die Zahl an jährlichen Publikationen allein auf dem Gebiet der Kernenergie ca. 200.000, davon ca. 12.000 in Form von Reports - auch eine derartige Menge an (zum Teil überflüssigen) Karteikarten der diversen Dokumentationsdienste nach sich, dass sie unter den gegebenen Bedingungen von Personal- und Zeitaufwand her gesehen nicht mehr bewältigt werden konnte. Dies führte in der Folge zum sukzessiven Abbruch der Dokumentationskarteien. An ihre Stelle traten im verstärkten Maße zum Teil bereits bestehende, entsprechend den gestiegenen Anforderungen modifizierte Referate-Blätter bzw. völlig neu geschaffene Informationssysteme, wie etwa der 1967 gegründete internationale Kerninformationsdienst INIS der IAEA. Die schließlich seit ca. 1977 mögliche, EDV-gestützte Informationsvermittlung gewährleistet im Verein mit den Referate-Blättern eine gezielte, fachspezifische Literatursuche unter Einbezug sowohl des unselbstständigen Schrifttums wie auch der „grauen Literatur".
3.4. Situation vor In-Kraft-treten des UOG 1975#
In der Zeit vor dem Universitätsorganisationsgesetz (UOG) war nach den Worten von Rudolf Rathei (seit 1958 Leiter der Zeitschriftenabteilung der ÜB Wien) die Situation der kleinen Institutsbibliotheken allgemein günstiger als jene der großen Universitätsbibliotheken: „In den sechziger Jahren ergab sich eine neue Situation. Damals setzte die explosive Ausweitung des Bildungswesens und der Literaturproduktion ein. Als Folge kam es zu einer beträchtlichen Erweiterung der Lehr- und Forschungseinrichtungen der Universität Wien. Die Geldmittel der Institute für Literaturkauf erfuhren eine starke Erhöhung. Die Dotation der ÜB Wien hielt mit dieser Entwicklung aber nicht Schritt." Dies mag auch für die Zentralbibliothek der Physikalischen Institute gelten: Wie ein Vergleich der entsprechenden Angaben im Handbuch österreichischer Bibliotheken für 1960 mit jenen für 1970 zeigt, konnte die Bibliothek ihren Bestand innerhalb der zehn Jahre mehr als verdoppeln. Der Personalstand wuchs von fünf Beschäftigten im Jahre 1958 auf sieben im Jahre 1960 und belief sich 1967 bereits auf 14 Personen. Vor dem Hintergrund der bei Rathei anklingenden Dissonanzen zwischen Universitätsbibliothek(en) einerseits und Institutsbibliotheken andererseits sowie der sich nach den Studentenunruhen des Jahres 1968 abzeichnenden Hochschulreform wurden Überlegungen über den Standort der wissenschaftlichen Bibliotheken im Rahmen einer Neuorganisation der Hochschulen angestellt. Bei dieser Diskussion äußerte sich der für das Bibliothekswesen zuständige Ministerialbeamte Ludwig Otruba positiv zu Bibliotheken vom Typ der Zentralbibliothek: „Die bisherigen Erfahrungen mit den ... wenigen derzeit schon organisierten ,Zentralbibliotheken' können im allgemeinen als gut bezeichnet werden".
Im Rahmen der anstehenden Reform der Hochschulbibliotheken charakterisierte er mit Weitblick die Aufgaben der Zentralbibliotheken folgendermaßen: „Diese .Zentralbibliotheken'... hätten die wichtigsten Aufgaben der derzeitigen Institutsbibliotheken sowie des entsprechenden Referates der Hauptbibliothek zu vereinen [...] Die Zentralbibliotheken müßten dann auch die Aufgaben des Dokumentations- und Informationswesens auf den ihnen anvertrauten Gebieten der Wissenschaften übernehmen [...] Sie hätte[n] ihre Methoden so zu gestalten, daß die neuerschienene (und sofort benötigte) Literatur auch tatsächlich ohne Verzug den Wissenschaftler erreicht. Die Zentralbibliothek müßte den Studenten als ,Lernbibliothek' dienen, d. h. ihnen genügend große Serien der gebräuchlichen Lehrbücher zur Verfügung stellen ..."
Kritische Einwände wurden etwa von Erhard Glas, seit 1954 Leiter der ÜB Graz, vorgebracht: „Die in Österreich schon bestehenden Fakultäts- und Zentralbibliotheken empfehlen sich als Vorläufer des vorgeschlagenen neuen Systems nicht besonders. Ihre Mängel überwiegen im ganzen genommen jene der Hochschulbibliotheken bei weitem: die Bestände sind lückenhaft und für größere Zeiträume ungleichmäßig gestreut, die Kataloge unzureichend, die Führung dilettantisch, ihre Benützung ist auch in den engeren Fachbereichen nicht ohne Ergänzung und Abrundung durch die ... Hauptbibliotheken möglich ... Wenn die Hochschulbibliotheken die schon aufgezeigten Fehler von Beamtenbetrieben aufweisen: so die Fakultäts- und Zentralbibliotheken die schwerer wiegenden Mängel der von Professoren geführten Bibliotheken ..."
Eine Standortbestimmung der Zentralbibliothek der Physikalischen Institute wurde am 14. März 1972 in der Sitzung der Unterkommission der Ständigen Kommission für Physik in Anwesenheit von Josef Zessner-Spitzenberg und dem damaligen Direktor der Universitätsbibliothek Wien, Friedrich Rennhofer, versucht. Als Rechtsquellen für die Stellung der Zentralbibliothek nannte Zessner-Spitzenberg:
# | das Bundesfinanzgesetz, in dem die Zentralbibliothek seit 1962 einen eigenen Budgetansatz aufweise, verbunden mit einer direkten Verantwortlichkeit gegenüber dem Bundesministerium für Unterricht - „das weist auf globale Aufgaben hin"; |
# | das Hochschulorganisationsgesetz: |
§ 20: | Dekan und Rektor sind die Dienstvorgesetzten der Zentralbibliothek; |
§ 59: | Der Lehrkörper hat kein Weisungsrecht, die Zentralbibliothek entspricht einem Institut (so heißt es auch im Punkt 9 der Institutsordnung des Instituts für Theoretische Physik: „Als Lehrbehelf dient dem Institut die derzeit in den Räumen des Instituts untergebrachte Zentralbibliothek der physikalischen Institute, welche einen eigenen Verwaltungskörper bildet."); |
§ 61: | Der Leiter der Universitätsbibliothek hat die Pflicht, für die ordentliche Katalogisierung der wissenschaftlichen Literatur zu sorgen, hat aber kein Weisungsrecht gegenüber der Zentralbibliothek. |
Rennhofer bezeichnete bei dieser Sitzung den eigenen Status der Zentralbibliothek als historisch verständlich, aber überholt. Er verwies auch darauf, dass der Zentralbibliothek allein für Physik ein Betrag von einer Million Schilling im Jahr zur Verfügung stehe, während das Budget der Universitätsbibliothek Wien für alle Fächer insgesamt drei Millionen Schilling betrage.
3.5 Vom UOG 1975 bis zur Errichtung der „Zentralbibliothek für Physik in Wien"#
Mit In-Kraft-Treten des Universitätsorganisationsgesetzes am 1. Oktober 1975 (UOG 75) hatte die Zentralbibliothek der Physikalischen Institute ihre bisherige Selbstständigkeit verloren und war de iure zu einer der Universitätsbibliothek Wien angehörenden Fachbibliothek geworden. Vorerst machte sich dieser neue Status in der Praxis wenig bemerkbar; in einer Ausstellung Ende 1975 konnte die Bibliothek stolz auf ihre 125-jährige Entwicklung zurückblicken. Auch die mit Jahreswechsel 1976/1977 anberaumte Ablöse in der Bibliotheksleitung vollzog sich noch in einer praktisch autarken Zentralbibliothek. Stellvertretend für zahlreiche positive Äußerungen über den Initiator und langjährigen Leiter der Zentralbibliothek der Physikalischen Institute, Robert Chorherr, sei jene von Leopold Halpern aus jüngster Zeit zitiert: „... Even self-study had been hampered by the lack of literature and prohibitive foreign exchange rates, until a magnificent library assistant, R. Chorherr, succeeded on his very own initiative in negotiat-ing government funding for the tiny neglected library, which then, due to his work and directorship, developed from poor-house conditions to one of the best in the world."
Allerdings sah sich Wolfgang Kerber, der neue Leiter der Bibliothek, bereits am 29. März 1977 veranlasst, die Vertreter von Professoren, Assistenten und Studenten der physikalischen Institute über die künftige Situation der Zentralbibliothek hinsichtlich Rechtsstatus, Verwaltungsmodalitäten, Literaturbeschaffung etc. zu informieren. Im Rahmen dieses Gesprächs billigten die Betroffenen den Vorschlag der Bibliotheksleitung, in Hinkunft alle Literaturanschaffungen ausschließlich über die Zentralbibliothek zu tätigen. Des Weiteren wurde auch intensiv die Frage diskutiert, ob die Bibliothek den im UOG verankerten Status einer von der Universitätsbibliothek unabhängigen, interuniversitären Bibliothekseinrichtung in Form einer Zentralbibliothek im Sinne des § 89 UOG anstreben sollte. Es fehlte nicht an Bedenken, dass ein derartiger Status eine Beeinträchtigung des Bibliotheksservices für die hausinternen Institute mit sich bringen könnte. Dennoch sprach sich schließlich die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer für die Schaffung einer derartigen Zentralbibliothek aus, wobei mehrfach darauf hingewiesen wurde, dass die Zentralbibliothek der Physikalischen Institute bereits bis dato Funktionen einer solchen Bibliothekseinrichtung ausgeübt habe. Schon 1950 wurde in einem Schreiben der drei Institutsvorstände Thirring, Ehrenhaft und Przibram an das Unterrichtsministerium die Bedeutung der Zentralbibliothek für „die Lehr- und Forschungstätigkeit der physikalischen Institute in ganz Österreich" aufgezeigt. 1955 äußerte sich Hans Thirring in einem Brief folgendermaßen: „Es sei darauf hingewiesen, daß die Zentralbibliothek nicht nur für die physikalischen Institute der Universität Wien, und das Institut für Radiumforschung, sondern auch für die physikalischen Institute der Technischen Hochschule Wien sowie sämtlicher an Physik interessierter Institute überhaupt von unschätzbarer Bedeutung ist..."
Während sich in der Folge die Bibliotheksleitung engagiert bemühte, die nötigen Schritte zur Schaffung einer „Zentralbibliothek im Sinne des § 89 UOG" in die Wege zu leiten, wurde gleichzeitig die Zusammenarbeit mit der Hauptbibliothek der Universität Wien intensiviert: Gemäß ihrem neuen Status als Fachbibliothek für Physik bekam die Zentralbibliothek der Physikalischen Institute von der Hauptbibliothek die aus dem Ausland (besonders aus der BRD) einlangenden Dissertationen des Fachbereiches Physik zur Bearbeitung und Verwahrung. Die im UOG vorgesehene Koordinierung der Bestellungen wurde nach zahlreichen Besprechungen mit den Verantwortlichen noch 1977 eingeleitet.
Im Rahmen der Zeitschriftenverwaltung erhielt die Hauptbibliothek für die Zeitschriftenliste 1977 die Kopie des ZAZ-Beitrages der Zentralbibliothek und es wurden ihr hinfort sämtliche Neubestellungen von Zeitschriften gemeldet. Dank des engen Kontakts zwischen der Zentralbibliothek und der Hauptbibliothek brachte die Zeitschriftenkoordinierung für beide Seiten beachtenswert positive Ergebnisse: „Auf Grund der Österreichischen Zeitschriftenliste wurden Ende 1977 bzw. Anfang 1978 in Zusammenarbeit der Zeitschriftenabteilung und der zuständigen Fachreferenten (Dr. Souczek, Dr. Stengel) mit der Zentralbibliothek der Physikalischen Institute (Dr. Kerber, Dipl.-lng. Polzer) und dem Institut für Physikalische Chemie (Dr. Zak) die laufenden physikalischen und chemischen Zeitschriften dieser bibliothekarischen Einrichtungen koordiniert. Die Koordinierung dieser Zeitschriften wurde nach folgenden Gesichtspunkten durchgeführt:
- Die Hauptbibliothek sammelt Standard-, interdisziplinäre und populärwissenschaftliche Zeitschriften gemäß ihrer Funktion und ihrem Leserkreis, wobei notwendige Doppelbezüge durch die Hauptbibliothek und die Zentralbibliothek abgesprochen wurden. - Spezielle Fachzeitschriften werden künftig nur noch an der Zentralbibliothek geführt. - Die Hauptbibliothek gibt einschlägige Zeitschriften, die sie als Freistücke gemäß Pressegesetz oder im Tauschwege erhält, an die Zentralbibliothek zwecks Einsparung bisheriger Abonnements ab ...
Die Koordinierung dieser Zeitschriften brachte folgendes Ergebnis: Hauptbibliothek: Abbestellung von 13 Zeitschriften, die an der Zentralbibliothek vorhanden sind (Einsparung: ... S 105.869); Hauptbibliothek an Zentralbibliothek: Umlegung eines Zeitschriftenabonnements (S 9.177), Abgabe von 13 Pflicht-Zeitschriften (Einsparung S 8.141), Abgabe von 5 Tausch-Zeitschriften (Einsparung S 6.323) [...] Zentralbibliothek an Hauptbibliothek: Abgabe von 9 Zeitschriftenbänden für die Schließung einer Bestandslücke."
Über die ab I.Jänner 1978 geltende Regelung beim Literatur-ankauf informierte die Universitätsbibliothek Wien die Zentralbibliothek der Physikalischen Institute mit Schreiben vom 9. Dezember 1977, in dem es u. a. heißt: „Durch die erstmals im Bundesfinanzgesetz 1978 ... in Aussicht genommene Veranschlagung der Kredite für Literaturanschaffung der Universitätsbibliotheken ... wird dem Bibliotheksdirektor ab 1. Jänner 1978 durch Gesetzesauftrag die Verfügung über sämtliche, für die Anschaffung von Literatur vorgesehenen Mittel übertragen ..." Für die Zentralbibliothek erwies sich dieser neue Budgetierungsmodus allerdings als belanglos: Die Vorbereitungen zur Schaffung einer Zentralbibliothek im Sinne des § 89 UOG waren bereits so weit gediehen, dass seitens des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung von einer interimistischen Unterbrechung der bis dahin üblichen direkten Budgetierung abgesehen wurde.
© Bild und Text öster. Zentralbibliothek für Physik