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Max Dvořák: Schriften zur Denkmalpflege#

Bild 'Dvorak'

Max Dvořák: Schriften zur Denkmalpflege. Gesammelt und kommentiert von Sandro Scarrocchia. Böhlau Verlag Wien 2012. 848 S., 59 €

Der Umschlag zeigt einen Herrn mit Hut. „Elegant gekleidet, dunkler Anzug, weißes Hemd, Fliege … intensiver Blick, gutmütiger Ausdruck“, wie der Herausgeber des ebenso umfassenden wie umfangreichen Werks, Sandro Scarrocchia, schreibt. Der italienische Professor beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit österreichischer Denkmalpflege. Er hat die Schriften des Abgebildeten, Max Dvořák gesammelt und kommentiert. Die Abhandlungen sind rund ein Jahrhundert alt, die Kommentare ein Jahrzehnt. Das stört kaum, angesichts der Thematik, die sich mit Vergangenem befasst, und gleichzeitig höchst aktuell ist. Nicht nur Fachleute werden dankbar sein, dass das große Opus endlich erschienen ist.

Max Dvořák (1874-1921) verbrachte seine Kindheit als Sohn eines Archivars im böhmischen Lobkowitz-Schloss Raudnitz (Roudnice nad Labem) . Er studierte an den Universitäten Prag und Wien Geschichte und Kunstgeschichte. Seit 1909 Ordinarius, wurde er zu einem Hauptvertreter der Wiener Schule der Kunstgeschichte. Außerdem wirkte er als Generalkonservator der k. k. Central-Commission für die Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, Vorläufer des Bundesdenkmalamtes. In einer Zeit nationalistischen Überschwangs legte Max Dvořák Wert auf übernationale Fragestellungen und suchte eine ideelle, humanistische Basis der Denkmalpflege. Er selbst betrachtete sich, so der Biograph, „als einen böhmischen Österreicher“.

Sein Wirken fällt in die Übergangszeit vom glanzvollen „Wien um 1900“ zum Ersten Weltkrieg und einige Jahre danach, als die Gründung der Nachfolgestaaten auch für die Denkmalpflege Konsequenzen hatte. Zwischen 1850 und 1890 verdoppelte sich die Stadtbevölkerung Wiens von 431.000 auf 817.000, am Ende des Jahrhunderts hatte die „Industriemetropole ersten Ranges“ 1,877.000 Einwohner. Die Ringstraße entstand, „Alt-Wien musste sich den Modernisierungsplänen beugen“. Die Central-Commission, private Vereine und die (damals noch keineswegs nationalistische) Heimatschutzbewegung engagierten sich für die Erhaltung des Stadtbilds. Dvořák forderte „Pietät“, verurteilte Spekulation, Dilettantismus und Unverstand, den Verlust an Werten und Traditionen. Er kritisierte aber die historistische Einstellung der Gründerzeit und sprach sich für den „harmonischen Kontrast“ von Alt und Neu aus. Das brachte ihm die Zustimmung der Avantgarde, speziell von Adolf Loos.

Sein populärstes Werk, der „Katechismus der Denkmalpflege“ erlebte 1916 die erste, 1918 die zweite Auflage. Das 140-seitige Buch sollte in der breiten Öffentlichkeit Interesse und Verständnis wecken. Dazu bediente sich Dvořák, bei aller Wissenschaftlichkeit, publikumswirksamer Mittel: Emotionale Erzählungen und viele Fotos, die Beispiele und Gegenbeispiele drastisch vor Augen führen. Es ist im vorliegenden Werk als Faksimile wiedergegeben. „Geschichten erzählen“ ist einer der Trends gegenwärtiger Museologie, und die „plus-minus“- Gegenüberstellungen waren im Fernsehen bis vor nicht allzu langer Zeit üblich. Allerdings hätte sich der Autor angesichts der geänderten Voraussetzungen gegen eine spätere Neuauflage verwahrt, meinte ein Amtsnachfolger.

Weniger bekannt als das vorbildhafte Standardwerk sind die Hintergründe seiner Entstehung. Initiator war der Thronfolger Franz Ferdinand (1863-1914). Er stand einem Amt vor, das seine Machtübernahme nach dem Tod Kaiser Franz Josephs vorbereiten sollte und auch kulturelle Funktionen ausübte. Die Kanzlei unterstützte den Erzherzog bei seinen Aufgaben als Protektor der Central-Commission, denen er sich mit großem Engagement widmete. Er gab der veralteten Organisation ein neues Statut, „eine Art Charta der Denkmalpflege“. Dank der Position Franz Ferdinands galt jede Schädigung des Kulturbesitzes als „Beleidigung der Obrigkeit“. Auch wünschte er eine intensive Propagandaaktion für Denkmal-, Landschafts- und Heimatschutz. Als Autor der Publikation betraute er Dvořák, trotz konträrer Ansichten über die Moderne.

Der „Katechismus“ war das bekannteste, aber bei weitem nicht einzige Werk Dvořáks, nur zwei Jahrzehnte dauernden, Denkmalpfleger-Tätigkeit. Sandro Scarrocchia hat nun erstmals alle veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften, Vorlesungen und Vorträge gesammelt und kommentiert herausgegeben. Allein seine Einleitung umfasst mehr als 200 Seiten, gefolgt von Beiträgen, die zwischen 1902 und 1921 in unterschiedlichen Medien publiziert waren, sowie unveröffentlichten Vortrags- und Vorlesungsmanuskripten.

Max Dvořák sah Denkmalpflege am Schnittpunkt verschiedener Disziplinen, als „angewandte Kunstgeschichte“. Er erkannte die Notwendigkeit einer speziellen Ausbildung, stellte Prinzipien für Restaurierungen auf und begründete die österreichische Kunsttopographie. Den verschiedenen Schwerpunkten entsprechend, gliederte Sandro Scarrocchia die 77 Beiträge in acht Kapitel: Unter „Geschichte der Denkmalpflege“ fallen u. a. Artikel über die Entwicklung des Faches, Tätigkeiten in der Kriegszeit und verzweifelte Appelle gegen die Zerstörung von Kulturgütern bei den Kämpfen. Kapitel 2 ist den damals bedeutendsten Persönlichkeiten der Disziplin, dem Vorgänger als Generalkonservator, Alois Riegel, und Franz Ferdinand gewidmet. Kapitel 3 enthält Ausführungen zur Kunsttopographie. In Kapitel 4 geht es um Restaurierungsfragen in kulturellen Zentren der Donaumonarchie, wie Split, Krakau, Prag und Aquileia. Kapitel 5 behandelt Wien, Dvořáks Bemühungen um die Altstadterhaltung und seine entschlossene Stellungnahme für moderne Architektur. Die Kapitel 6 und 7 vereinen Beiträge mit pädagogischer Absicht, vor allem den „Katechismus“. Kapitel 8 umfasst Überlegungen zu legislativen und juridischen Fragen. Dabei zeigt sich die liberale Haltung des Generalkonservators, die sich gegen das Eigentum beschränkende Maßnahmen stellt.

„Seine Ausdrucksweise zeichnet sich durch ruhige Überlegenheit und Argumentationsstärke aus,“ stellt Sandro Scarrocchia fest, doch „Dvořáks Schriften unterscheiden sich in Tonfall, Länge und gehaltlicher Tiefe“. Der Generalkonservator schrieb zielgruppenorientiert, da „er dem Erwartungshorizont der Leser der verschiedenen Presseorgane in Sprache und Argumentation entgegenkommt.“ Seine 1910 im Kunstgeschichtlichen Jahrbuch veröffentlichten „Gedanken über Denkmalpflege“ sparen nicht an (Selbst-) ironie: „Pietät: Mir sind alte Kunstwerke heilig, sagte der Trödler, der sie verkaufte und der Architekt, der sie restaurierte. – Denkmalpflege und Kirche: Die Kirche ist kein Museum, doch auch nicht ein Hotelzimmer in dem Okkasionsmöbel aufgestellt werden und die Wände alljährig neu tapeziert werden müssen. – Ein Seufzer: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand dazu. Wenn das nur auch für die Denkmalpflege gelten würde!“