Karlpeter Elis: Der heilige Ägidius#
Karlpeter Elis: Der heilige Ägidius. Styria Verlag Graz 2012. 144 S., zahlreiche Abb., € 16,99
Heiligenlegenden haben üblicherweise mit dem tatsächlichen Lebenslauf nicht viel zu tun. Vielmehr sind es idealtypische Biographien, die den Gläubigen als Vorbild dienen sollen. Der hl. Ägidius (um 640 - 721) wurde - offiziell bis 1772 - als Patron der Steiermark verehrt, dann trat der hl. Joseph an seine Stelle. Doch ist er der Patron der Stadt Graz und der Domkirche geblieben. Nach der legendären Überlieferung lebte Ägidius in einem französischen Wald als Einsiedler, eine zahme Hirschkuh versorgte ihn mit Milch. Die königliche Jagdgesellschaft wollte das Tier erlegen, doch traf ein Pfeil den Eremiten, der lebenslang an der Verletzung litt. Der König wollte Buße tun und stiftete ein Kloster, die spätere Benediktinerabtei Saint-Gilles-du-Gard, dessen Abt der Heilige wurde. Man erzählte über ihn zahlreiche Wunder, unter anderem jenes, wonach ihm der Papst wertvolle Zedernholztore für die Abteikirche schenkte. Ägidius warf sie betend in den Tiber und nach einiger Zeit kamen sie unbeschädigt auf dem Wasserweg beim Kloster an.
Karlpeter Elis, der an der Karl-Franzens-Universität in Graz lehrt, hat sich auf die Suche nach dem historischen Ägidius gemacht und interessante Details gefunden. Um das Jahr 640 als Adeliger in Athen geboren, verließ er nach anfänglichem Medizinstudium seine Heimat, um im Gebiet der Camargue ein gottgeweihtes Leben in Armut und Einsamkeit zu führen. Hier prallten nicht nur die unterschiedlichen Religionen der Ost- und Westkirche, der Juden und Sarazenen aufeinander, hier kreuzten sich auch die wichtigsten Pilgerstraßen. Im Jahr nach Ägidius' Tod zerstörten die Sarazenen seine Klosterkirche.
"Ägidius" bezeichnet einen Bewohner Griechenlands (Ägäier). Es entstanden zahlreiche Varianten des Namens, wie Egid, Ilg, Till oder Gilgen, in anderen Sprachen Gilles, Egyed oder Ilj. Reliquien des Heiligen befinden sich in 36 Kirchen von den Niederlanden bis Portugal. Zu seinen Patronaten zählen Einsiedler, Reisende, Kaufleute und Jäger. Man bittet ihn um Schutz gegen Sturm und Feuer, bei Krankheiten und Unfruchtbarkeit. Als einziger Nichtmärtyrer findet er sich in der Gruppe der 14 Nothelfer. Darstellungen zeigen ihn mit der Hirschkuh, als Benediktinermönch, Abt oder Bischof. Schon bald nach seinem Tod wurde er zu einem der populärsten Heiligen, seine Abtei eine wichtige Station der Wallfahrer nach Rom, Santiago de Compostela oder Jerusalem. Um 1100 nahmen die Ägidius-Wallfahrten so großen Aufschwung, dass ein Neubau der Kirche erfolgte. Man verehrte ihn in Europa an 3000 Stätten, benannte Orte nach ihm und baute 160 Ägidiuskirchen, in der heutigen Steiermark sind es 18.
Höchstwahrscheinlich fallen die Gründung der Stadt Graz und die Übernahme des Patroziniums vom hl. Ägidius im Zeitraum zwischen 1122 und 1174 zusammen. Die romanische "St. Gilgen-Kirche" war wohl eine gemauerte Wehrkirche auf einer Hochterrasse außerhalb der Stadtmauern. 1265 stieg die Egydikirche wegen ihres Standortes beim Herrschaftssitz des steirischen Markgrafen zur ersten Pfarre des Landes auf. Der 1564 wieder zu Ehren des hl. Ägidius geweihte Neubau erhielt 1603 einen vergoldeten Renaissancealtar. Im Zuge der josephinischen Reformen wurde der Bischofssitz von Seckau nach Graz verlegt und die ehemalige Hof- und Ordenskirche der Jesuiten in den Rang einer Dom- bzw. Kathedralkirche erhoben.
Nach der Ablöse des Landespatrons durch den hl. Joseph (die schon Kaiser Leopold 1675 eingeleitet hatte), geriet Ägidius fast in Vergessenheit. 1998 stiftete die Stadt Graz eine Bronzeskulptur beim Dom zu seinem Gedenken. Und nach wie vor beweist der Ägidimarkt, der seit dem 12. Jahrhundert Anfang September als Kirtag und Jahrmarkt besteht, große Popularität. Auch die Grazer Messe, die um diese Zeit stattfindet, verdankt ihm seine Entstehung.