Thomas Hofmann: Alltagsgeschichten aus der alten Leopoldstadt#
Thomas Hofmann: Alltagsgeschichten aus der alten Leopoldstadt Sutton Verlag Erfurt 2015. 128 S., 160 Abb., € 19,99
Mit jeder Gegend Wiens verbinden sich bestimmte Assoziationen. Beim 2. Gemeindebezirk zählen Prater, Augarten und die Donau mit ihren Brücken dazu. Doch die Leopoldstadt hat noch viel mehr Bemerkenswertes. Auf dessen Spuren hat sich Thomas Hofmann, Bibliotheks- und Archivleiter der Geologischen Bundesanstalt und Autor zahlreicher Bücher, begeben. Dazu hat der für seine Bildbände bekannte Sutton-Verlag ein neues Format kreiert: Eine reizvolle Kombination aus historischen Zeitungszitaten und Ansichtskarten.
Ein geflügeltes Wort sagt: "Nichts ist so alt (d. h. uninteressant) wie die Zeitung von gestern." Wenn sie aber sehr alt ist, stimmt diese Annahme keineswegs. So ist die erste Nachricht, aus der Wiener Zeitung vom 9. April 1766 ebenso bekannt wie wichtig. Es handelt sich um das "Avertissement" (der Druckfehlerteufel hat daraus zwei mal "Averissement" gemacht) der Öffnung des Praters. Der Prater mit seinen vielen Attraktionen, Gebäuden, Naturpartien und Begebenheiten ist eines der Hauptthemen. Auch im Ersten Weltkrieg galt er - so ein Fuilleto aus 1916 - als "ein Ort der Erquickung, wie ihn keine Großstadt der Welt in dieser Art besitzt. So möge er auch in Hinkunft erhalten bleiben …" Traurig berichtet das "Fremden-Blatt" hingegen 1915 über den Augarten: "O Augarten! Dahin sind deine goldenen Tage … O Augarten, lass dich beweinen!"
Die Taborstraße ist mit mehreren Sensationen vertreten: Dem Kaiserjubiläumsfestzug, der "einen Massenandrang" mit sich brachte, der feierlichen Verabschiedung eines Feldmarschalls, und einem Liebesdrama. Seit 1614 heilen die Barmherzigen Brüder in ihrem Spital in der Taborstraße, aus zwölf Betten sind in vier Jahrhunderten mehr als 400 geworden. Nicht mehr als Hotel, sondern als Wohnhaus, besteht der Jugendstilbau auf Nr. 46. Das damalige Hotel "Sächsischer Hof" geriet 1918 in die Schlagzeilen, als ein "Butterbetrüger" dort Geschäfte machen wollte. Eine Postkarte zeigt den mit "modernstem Komfort" ausgestatteten Beherbergungsbetrieb.
Markante Gebäude, für die der 2. Bezirk einst bekannt war, existieren nicht mehr: Der Nordwestbahnhof kam nach der Abtrennung des 20. vom 2. Bezirk zwischen diesen zu liegen. Der im maurischen Stil 1865 errichtete Nordbahnhof galt als schönster Wiens und war einer der bedeutendsten der Monarchie. Das Carl-Theater würdigt "Der Humorist" anno 1847 für seine Eleganz und die kurze Bauzeit von 7 Monaten. Der Leopoldstädter Tempel brannte 1917 nach einem Festgottesdienst zur Hälfte ab (Zwei Jahrzehnte später wurde er bis auf die Grundmauern zerstört).
1845 lobt "Der Wanderer" das erste Dianabad als "großartige Badeanstalt und Schwimmschule mit dem spiegelklaren Wasser". Es wurde 1810 eröffnet, 1843 mit einer Winterschwimmhalle erweitert und 1917 neu errichtet. (Nach Kriegsschäden demoliert, ist seit 2000 ein "Erlebnisbad" an seiner Stelle). Auf der alten Stephaniebrücke (Salztorbrücke) ereignete sich 1918 ein Mord. Die 1864 eröffnete erste Aspernbrücke war durch ihre allegorischen Figuren bekannt. Sie stellten Krieg und Frieden, Ruhm und Wohlstand dar. 1919 erfolgte die Verkehrsfreigabe der neuen Aspernbrücke. Die zweite Reichsbrücke entstand in den 1930er Jahren. Das Buch referiert die Diskussion um die "Vorteile eines Neubaues für Verkehr und Volkswirtschaft" anno 1928, die Inbetriebnahme 1937 und erwähnt den Einsturz nach vier Jahrzehnten.
Lasallehof, Blindeninstitut, die Kaiser-Jubiläums-Kirche auf dem Mexikoplatz, Maria Grün und das Stadion sind einige weitere Stationen auf der historischen Sightseeingtour. Nach der Lektüre dieses Bandes kann man nur sagen: "Nichts ist so interessant wie die Zeitung von vorgestern."