Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hg.): 150 Jahre Gustav Klimt#
Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hg.): 150 Jahre Gustav Klimt, anlässlich der Jubiläumsausstellung 150 Jahre Gustav. Belvedere Wien 2012. 360 S., durchgehend farbig ill., € 39
Gustav Klimt und das Belvedere sind untrennbar verbunden. Klimt war Mitinitiator der dort 1903 eröffneten Sammlung für zeitgenössische österreichische Kunst, in der sich schließlich 101 Werke von ihm befanden. Das Buch zur Jubiläumsausstellung behandelt erstmals die Genese der weltweit einzigartigen Klimtsammlung in kompakter Form.
Das Belvedere nennt den Prachtband "Publikation", aber das ist schlicht untertrieben. Auf 360 großformatigen Seiten, durchgehend farbig illustriert, ist er ein Katalog, und doch viel mehr. Vielleicht scheuten sich die Herausgeber, die Direktorin des Belvedere, Agnes Husslein-Arco, und der Vizedirektor und Ausstellungskurator, Alfred Weidinger, vor der Bezeichnung Katalog. Auch "Begleitbuch" scheint unpassend. Für diese Zwecke setzt die Sammlung nämlich auf die neueste Technik. Erstmals in der Geschichte eines österreichischen Bundesmuseums ist ein Tablet-Computer integrativer Bestandteil einer Ausstellung. Statt mit Audioguide oder Druckwerk können sich die Besucher mittels iPad über Klimts Motive, Reiseziele und Lebensbereiche informieren. Damit befindet sich das Belvedere "State of the art" - wie übrigens auch die bayrisch-österreichische Landesausstellung 2012. Dort gibt es zwar keine Computer für Ausstellungsbesucher, aber Quick-Reponse-Codes im Katalog. QR-Tags in der Publikation zur Klimtschau sind das einzige Desiderat darin. Aber angesichts der Fülle und der Qualität des dort Gebotenen darf man nicht unbescheiden sein.
Im Vorwort schildert die Direktorin die Geschichte der Klimtsammlung in ihrem Haus, die zwar immer wieder Verluste hinnehmen musste, aber im Jubiläumsjahr 2012 den bedeutendsten Sammlungszuwachs in der Geschichte der Zweiten Republik Österreichs verzeichnen kann: Sie erhielt aus dem Nachlass des Kunstsammlers Peter Parzer die Werke "Sonnenblume" (1908) und "Familie" (1909/10).
Den ersten Beitrag verfassten Christina Bachl-Hofmann und Dagmar Diernberger vom Research Center des Belvedere. Die Germanistinnen und Bibliothekarinnen behandeln die Klimt-Rezeption und Publikationsgenese. Dabei zeigt sich in der zweiteh Häfte des 20. Jahrhunderts ein steter Anstieg an Veröffentlichungen und Ausstellungen über den "Jugendstil-Champion". Den Auftakt für die Wiederentdeckung der Wiener Jahrhundertwendekunst gab die vom Kulturamt veranstaltete Ausstellung "Wien um 1900". Sie fand 1964 mit 900 hochkarätigen Exponaten in der Secession, im Künstlerhaus und im Historischen Museum statt. Damals begann auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung und die Erstellung des Werkverzeichnisses. Ein weiterer Impuls erfolgte 1988, als 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers das Urheberrecht auf seine Werke erlosch und sich Populärkultur und Souvenirindustrie seiner Dekorationen bemächtigten. "Die mit Sicherheit größte Präsenz hat Klimts Kunst jedoch in den letzten Jahren mit aufsehenerregenden Restitutionen erhalten, … über die 'Museales zu begehrter Handelsware nachrückte'." 2006 war die vom Belvedere restituierte "Goldene Adele" mit ca. 135 Millionen US-Dollar das teuerste Kunstwerk der Welt.
Das Herzstück des Katalogs bildet das Kapitel "Gustav Klimt im Belvedere. Vergangenheit und Gegenwart", verfasst von Markus Fellinger, Michaela Seiser, Alfred Weidinger und Eva Winkler. Die 101 Werke des Belvederes sind dabei ganzseitig abgebildet, umfassend beschrieben und mit Vergleichsbeispielen versehen. Die Chronologie beginnt mit Bildern aus dem akademischen Lehrbetrieb, wie anatomischen Studien. Dem entsprechend ähnlich sind die Arbeiten von Gustav Klimt und dem gleichaltrigen Franz Matsch. Mit ihm und dem jüngeren Ernst Klimt bildete er die "Künstler-Compagnie", die in der Ringstraßenzeit große Aufträge schnell und günstig ausführte. Breite Anerkennung fand ihre Dekoration der Treppenhäuser im Wiener Burgtheater, die an den Stil Makarts erinnern, an dessen Standards es sich zu messen galt. Das Bildnis der Sonja Knips (1897/98) war das erste einer Reihe großformatiger Frauenporträts, die Damen des wohlhabenden Wiener Großbürgertums zeigen. Ab 1900 folgte das erste der umstrittenen Fakultätsbilder ("Medizin"). In diesem Jahr begannen auch die Sommeraufenthalte am Attersee, bei denen bis 1916 rund 50 Landschaftsbilder entstanden. 1902 war Klimts Beethovenfries einer der wesentlichen Beiträge der XIV. Ausstellung der Wiener Secession. In den nächsten Jahren setzte er sich mit dem Symbolismus und theosophischer Literatur auseinander, wovon abgründige Nixen und Undinen Zeugnis ablegen. Die folgende Goldene Periode umfasst weltberühmte Werke wie "Adele Bloch-Bauer I" (1907) oder "Liebespaar" (1908/09). Das zweite Bildnis der Adele Bloch-Bauer markiert eine weitere Stilwende: stehende Modelle vor bunt gemustertem Hintergrund bestimmen das Porträtkonzept. Gustav Klimt arbeitete auch im Ersten Weltkrieg. Sein "Apfelbaum II" (1916) spiegelt eine seiner schwierigsten Phasen. Die Darstellung erscheint als Visualisierung der Seelenlanschaft des Künstlers. "Der Apfelbaum wirkt kraftlos und verloren. Wohl sind noch kräftige Früchte zu erkennen, aber wie lange noch ?" Im Jänner 1918 erlitt Gustav Klimt einen Schlaganfall, wenige Wochen später starb er. Die letzten Frauenporträts blieben unvollendet.
Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger stellen im nächsten Abschnitt (Liebes-)Briefe von Gustav Klimt an Emilie Flöge aus den Jahren 1895-1899 vor. Sieben bisher unbekannte Briefe bekunden Klimts Bemühungen um seine Schwägerin und "Lebensfrau" Emilie Flöge.
Die Korrespondenz endet in der Zeit, als zwei Modelle, Maria Ucicky und Maria Zimmermann, im Abstand weniger Monate je einem Sohn Gustav das Leben schenkten.
Die letzten Beiträge beschäftigen sich mit einzelnen Werken: Alfred Weidinger behandelt Klimts "Salome" und "Braut", Markus Fellinger Schieles Wassergeister-Bilder. Die Chronologie um den Beethoven-Fries stellten Stefan Lehner und Katinka Gratzer-Baumgärtner detailreich zusammen. Eine Werkliste der in der Ausstellung gezeigten Stücke vervollständigt das neue Standardwerk zum unerschöpflichen Thema Gustav Klimt.