Achim Schneyder (Hg.): Das große Buch vom Handwerk#
Achim Schneyder (Hg.): Das große Buch vom Handwerk. Fast vergessen, neu entdeckt.
Servus Verlag, Salzburg. 308 S., ill., € 36,-
Qualität kontra Wegwerfprodukte, Naturmaterialien versus Kunststoffe, altmodische Maschinen statt Hightech, Langsamkeit wider Fließbandstress … die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen, um eine Erklärung für die neue Wertschätzung der Handwerkskunst zu finden. Es fällt auf, dass zu diesem Thema in letzter Zeit viele schöne Bücher erschienen und Filme gedreht worden sind. Es steht wohl mehr dahinter, als die Nostalgie des 21., oder das Bewahren wollen im Sinne der sichernden Volkskunde des 19. Jahrhunderts. Sehnsucht mag ebenso mitspielen wie die Emotion der AutorInnen, die der Faszination des Handgemachten erliegen. Verdient haben die Handwerker diese Zuwendung auf jeden Fall, ob es sich nun um den (fast) letzten alten Meister seiner Branche handelt oder junge Männer und Frauen, die traditionelle Fertigkeiten für sich entdecken. Dieses Buch stellt mehr als 60 von ihnen vor.
Es ist ein Buch wie ein Film. In den gut gelungenen Folgen der Serie "Heimatleuchten" (es gibt auch weniger gut gelungene, aber das ist eine andere Geschichte) vertritt Servus -TV, wie der Servus-Buchverlag, einen "modernen Heimatbegriff": " Mit großer Leidenschaft haben wir den gesamten Alpenraum und seine Ausläufer mit seiner faszinierenden Natur, den besonderen Menschen und den vielfältigen Traditionen im Blick. Unsere Bücher machen unsere einzigartige Heimat für jedermann erlebbar. Aber wir wollen auch fast vergessenes Wissen in die Gegenwart holen und regionale Schätze heben. " Für das große Buch vom Handwerk haben fast 30 AutorInnen Artikel geschrieben, zusammengetragen von Achim Schneyder, Servus-Mitarbeiter der ersten Stunde.
Die Vielfalt der Produkte fasst er in acht Gruppen zusammen. Die erste nennt er "Töne & Klänge". Da lernt man die "schönen Saiten" des Lebens kennen, wenn der Innviertler Instrumentenbauer sagt: "Die Harfe öffnet Herz und Seele, ihr Klang führt in eine andere Welt." Man lernt, wie wichtig die Auswahl des passenden Holzes ist, egal ob daraus eine Gitarre, Tamburizza, Orgelpfeife, Harmonika, Geige oder ein Alphorn werden soll. Auch den Herstellern von Blasinstrumenten und Maultrommeln darf man quasi über die Schulter schauen.
"Von Kopf bis Fuß" geht es um Kleidung und Accessoires. Vom Rohmaterial, wie Blaudruckstoff und Loden, bis hin zu Schmuck und Zier. Lederhosen, Schuhe, Schirme, Hüte, Hosenträger usw. gibt es - noch und schon wieder - "in reinster Handarbeit". Außer den sympathischen Texten und perfekten Fotos findet man kurze Informationen zu Fachausdrücken oder Spezialitäten, wie das "kleine Schirmlexikon". Dass sich die Schirm-Manufaktur gerade in Salzburg befindet, hat seinen guten Grund. Mit dem berüchtigten Schnürlregen und 1185 Liter Regen pro Quadratmeter jährlich verzeichnet die Stadt doppelt so viele Niederschläge wie die östlichen Bundesländer.
"Essen & Wohnen" vereint so unterschiedliche Erzeugnisse wie Besteck mit Hirschhorngriffen, geschnitzte Tischkreuze, Keramik, Kupfergefäße vom letzten Metalldrücker Österreichs, Spiegel, Sitzmöbel und künstlerische Wollteppiche. Letztere stellt eine promovierte Juristin im ehemaligen Schweinestall eines niederösterreichischen Bauernhofes her. Ihr Mann, der im früheren Pferdestall seiner Profession nachgeht, ist einer der letzten Kupferstecher Österreichs. So erfährt man auch viel über die Menschen, die mit künstlerischer Ambition und/oder solider Berufsausbildung besondere Produkte herstellen. Der gemeinsame Nenner ist die Liebe zu ihrem Beruf.
Viele freuen sich, wenn es ihnen gelingt, alte Objekte zu restaurieren, wie der oberösterreichsche Tischlermeister, der sich auf die Reparatur von Pferdewagen spezialisiert hat. Er erinnert an deren Durchschnittsgeschwindigkeit von 7 km/h und begrüßt "die Wiederentdeckung der Langsamkeit". Mit den Kutschen ist die Sattlerei fast verschwunden. Ein Familienbetrieb im Innviertel stellt Zaumzeuge und Zügel her, wenn nötig, auch Gürtel für Perchtenläufer. "Draußen vor der Tür" findet man in der Steiermark die Vogelscheuchen Klapotetz, im niederösterreichischen Weitental die Sonnenuhren, die dem Tal seinen zweiten Namen gegeben haben. Spezialisten aus Bayern setzen Turmuhren und Mühlräder wieder in Stand.
"Farben & Formen" üben besonderen Reiz aus, wenn sie aus Naturstoffen entstehen. Ein Chemiker ist den Geheimnissen der Alchemisten auf die Spur gekommen und stellt nach Jahrhunderten wieder Ultramarinblau aus Lapislazuli her. Ein Ehepaar im Attergau malt Stammbäume. Ein anderes rekonstruiert in Wien Kunstglasfenster und wendet die Technik der Bleiverglasung bei modernen Entwürfen an. Kugeln lassen sich in unerschöpflicher Vielfalt gestalten. Da gibt es Marmorkugeln, die das Wasser eines Gebirgsbaches schleift, Murmeln und Briefbeschwerer, deren Glas phantastische Muster beinhaltet und die weltbekannten Wiener Schneekugeln, denen neben der Werkstätte ein Museum gewidmet ist.
"Sport & Freizeit" nennt sich das nächste Kapitel. Die darin vorstellten Experten fertigen Geräte für Liebhaber eher ungewöhnlicher Sportarten an: Bambus-Angelruten für Fliegenfischer, Pfeil und Bogen für Schützen, Eisstöcke, Seile für Bergsteiger, Holzboote für Segler, fein ziselierte Büchsen für Jäger, nach Maß angefertigte Rodeln für anspruchsvolle Wintersportler.
Auch für "Kind & Kegel" haben die Gewerbetreibenden einiges zu bieten: Frische Seidenzuckerln nach alten Rezepten, handgenähte Teddybären, Schaukelpferde von einer Waldviertler Kunsttischlerin, Grödener Puppen mit beweglichen Gliedmaßen, die eine Südtiroler Bildhauerin wiederentdeckt hat, farbenfrohe Kreisel in verschiedenen Formen. Die Holzratschen, deren Erzeuger seine Kenntnisse an jugendliche Kursteilnehmer weitergibt, haben sogar die Aufnahme in die Kulturerbe-Liste der UNESCO geschafft (wie übrigens auch der vorher erwähnte Blaudruck).
Was in keine dieser Kategorien passt, ist jedenfalls "Edel & schön". Da gibt es Ringe aus Zirbenholz, Tortendekorationen aus geblasenem Zucker, kunstvoll gebundene Bücher, gesottene Duftseifen, feinstes Büttenpapier, geschlagenes Blattgold, minutiöse Kupferstiche, geschnitzte Heiligenfiguren, gehämmerte Kupferkessel, mundgeblasenes Glas und Schmiedekunst vom Feinsten.
So edel die vorgestellten Produkte wirken, erforderte ihre Herstellung nicht nur Können, Kreativität und Erfahrung, sie war auch harte Arbeit. Vom Lärm der alten Maschinen ist oft die Rede, wenn sich die Meister mit ihren wissbegierigen BesucherInnen nur schreiend verständigen konnten, von Dampf, starker Geruchsentwicklung, körperlicher Mühe und der Anstrengung der Augen. Viele der Interviewten betonten die Identifikation mit ihrer Arbeit, wie der Silberschmied vom Attersee, dem es besonders gefällt, "dass man am Abend sehen und angreifen kann, was man den ganzen Tag lang gemacht hat." Sein Trachtenschmuck und die Produkte der anderen Porträtierten geben nach mehr als zwei Jahrhunderten Johann Wolfgang von Goethe recht, der meinte: "Vom Handwerk kann man sich zur Kunst erheben. Vom Pfuschen nie."