Peter Dinzelbacher: Köpfe und Masken#
Peter Dinzelbacher: Köpfe und Masken. Symbolische Bauplastik an mittelalterlichen Kirchen. Mit Fotografien von Eva-Maria Mrazek. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2014. 192 S., ill., € 22,-
In mehr als 30 Monographien, 400 Aufsätzen und als Herausgeber der interdisziplinären Zeitschrift "Mediaevistik" hat sich der Historiker Peter Dinzelbacher mit Themen wie Mentalität, Religiösität oder Ikonographie des Mittelalters auseinandergesetzt. In der neuesten Publikation beschäftigt er sich mit Masken und Gesichtern aus der Romanik und Gotik. Bei diesen Motiven der Bauplastik handelte sich um eine gesamteuropäische Erscheinung, hier werden speziell Beispiele aus Salzburg und Bayern dargestellt. 200 Abbildungen bringen dem Leser die von der Kunstgeschichte weitgehend vernachlässigten Objekte nahe. Es ist eigentlich erstaunlich, dass die Wissenschaft an den tetes coupées wenig Interesse gezeigt hat, während die Kopfskulpturen auf unbefangene Besucher mittelalterlicher Kirchen eine rätselhafte Faszination ausüben. Viele fühlen sich von den Köpfen und Masken an den Kapitellen geradezu beobachtet. Umso mehr, als manche Kopfe wohl aus bunten Steinen eigesetzte Augen hatten oder farbig gefasst waren. Die Psychologie der Wirkung ist hier ebenso ein Thema wie die formale Entstehung der symbolischen Bauplastik. Die Fülle der Beispiele erlaubt eine eingehende Diskussion und Einblicke in die religiöse Mentalität des Mittelalters.
Köpfe, Masken und Gesichter waren - außer Pflanzen - das häufigste Motiv der romanischen und gotischen Bauplastik. Man findet sie u.a. an Kapitellen, Eckspornen, Konsolen , Gewänden, als Schlusssteine, Wasserspeier und Krabben. Die isolierten, leiblosen Köpfe finden sich von Sizilien bis Norwegen, von Irland bis Ungarn spätestens seit dem 12. Jahrhundert. Die Beispiele im salzburger und bayerischen Raum umfassen die Zeit vom Ende des 12. Jahrhunderts (Bad Reichenhall, Berchtesgarden, Salzburg - Peterskiche, Franziskanerkirche), den Übergangsstil (Michaelbeuern, St. Georgen bei Zell am See) und die Gotik bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Berchtesgaen, Laufen, Mariapfarr, Bad Reichenhall, Bad Vigaun, Bischofshofen, Zell am See, Radstadt, St. Veit, Irrsdorf, Salzburg -Nonnberg, Golling, Torren).
Die Skulpturen waren zumeist integrierte Bauplastik, seltener austauschbare Elemente. Sie sagen etwas über die religiöse Mentalität aus, schreibt Peter Dinzelbacher; "Das Gotteshaus, der heilige Raum der Christen auf Erden par excellence ist … als Ausdruck des 'ordo' organisiert … Die großen Themen der Heilsgeschichte haben als Bilder in Mosaik, Malerei und Plastik ebenso ihren Platz im Zentrum … am wichtigsten die Theophanie, die Erscheinung Christi als 'majestas domini', als Gekreuzigter, als Weltenrichter. Die Köpfe dagegen befinden sich wie andere figurale, vegetabile oder geometrische Themen fast stets in einer marginalen oder liminalen Position, also außen und innen am Torgewände, in der Kapitellzone, neben oder über den Fenstern, an den Dachkonsole, im Chorgestühl etc."
Menschengestalten konnten als Personifikationen des Guten oder des Bösen stehen - doch fehle heutigen Betrachtern der damalige Deutungsschlüssel, warnt der Autor vor voreiligen Schlüssen. Auffallend ist die Zahl der Darstellungen von Dämonen, die er als damals "allgegenwärtige Bedrohung" charakterisiert. Die Tiersymbolik des Mittelalters ist ein weiteres "unerschöpfliches Feld, da in jener Epoche so gut wie jedes Tier als Träger einer religiös-moralischen Bedeutung für die kirchliche Lehre diente." So kann der Löwe sowohl Gott, als auch den Teufel bedeuten, während der Drache, wie schon in der Bibel, eindeutig negativ konnotiert ist. Mischwesen (Monster) haben fast immer eine negative Bedeutung und wurden zu "Projektionen der Angst". Pflanzen galten als Symbole der Demut und Hoffnung.
Eine weitere Frage ist, wer all diese Werke entworfen hat. Bei den theologischen Hauptthemen war es wohl die gelehrte Geistlichkeit, bei den weniger wichtigen Zieraten könnten es die Handwerker gewesen sein, eher Steinmetze als künstlerisch tätige Bildhauer. Es steht nicht immer ein theologisches Programm dahinter. "Zierrat oder Zeichen ?" lautet die schwer zu entscheidende Alternative. Zum Teil sind die Fratzen apotropäische Schreckgestalten, Unheil abwehrende Schutzelemente. An Übergangszonen zur profanen Welt wie Toren oder Fenstern sollten sie das Böse am Eindringen in den Sakralraum hindern: "Es geht psychologisch um die Überwindung von Angst und damit um die Herstellung von Sicherheit."
Die Baukunst der Renaissance und des Barock konnte mit den tetes coupées im mittelalterlichen Sinn nichts mehr anfangen. Mit der Säkularisierung des Weltbildes wandelte sich die Funktion der Masken und Häupter in eine dekorative und ornamentale. Ein kurzer Ausblick streift "neuzeitliche Köpfe". Hier finden Andreas Schlüters um 1700 (1706) gefertigte Köpfe sterbender Krieger am Berliner Zeughaus Würdigung. Das Beispiel wirkt zeitlich und örtlich etwas weit hergeholt, doch nennt der Autor diese Trophäen den "Höhepunkt des Motivs im Barock". Nicht mehr erwähnt werden die - 200 Jahre jüngeren - Soldatenköpfe am ehemaligen Kriegsministerium, einem der letzten Monumentalbauten des Historismus und der Monarchie in Wien.