Walter Öhlinger und Eva-Maria Orosz (Hg.): Die Wiener Ringstraße#
Walter Öhlinger und Eva-Maria Orosz (Hg.): Die Wiener Ringstraße in ihrer Vollendung und der Franz-Josefs-Kai. In Ansichten von Ladislaus Eugen Petrovits. Edition Winkler-Hermaden Schleinbach 2014. 128 S., 20 doppelseitige Farbtafeln. € 29,90
"Es ist mein Wille, dass die Erweiterung der Stadt Wien … ehemöglichst in Angriff genommen … werde…" Das Handbillett Kaiser Franz Josephs I., das den Beginn von Neu-Wien einleitete, wird in nächster Zeit noch oft zitiert werden. 2015 jährt sich die Eröffnung der Ringstraße zum 150. Mal.
Mit seinen zwei Alleen, einer Breite von 57 Metern und einer Länge von mehr als fünf Kilometern (den Franz- Josefs–Kai mit eingerechnet) gehört der „Ring“ zu den größten Prunkstraßen der Welt. Acht Jahre nach seiner historischen Entscheidung eröffnete Kaiser Franz Joseph I. den Prachtsboulevard in Anwesenheit von Kaiserin Elisabeth, zahlreicher Erzherzöge, Minister und Vertreter der Stadt Wien, mit Bürgermeister Andreas Zelinka an der Spitze. Der Festakt fand vor dem Äußeren Burgtor auf dem Burgring statt, an der anschließenden Fahrt der Ehrengäste zur Hoftafel im Prater waren mehr als 100 Equipagen beteiligt. „Die Volksmassen, welche die Straßen und den Prater füllten, waren unermesslich. … Sr. Majestät der Kaiser trug die Uhlanenobersten- Uniform, ihre Maj. die Kaiserin ein violettes Creppekleid, einen Hut aus weißer Seide mit violettem Creppe-Aufputz … und einen Sonnenschirm aus violett gefärbten Straußfedern,“ berichtete eine Zeitung. Fertiggestellt war das städtebauliche Großprojekt damals noch nicht, der Stubenring wurde erst kurz vor dem 1. Weltkrieg verbaut.
Um 1874 schuf der akademische Maler Ladislaus Eugen Petrovits (1839-1907) 20 Panoramen von beiden Seiten der Ringstraße. Er fertigte seine Zeichnungen sowohl nach der Natur, als auch aufgrund von Architektenplänen an. Reproduziert wurden die Bilder in der Technik der Xylographie, die Platten stellte das renommierte "Institut für Holzschneidekunst" her. Zu jeder der originalgetreu wiedergegebenen, doppelseitigen Farbtafeln gibt das Buch umfassende Informationen über die Baugeschichte und die Bauherren. Die kompetenten Autoren, der Historiker Walter Öhlinger und die Kunsthistorikerin Eva-Maria Orosz, sind Kuratoren im Wien Museum.
Im Vorwort schreiben sie Grundsätzliches über die Anlage der Ringstraße und die Vorgeschichte. Schon 1850 waren die Vorstädte eingemeindet und 1853 ein Teil des Glacis im 9. Bezirk parzelliert worden. "Neu-Wien" genannt, sollte es zum Probegalopp der Ringstraßenzone werden. Knapp 500 m entfernt, entstand wenig später die Votivkirche. An dem 1858 ausgeschriebenen Wettbewerb für die Anlage der Ringstraße nahmen 85 Architekten teil. Realisiert wurde eine Kombination der besten Entwürfe. Die Organisation des Großprojekts übernahm der Stadterweiterungsfonds im Innenministerium. Von den rund 2,4 Millionen Quadratmetern wurden 1,5 Millionen für Straßen Plätze und Gärten benötigt, 400.000 Quadratmeter waren für öffentliche Bauten reserviert, die restlichen 500.000 wurden verkauft. Mit dem Erlös von 63 Mio. Gulden finanzierte man die staatlichen Bauten, vorwiegend für Kunst und Wissenschaft. Die privaten Bauherren - Industrielle, Bankiers und Kaufleute - gehörten dem liberalen Großbürgertum an. Die Ringstraßengesellschaft stellte ihren Reichtum zur Schau, dafür erwies sich der Historismus, mit einer Mischung aller bisher dagewesenen Baustile, als besonders geeignet.
Das durch die Fernsehserie der 1980er Jahre populär gewordene "Ringstraßenpalais", Ecke Opernring 10, Goethegasse 3, wird gleich im ersten Kapitel vorgestellt. Es ist in mehrfacher Hinsicht typisch, sowohl als Gebäude, als auch in der kompakten Art, wie das Buch die Objekte in den acht Abschnitten der Straße und auf dem Franz-Josefs-Kai referiert. Das fünfgeschoßige Wohn- und Geschäftshaus wurde 1863 von Johann Romano und August Schwendenwein für den Großhändler und Bankier Friedrich von Schey errichtet. Er war Präsident des Verwaltungsrates der Kaiser-Elisabeth-Westbahn, Direktor der Vöslauer Kammgarnfabrik, Kunstsammler und Mäzen. Auf dem Panoramabild ist das Scheypalais das erste Gebäude links, daran schließen das Palais Zinner vom selben Architektenteam, ein Miethaus des Gründers der Berndorfer Metallwarenfabrik, Alexander von Schoeller, und das luxuriöse Palais des Schwechater Brauereibesitzers Anton Dreher an. Dominant und namengebend für diesen Straßenabschnitt folgt der erste Monumentalbau der Ringstraße, die 1869 errichtete Hofoper. Aus einer international ausgeschriebenen Konkurrenz gingen Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg als Sieger hervor. Sie "hatten die schwierige Aufgabe, nicht nur einen großzügig dimensionierten Bühnen- und Zuseherrraum zu schaffen, sondern auch sämtliche Administrations- und Magazinräume in den Bau zu integrieren, kongenial gelöst". Dennoch stieß die Oper bei den Zeitgenossen auf Unverständnis. Van der Nüll wählte den Freitod, Sicardsburg erlitt wenig später einen Herzschlag.
Rechts der Oper fällt der Blick in die Kärntner Straße, die im Zuge der Regulierung auf 17 m verbreitert wurde. Die "Sirk-Ecke" wurde zum Ausgangspunkt einer Flaniermeile der eleganten Welt. Die wohlformulierten Beschreibungen der einzelnen Tafeln ergeben mit diesen ein exaktes Bild der Straße, die Zeitgenossen "das Diadem der Kaiserkrone" nannten. So ist ein vorbildhafter narrativer Bildband entstanden, nicht nostalgisch, sondern historisch korrekt, ein informatives Lesevergnügen.