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Jürgen Müller, Thomas Schauerte: Pieter Bruegel. Das vollständige Werk#

Bild 'Bruegel'

Jürgen Müller, Thomas Schauerte: Pieter Bruegel. Das vollständige Werk. Taschen Verlag Köln. 492 S. 29 x 39,5 cm, ill., € 150,-

Vor 450 Jahren ist Pieter Bruegel d. Ä. (um 1526/30–1569) gestorben. Aus diesem Anlass widmet ihm das Kunsthistorische Museum Wien, das die meisten Tafeln des flämischen Malers besitzt, die erste monografische Ausstellung. Der für seine qualitätvollen XXL-Bücher bekannte Taschen-Verlag stellt alle 39 Gemälde, 65 Zeichnungen und 89 Radierungen Bruegels in einem neuen Band vor. Die dafür angefertigten Fotos zeigen sie in großformatigen Gesamtaufnahmen und markanten Ausschnitten. So wird das künstlerische Werk, wie noch nie zuvor, bis ins kleinste Detail erfahrbar. Hervorragende Experten haben die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse für die umfangreichen Text- und Katalogteile formuliert. Jürgen Müller ist Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte an der Technischen Universität in Dresden. Der Grafikspezialist und Lehrbeauftragte Thomas Schauerte leitet mehrere Museen in Nürnberg.

Das Genie Bruegel gibt Rätsel auf. Nicht einmal sein Geburtstag ist bekannt, die landläufige Etikettierung als "Bauernmaler" tut ihm Unrecht. Jüngste Forschungen zeigen ihn als virtuosen Künstler und gebildeten Humanisten, der seine Werke für die kulturelle Elite Antwerpens und Brüssels schuf. Anfangs arbeitete er für den Verleger Hieronymus Cock und entwarf zahlreiche Grafikserien, die mit Erfolg in ganz Europa vertrieben wurden. Die Lebenszeit Bruegels war mit vier Jahrzehnten kurz bemessen. Als frühestes Gemälde gilt die "Flusslandschat mit einem Sämann" aus dem Jahr 1557, für die weiteren blieben ihm nur zwölf Jahre. Es war die Zeit von Religionskriegen, Inquisition und der grausamen Herrschaft des Herzogs von Alba als Statthalter der Spanischen Niederlande. Der Künstler setzte sich mutig mit seiner Zeit auseinander und zeigte sich kritisch gegenüber der katholischen Kirche. Geschickt verbarg Bruegel seine politischen und religiösen Ansichten in figurenreichen Bildern scheinbar harmloser Alltagsszenen.

Dem ersten der neun repräsentativ illustrierten Textkapitel, der Biographie, folgt eine Exkursion in das "Labyrinth der Deutung". Seit den 1960er Jahren nennt man die Darstellung einer Fülle von Einzelheiten oder gleichzeitig ablaufenden Geschehnissen "Wimmelbilder". Bruegel gilt, wie Hieronymus Bosch, als Vater dieser Gattung. Um 1560 entstanden drei großformatige Tafeln mit einer außergewöhnlichen Menge von Figuren. Die Bilderzählung "Kampf zwischen Fasching und Fasten" besteht aus einer Vielzahl von Einzelszenen und karikierenden Details. Auf den großartigen Reproduktionen des Bandes kann man immer wieder Neues entdecken. Die Tafel "Die niederländischen Sprichwörter" folgt demselben Kompositionsprinzip, sie enthält mehr als 100 Sinnsprüche und Redewendungen. Auf dem "Kinderspielbild" sind 168 Buben und 68 Mädchen mit 90 Spielen beschäftigt. Trotz aller vermeintlicher Heiterkeit stehen hinter diesen drei Gegenstücken der Streit der Konfessionen und die Kritik an kirchlichen Machtansprüchen.

Zu den "Bildern verfehlter Gottessuche" zählt Jürgen Müller neben dem "Turmbau zu Babel" Bruegels schlichteste Komposition "Zwei Affen". Er interpretiert sie als Sinnbild christlicher Existenz, wobei die Darstellung auf die Grenzen der Erkenntnis verweist. Offensichtlich religiöse Themen haben hingegen die "Anbetung der Könige", die "Kreuztragung Christi" und die "Johannespredigt". Zu jedem Bild bietet der Autor umfassende Beschreibungen und Deutungen. Er verweist auf die wichtige Inspiration des Künstlers durch theologische Schriften, wie jene des Deutschen Sebastian Franck (1499-1542). Zuerst katholischer Priester, dann lutherischer Prediger, letztlich Buchdrucker, lehnte er die Bevormundung durch kirchliche und weltliche Obrigkeiten radikal ab und sprach sich für Pazifismus, Toleranz und Unabhängigkeit aus. Die "Letzten Dinge", Sterben, Tod und Hölle, waren für Bruegel ebenfalls ein wichtiges Thema. Anders als Hieronymus Bosch, bei dessen Vorstellung vom "Jüngsten Gericht" nur wenige Seelen gerettet werden, lässt er fast die gesamte Menschheit in den Himmel aufsteigen. Nur die im Schiff - einem traditionellen Symbol für die Kirche - befindlichen Personen fahren in die Hölle.

Um 1465 schuf Bruegel eine Gruppe kleinformatiger Grisaillemalereien mit dramatischer Lichtregie. Diese Serie war einerseits als Verteidigung gegen eine Verleumdung gedacht, andererseits stellte er sich gegen die "Romanisten" unter den flämischen Künstlern, die stets die gleichen Vorbilder aus der Antike und italienischer Maler wählten.

"Seit jeher ist die Wiener Bauernhochzeit als exemplarischer Ausdruck von Bruegels Kunst betrachtet worden", schreibt Jürgen Müller. Er erwähnt die Überlieferung, dass der Maler gerne Feste dieser Art besuchte. Als Gegenstück gilt der "Hochzeitstanz im Freien", an dem 125 Gäste teilnehmen. Wieder stellt der Autor die Verbindung zu zeitgenössischen theologischen Schriften her. So werden die Bilder zu Allegorien einer selbstvergessenen Menschheit, die in den Abgrund tanzt, ohne sich der drohenden Gefahr bewusst zu sein.

Die Serie der "Jahreszeiten" ist der größte zusammenhängende Zyklus, der von Bruegel überliefert ist. Fünf (ursprünglich wahrscheinlich sechs) großformatige Tafeln zeigen gewaltige Landschaftspanoramen und die typischen Arbeiten im Jahreslauf. Dabei fällt die genaue Naturbeobachtung auf. Atmosphäre, Wolken und Licht unterscheiden sich stark. Bei der "Anbetung der Könige im Schnee" fröstelt den Betrachter, erstmals in der Kunstgeschichte hat ein Maler ein Schneegestöber so realistisch dargestellt. Die Gruppe der "Winterbilder" umfasst religiöse Motive wie "Die Volkszählung zu Bethlehem", eine "Anbetung der Könige", "Bethlehemscher Kindermord" und "Winterlandschaft mit Eisläufern und Vogelfalle". Auch dieses, meistkopierte, Bild täuscht. Es geht nicht so sehr um die Darstellung der Wintervergnügen, als wieder um eine versteckte Warnung vor dem Eis, das einbrechen kann, ebenso wie vor dem unsichtbaren Vogelsteller- schon bei Jeremia im Alten Testament ein Symbol des Bösen. Nach den bisherigen Analogien verwundert es nicht, dass das Gemälde als Kritik an der Amtskirche zu begreifen ist.

Das Spätwerk charakterisiert der Autor als "Ästhetik der Subversion". Interpretationen von "Das Schlaraffenland" zeigen, dass es sich auf die politische Situation in den Niederlanden um 1567 bezieht. Mit der Parodie zeigt der Künstler seine Sympathie für die Freiheitskämpfer gegen die Habsburgerherrschaft. Die gebratene Gans (Geuze) entspricht den oppositionellen Adeligen, die man Geusen nannte. Das kuriose Bild "Der Gähner", die außergewöhnliche Komposition "Bekehrung Pauli", das Bild "Die Krüppel", das Gemälde "Der Misanthrop" und das Ölbild auf Leinwand, "Blindensturz" zählen zu den letzten des Meisters. Zwischen 1565 und 1568 schuf er mit 23 Tafeln und Gemälden mehr als die Hälfte der gemalten Bilder. Im Epilog fasst der Autor zusammen "Wer Pieter Bruegel war, wissen wir nicht. Aber wenn wir seine Kunst befragen, erscheint ein eigensinniger, ja mutiger Mann, der über die Jahre hinweg seine Sicht der Welt nicht aufgab, sondern entschieden daran festhielt." Jürgen Müller hat dem ersten Teil des Prachtbandes einen "Katalog der Gemälde" angefügt, der sie noch einmal mit ihren Charakteristika Revue passieren lässt.

Der "Katalog der Zeichnungen" enthält Reproduktionen aller grafischen Werke. Der Nürnberger Museumsdirektor Thomas Schauerte zeichnet für den fast 100-seitigen Bild- und Textteil verantwortlich. Er teilt das Frühwerk, die Federzeichnungen, in drei Werkgruppen: Landschaften, Bosch-Adaptionen und Figuren. Die Landschaftsschilderung mit Feder und Tusche besteht in der Kunst des Andeutens und Weglassens. Die Allegorien mit ihren "auserlesenen Scheußlichkeiten" ließen Bruegel in den Augen der Zeitgenossen als eine Art Reinkarnation des vier Jahrzehnte zuvor verstorbenen Hieronymus Busch erscheinen. Diese Ehre wurde nur ihm zuteil. Zur letzten Gruppe, "Die Große Figur" zählt das Bild "Die Imker". Die drei vermummten Männer wirken in ihrer Abstraktion rätselhaft und beängstigend.

Den "Katalog der Kupferstiche" verfasste wieder Jürgen Müller. Rund 90 Kupferstiche gehen auf Zeichnungen Bruegels zurück. Es handelt sich um Landschaftsdarstellungen, Schiffsdarstellungen, Genreszenen und Sprichwörter, Allegorien und christliche Ikonographien. "Insgesamt erscheint die Graphik weitaus phantastischer als das malerische Werk, " konstatiert Müller. Er betont, dass dem Künstler bewusst war, damit Arbeiten für den freien Markt zu schaffen. Andererseits werde Bruegel in den Kupferstichen als Aufklärer greifbar.